Der Zirkel der Rechtfertigung oder: Auch die geringste Mithilfe ist ausgeschlossen.

Martin Chemnitz erklärt nochmal ausführlich, wie es sich mit der Rechtfertigung verhält. Was soll und kann ich tun? Kann ich vielleicht irgendwie mitmischen? Bestimmt sind meine Taten entscheidend! Und wenn nicht: Hauptsache Liebe! Dann brauchst du auch nichts mehr tun. Oder, Martin?


Macht denn ein solcher Glaube gerecht, der da ohne Buße, ohne guten Vorsatz und ohne [darauf]folgende gute Werke ist?

Nein: denn wo keine Buße ist, sondern ein böser Vorsatz bleibt, in Sünden zu verharren, da kann auch kein rechter Glaube sein. Und wenn der Glaube nicht tätig ist durch die Liebe, sondern ohne gute Werke bleibt, so ist es ein gefärbter toter Glaube / 1.Timoth. 1. Jac. 2. 1.Timot. 5. 2.Petri 1.

Was wird denn durch die Particulas exclusivas [1] ausgeschlossen?

Erstlich, dass weder Buße, noch guter Vorsatz, noch Neuerung, Tugent oder gute Werke das Verdienst oder die Ursache unserer Rechtfertigung oder Versöhnung seien, sondern das Verdienst ist allein Christi und die Ursache allein lauter Gnade Gottes um Christi willen. Zum Anderen, dass wir solches ergreiffen, uns applicieren, annehmen und empfangen – nicht durch ein Werk – sondern dass allem der Glaube als solches Mittel und Werkzeug von Gott verordnet sei. Zum Dritten, dass unsere Rechtfertigung oder Versöhnung nicht auf unserer Erneuerung, Heiligung, Tugent oder guten Werke stehe, sondern allein auf gnädiger Verheißung der Sünde, um Christi willen, den wir allein durch den Glauben ergreifen (Röm. 4). Nostra enim bona opera, no ingrediuntur, circulum, articulum, seu actum iustificationis. Sed ibi sola gratia, solus Christus, sola fides, sola remissio peccatorum regnant. Also ist ein wahrer lebendiger Glaube nicht ohne gute Werke, und gleichwohl macht er gerecht ohne Werke.

Kann der Artikel der Rechtfertigung auch ohne die particulas exclusivas gelehrt werden ?

Paulus, wenn er den Grund legt und wider die falsche Lehre streitet, gebraucht und treibt er die particulas exclusivas, und zeigt damit an, dass der Artikel der Rechtfertigung nicht rein könne behalten werden, wo man die particulas exculsivas fallen lässt und hinweg tut – auf dass nun Christo und der Gnaden Gottes seine gebührliche Ehre gegeben werde, die Gewissen einen beständigen Trost haben und behalten mögen, das Gesetz und Evangelium klar unterscheiden bleibe und das Gebet einen freudigen Zutritt zu Gott haben möge. Um dieser Ursachen willen muss man die particulas exclusivas treiben und behalten im articulo iustificationis [in der Lehre von der Rechtfertigung].

Die Leute missbrauchen es aber, als dürfte man gar nichts Gutes tun?

Dies kann wohl,  soll auch, mit allem Fleiß in allen Predigten und Lehren verwahret werden, wie die Aposteln getan haben: Nämlich, dass man zum ersten gründlic, deutlich und klar anzeig, wie die particulae exclusivae sollen verstanden werden, wie jetzt gemeldet ist.

Zum Andern, dass man die Leute fleißig ermahne, dass sie sich selbst prüfen (2.Cor. 13). Dass sie nicht einen falschen Wahn, einen gefärbten oder toten Glauben haben (2.Cor. 13, 1.Tim. 1, Jakobi 2). Die Probe aber besteht darin, wo keine Buße, sondern ein böser Vorsatz ist, da ist kein rechter Glaube, welcher nicht durch die Liebetätig ist, oder wo keine Werke folgen, da ist ein toter Glaube. Es rechtfertigt aber der Glaube nicht, also und darum, weil er durch die Liebe tätig ist, oder gute Werke gebärt, sondern darum allein, weil er Christum mit seinem Verdiens, in der Verheißung des Euangelii ergreift, wenn dies also deutlich erklärt und unterschieden wird. Wer es darüber missbraucht, der hat sein Urteil (Röm. 3). Nämlich, dass seine Verdammnis ganz recht sei, um des Missbrauchs willen aber, soll man reine nötige Lehre nicht verhindern oder verstummeln.

Werden wir denn allein durch den Glauben nur im Anfang unser Bekehrung gerecht, also, dass wir nach der ersten Bekehrung nicht durch den Glauben allein, sondern zugleich durch den Glauben und gute Werke gerecht seien und das als denn unsere Rechtfertigung nicht in gnädiger Verzeihung der Sünden bestehe, sondern zugleich in der Versöhnung und Heiligung oder Erneuerung?

Der Glaube allein, aus lauter Gnade Gottes – allein um Christi willen – macht gerecht: im Anfang, Mittel und Ende, wie denn Paulus in Röm. 4 darum den Abraham sich vornimmt: nicht, weil der erst bekehrt wurde (Gen. 12), sondern, Gen. 15, da er etliche Jahre Gott im neuen Gehorsam gedient hatte (Hebr. 11). Da stellt Paulus die Frage: Wodurch Abraham gerecht sei, worin und worauf seine Rechtfertigung vor Gott stehe?, da er nicht allein den Glauben, sondern auch viele gute Werke hat, da er nicht allein die Versöhnung, sondern auch die Erneuerung hat. Er spricht aber rund und klar, dass auch da Abraham allein aus lauter Gnaden, allein durch den Glauben, ohne zutun der Werke vor Gott gerecht sei; und dass seine Gerechtigkeit und Seligkeit nicht auf seiner Erneuerung beruhe, sondern allein in gnädiger Versöhnung oder Verzeihung der Sünde bestehe. Röm. 4 und 5 fasst er fein zusammen den Anfang, Mittel und Ende: Durch den Glauben haben wir durch Christum erstlich einen Zugang zu Gottes Gnade. Zum Anderen, dadurch stehen wir in der Gnade. Zum Dritten, dadurch rühmen wir uns der zukünftigen Herrlichkeit. Das meint, wenn wir entgegen kommen sollen zur Auferstehung der Toten, so wollen wir nicht in unserer Gerechtigkeit gefunden werden, die aus dem Gesetz kommt, sondern in der Gerechtigkeit, die durch den Glauben an Christus kommt (Philip. 3). Also will Paulus die Erneuerung, Heiligung und die guten Werke nicht mit gestadten oder einflechten in den Handel oder in den Zirkel und Artikel der Rechtfertigung, weder im Anfang, Mittel oder Ende, sondern in dem Artikel soll alleine Gottes Gnade, allein Christus – allein durch den Glauben regieren.

Warum müssen denn die Erneuerung oder Heiligung und die guten Werke, die doch auch Gottes Gaben sind, aus dem Zirkel der Rechtfertigung, wie Lutherus redet, ausgeschlossen werden?

Darum, weil denn die Erneuerung in diesem Leben nur angefangen wird und nicht vollkommen ist (2.Cor. 4). Die guten Werke sind in diesem Leben, wegen der Sünde, im Fleisch weder vollkommen noch rein (Röm. 7, Jes. 64). So dass nun die Verheißung der Gerechtigkeit, der Seligkeit und des ewigen Lebens fest und gewiss sein möge und Christus seine Ehre bleibe, so muss unsere Rechtfertigung allein auf lauter Gnade, allein um Christus willen, allein durch den Glauben im Anfang, Mittel und Ende stehen (Röm. 4).

Wer nun also aus Gnaden um Christus willen durch den Glauben gerechtfertigt ist, ist dem auch nicht etwas anderes und mehr zur Seligkeit von nöten?

Paulus spricht: Nein (Röm. 4). Denn es ist ein Weg und eine Weise zur Gerechtigkeit und zur Seligkeit, dass eben wie wir gerecht werden, wir auch so selig werden. Ja, wenn wir die Gerechtigkeit des Glaubens haben, so haben wir eben damit und dadurch auch die Kindschaft, die Seligkeit und das Erbe des ewigen Lebens. Wie wir nun gerecht werden – allein durch den Glauben, aus Gnaden, um des Herrn Christi willen, ohne unsere Werke – eben also werden wir auch selig – allein durch den Glauben, aus lauter Gnade, allein um Christus willen, ohne unsere Werke -, wie das Paulus aus gewaltigem Grunde erweist (Röm. 4). Auf dass die Verheißung nicht allein der Gerechtigkeit, sondern auch der Seligkeit, gewiss sei. Gleich wie es nun unrecht ist, wenn man lehrt, dass zu unserer Rechtfertigung unsere guten Werke von nöten seien, und dass niemand ohne seine guten Werke könne gerecht werden. So ist es auch falsch, wenn man sagt, dass zu unserer Seligkeit unsere guten Werke von nöten seien und das niemand könne selig werden ohne seine guten Werke. Denn wie wohl ein rechter Glaube nicht ohne gute Werke sein kann, noch soll, dennoch gehören die guten Werke nicht mit in den Artikel oder Zirkel der Rechtfertigung und der Seligmachung hinein: Denn die Schrift setzt die particulas exclusivas ja so wohl und so stark bei dem Artikel der Seligkeit, wie auch bei dem Artikel der Rechtfertigung (Röm. 4 und 11, Eph. 2, 2.Tim. 1, Tit. 3, etc). Dieser Ursachen halber hat Lutherus genannte Positionen öffentlich aus der Kirchen ausgewiesen und verworfen.

 

Aus: Martin Chemnitz, Enchiridion.

[1] Exklusivpartikel, also die „lutherischen soli“. Hier sind gemeint: solus Christus / allein Christus;  sola gratia / allein die Gnade; sola fide / allein der Glaube. Sola Scriptura / allein die Schrift wird in diesem Absatz nicht behandelt.

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