Dr. M. Luther – Warum das Gesetz nicht v.a. über unser Verhalten sondern über unsere Identität spricht und warum das Evangelium ein „Vier zum Preis von Einem“-Angebot ist

Zu dem von Studiosus Theologicus beigesteuerten Zitat und Thema noch eine tiefere Bearbeitung anhand der Schmalkaldische Artikel Martin Luthers. In ihr stellt sich heraus, was das Gesetz und was das Evangelium sind. Das Gesetz – also die Gebote Gottes für das menschliche Verhalten – ist nicht in erster Linie Lebensregel sondern, viel wichtiger noch, ein reality check. Es ist das Instument, mit dem uns gezeigt wird, dass etwas mit uns nicht stimmt und wir allein nichts tun können um das zu ändern. Das Evangelium ist die gute Botschaft, dass Gott selbst alles Nötige schon getan hat. Doch nicht nur das … aber dazu später mehr. Gesetz und Evangelium sind übrigens, nach lutherischem Verständnis, die beiden großen Worte Gottes, die er in der Bibel, der Aufzeichnung seiner geschichtlichen Selbstoffenbarung, zu uns spricht.

Punkt I des Dritten Teils der SA bildet, wie auch in anderen solchen Schriften, die Sünde, sprich also die Ursünde. Ein Punkt der bemerkt werden will: das ganze Evangelium und damit die ganze christliche Lehre, macht ohne diese erste Offenbarung über die conditio humana keinen Sinn: die Geschichte unserer Rettung kann sich nur unter der Vorbedingung unserer Verlorenheit abspielen. Luther fährt danach wie folgt fort:

II Vom Gesetz.

1] Hier halten wir, daß das Gesetz gegeben sei von Gott, erstlich, der Sünde zu steurn mit Dräun und Schrecken der Strafe und mit Verheissen und Anbieten der Gnade und Wohltat. Aber solches alles ist der Bosheit halben, so die Sünde im Menschen gewirkt, übel geraten.

2] Denn eines Teils sind davon ärger [ge]worden, als die dem Gesetze feind sind, darum daß es verbeut, [verbietet], was sie gerne tun, und gebeut, was sie ungern tun. Derhalben, wo sie vor der Strafe können, tun sie nun mehr wider das Gesetz denn zuvor. Das sind denn die rohen, bösen Leute, die Böses tun, wo sie Stätte und Raum haben.

3] Die andern werden blind und vermessen, lassen sich dünken, sie halten und können das Gesetz halten aus ihren Kräften, wie jetzt droben gesagt ist von den Schultheologen; daher kommen die Heuchler und falschen Heiligen.

4] Aber das vornehmste Amt oder Kraft des Gesetzes ist, daß es die Erbsünde mit den Früchten und allem offenbare und dem Menschen zeige, wie gar tief seine Natur gefallen und grundlos verderbt ist, als dem das Gesetz sagen muss, daß er keinen Gott habe noch achte und bete fremde Götter an, welches er zuvor und ohne das Gesetz nicht geglaubt hätte. Damit wird er erschreckt, gedemütigt, verzagt, verzweifelt, wollte gern, daß ihm geholfen würde, und weiss nicht wo aus, fängt an, Gott feind zu werden und zu murren usw.

5] Das heißt den Röm. 4: „Das Gesetz erreget Zorn“ und Röm. 5: „Die Sünde wird größer durchs Gesetz.“

Dementsprechend folgt auf das Wort des Gesetz, also dessen lesen oder vernehmen, entweder Verhärtung des Herzens oder die Buße, weshalb Luther sich hiernach auch zuerst zu ihr äußert:

III. Von der Buße

1] Solch Amt [*des Gesetzes] behält das Neu Testament und treibet’s auch, wie St. Paulus Röm. 1 tut und spricht: „Gottes Zorn wird vom Himmel offenbart über alle Menschen“; item 3: „Alle Welt ist vor Gott schuldig“ und „Kein Mensch ist vor ihm gerecht.“ Und Christus Joh. 16: „Der Heilige Geist wird die Welt strafen um die Sünde.“

2] Das ist nun die Donneraxt [der Blitzstrahl] Gottes, damit er beide die offenbarlichen Sünder und falschen Heiligen in einen Haufen schlägt und lässt keinen recht haben, treibt sie allesamt in das Schrecken und Verzagen. Das ist der Hammer (wie Jeremias spricht): „Mein Wort ist ein Hammer, der die Felsen zerschmettert.“ Das ist nicht activa contritio, eine gemachte Reu, sondern passiva contritio, das rechte Herzeleid, Leiden und Fühlen des Todes.

3] Und das heisst denn die rechte Busse anfangen, und muss der Mensch hier hören solch Urteil: Es ist nichts mit euch allen; ob ihr öffentlich Sünder seid oder Heilige, ihr müsst alle anders werden und anders tun, weder [als] ihr jetzt seid und tut, ihr seid, wer und wie gross, weise, mächtig und heilig, als ihr wollt; hier ist niemand fromm.

4] Aber zu solchem Amt tut das Neu Testament flugs die tröstliche Verheissung der Gnade durchs Evangelium, der man glauben solle, wie Christus spricht Marci 1: „Tut Busse und glaubet dem Evangelio“, das ist, werdet und macht’s anders und glaubt meiner Verheissung.

5] Und vor ihm her Johannes wird genannt ein Prediger der Busse, doch zur Vergebung der Sünden, das ist er sollte sie alle strafen und zu Sündern machen, auf daß sie wüssten, was sie vor Gott wären, und sich erkennten als verlorne Menschen und also dem Herren bereitet würden, die Gnade zu empfangen und der Sünden Vergebung von ihm [zu] gewarten und an[zu]nehmen.

6] Also sagt auch Christus Luk. am 24. selbst: „Man muss in meinem Namen in alle Welt predigen Busse und Vergebung der Sünden.“

[…]

Die Buße geschieht also im Aufeinandertreffen von Gesetz und Evangelium und ist ein unabdinglicher Bestandteil der Erlösung. Das Gesetz ohne Evangelium ist Tod, Hölle und Verzweiflung, wobei es jedoch dieses Schreckliche nicht schafft, sondern aufzeigt – in der Gottesferne sind wir schon geboren, das Gesetz aber muss uns zeigen, dass es so ist und dass wir des Evangeliums bedürfen. Ohne schreckliche Botschaft keine gute Botschaft.

Zum Evangelium hat Luther jedoch noch mehr zu sagen, als wir es erwarten. Und in diesen Worten erweist sich das, was die lutherische Theologie von den anderen Theologien der Reformation deutlich unterscheidet und ihre Einheit mit der Kirche zuvor, bis zu den Aposteln hin, bekräftigt:

IV Vom Evangelium.

Wir wollen nun wieder zum Evangelio kommen, welches gibt nicht einerlei Weise Rat und Hilfe wider die Sünde; denn Gott ist überschwenglich reich in seiner Gnade: erstlich durchs mündliche Wort, darin gepredigt wird Vergebung der Sünden in aller Welt, welches ist das eigentliche Amt des Evangelii; zum andern durch die Taufe; zum dritten durchs heilige Sakrament des Altars; zum vierten durch die Kraft der Schlüssel und auch per mutuum colloquium et consolationem fratrum, Matth. 18: Ubi duo fuerint congregati etc.

Gott belässt es nicht dabei durch sein Wort (die Verkündung Gesetz UND Evangelium) und den darin wirkenden Heiligen Geist den erlösenden Glauben an Christus in uns zu schaffen. Er hat auch Mittel gestiftet um uns die Erlösung, das Leben und die Vergebung der Sünden leiblich zuzueignen. Sie sind keine Symbole, sondern Sakramente – Stiftungen, deren Tatsächlichkeit weit tiefer ist als bloße irdische Realität. Mit dem kleinen Katechismus sind sie:

DIE TAUFE, durch die wir tatsächlich und nicht nur symbolisch gerettet werden, in der der alte Mensch getötet und der neuen Mensch geschaffen wird, obwohl beides erst in unserem tatsächlichen Tod und der tatsächlichen Auferstehung unseres Leibes (wie von allen Christen zu allen Zeiten bekannt) vollendet werden wird. Sie ist nicht allein schlicht Wasser, sondern das Wasser in Gottes Gebot gefaßt und mit Gottes Wort verbunden ist, nähmlich „Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Tauft sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.“ (Mt 28,19f). Sie wirkt Vergebung der Sünden, erlöst vom Tod und Teufel und gibt die ewige Seligkeit allen, die diesen Worten und Verheißungen Gottes glauben, nähmlich: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.“ (Mk 16,16). Sie ist durch Gottes Versprechen und den ihm vertrauenden Glauben „ein gnadenreiches Wasser des Lebens und ein Bad der neuen Geburt im Heiligen Geist, wie Paulus sagt zu Titus im dritten Kapitel: „Gott macht uns selig durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geistes, den er ausgegossen hat über uns reichlich durch Jesus Christus, unsern Heiland, damit wir durch dessen Gnade gerecht seien und Erben des ewigen Lebens nach der Hoffnung. Das ist gewißlich wahr.“ (Tit 3,5-8).

DAS ABENDMAHL, nähmlich der wahre Leib und Blut unseres Herrn Jesus Christus, unter dem Brot und Wein uns Christen zu essen und zu trinken von Christus selbst eingesetzt. Darin werden uns „Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit“ direkt und leiblich zuteil. Dies geschieht, weil Gott es so versprochen hat und geschieht dem, der seinem Versprechen glaubt. Somit ist „der ist recht würdig und wohl geschickt das Abendmahl zu empfangen, der den Glauben hat an diese Worte: „für euch gegeben“ und „vergossen zur Vergebung der Sünden“. Wer aber diesen Worten nicht glaubt oder zweifelt, der ist unwürdig und ungeschickt; denn das Wort „für euch“ fordert nichts als gläubige Herzen.

DAS AMT DER SCHLÜSSEL, also DIE BEICHTE, die die besondere Vollmacht ist, die Christus seiner Kirche auf Erden gegeben hat, den bußfertigen Sündern die Sünde zu vergeben, den unbußfertigen aber die Sünde zu behalten, solange sie nicht Buße tun entsprechend der Schrift: „Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein; und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.“ (Mt 16,19)und „Nehmt hin den Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlaßt, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ (Joh 20,22f).Praktisch heißt das, dass der berufene Diener Christi – jeder Ordinierte, also – aus göttlichem Befehl mit uns handelt: im Lossprechen der Sünde und auch im Behalten derselben. Vor allem aber hat hier jeder, der an der Vergebung zweifelt und von seiner Sünde geplagt wird die Möglichkeit die Verantwortung abzugeben und die Vergebung mit göttlicher Authorität zugesprochen zu bekommen.

 

 

One thought on “Dr. M. Luther – Warum das Gesetz nicht v.a. über unser Verhalten sondern über unsere Identität spricht und warum das Evangelium ein „Vier zum Preis von Einem“-Angebot ist

  1. Ina

    Hallo, ich schon wieder…

    Da hat sich ein kleiner Fehler eingeschlichen. Die Beichte ist weder nach Luther noch nach dem Kleinen Katechismus, wie er im Umlauf ist, ein Sakrament. Das solltet Ihr nochmal etwas deutlicher von Taufe und Abendmahl absetzen, damit es nicht zu Missverständnisses kommt bei den Lesern, die Lutherische Theologie erst kennenlernen.

    Der Abschnitt vom Amt der Schlüssel hat in meinem Kleinen Katechismus (Print-Ausgabe zur Konfirmation vor der Erfindung des Internet 😉 ) die Fußnote:
    „Das Stück vom Amt der Schlüssel findet sich ursprünglich nicht im Kleinen Katechismus, geht aber auf Martin Luther zurück.“

    Ist ja auch klar, weil die Beichte – zum Bedauern Luthers – seiner Definition von Sakrament nunmal nicht entspricht: Eine besondere Heils- oder Gnadenhandlung, die auf Einsetzungsworte Jesu zurückgeht UND an ein äußeres Zeichen/Mittel gebunden ist.

    Der ganze Ablauf der Beichte ist ja auch in dem Text, der Eingang in den Kleinen Katechismus gefunden hat, nicht streng vorgeschrieben, sondern Luther bietet da nur einen Vorschlag („Dies soll nur eine Weise der Beichte sein.“).

    Viele Grüße
    Ina

    P.S.
    WER ein Beichtiger ist, ist in meinem Katechismus übrigens nicht so klar geregelt. Gibt es dazu deutliche Worte Luthers, ob das an einen ordinierten Pfarrer gebunden ist?

    Immerhin darf ich als simple getaufte Christin ja sogar in Notfällen taufen (und das ist ein Sakrament im Gegensatz zur Beichte). Und wer das Abendmahl spendet, ist eher eine organisatorische als existentielle Frage. Dazu kommt noch das Amtsverständnis im Lichte des allgemeinen Priesterums.

    Aber vielleicht ist das bei den Lutherisch-Orthodoxen anders?

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