Wie man die Bibel lesen soll – lutherische Anmerkungen

… tief anbetend gehe ihren Fußstapfen nach.

(Luthers letzte Aufzeichnungen, WA 48, 241)

Die Bibel, die Heilige Schrift ist für das Christentum das wichtigste Buch, wie schon die Begriffe Bibel (das Buch schlechthin) und Heilige Schrift selber erahnen lassen. Es ist Offenbarung und Zeugnis von Gott und seinem Handeln für uns (Lk 24,27; Gal 3,8; 2. Tim 3,16) – in Schöpfung und Erlösung gleichermaßen. Der Charakter der Bibel als die Quelle für die Bezeugung und Mitteilung dessen, was wir vom dreieinigen Gott wissen können, wird schon in den altkirchlichen Bekenntnissen benannt: „auferstanden nach der Schrift“ (Bekenntnis von Nizäa-Konstantinopel). Dennoch ist in den altkirchlichen Bekenntnissen nirgendwo ein Satz zu finden, der lautete, „wir glauben an die Schrift“. Denn wir glauben nicht an die Schrift, sondern an den dreieinigen Gott. Wer aber der dreieinige Gott ist, das teilt uns die Schrift mit: Alles (was den Glauben betrifft) soll nach der Heiligen Schrift beurteilt werden (Traktat von der Gewalt und Macht des Papstes). Und insofern können wir doch sagen, dass wir an die Schrift glauben (Großer Katechismus, 5. Vom Sakrament des Altars) als dem Evangelium, welches Christus selber ist, weil es uns eben nicht nur Geschichten erzählt, sondern Christus bezeugt.

Wie aber sollen wir in der Heiligen Schrift lesen? Dass das nicht immer einfach ist, weiß schon die Bibel selbst (Apg 8,30). Im Laufe der Kirchengeschichte hat es dazu unzählige Bücher, Ratschläge und Anweisungen gegeben. Wir wollen ein paar einseitig ausgewählte Notizen dazu geben. Wie in Apg 8,30 dargestellt, ist für das Verständnis der Heiligen Schrift ein Gesprächspartner, Ausleger, Ratgeber oft sehr hilfreich. Das sind zunächst die Glaubensgeschwister, ferner die Predigt. Beide können jedoch höchst subjektiv sein. In der lutherischen Kirche sind deshalb vor allem anderen die Bekenntnisschriften Zeugnis und Erklärung des Glaubens, wie er von der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments vermittelt wird.

Wenn es nicht um das Verstehen als solches, sondern die Haltung geht, mit der die Heilige Schrift gelesen werden soll, so finden wir gute Hinweise z. B. bei Martin Luther:

Vater Unser, so handle ich mit den Zehn Geboten auch also und hole ein stück nach dem andern, damit ich ja gantz ledig werde (So viel es möglich ist) zum gebet, Und mache aus einem jglichen Gebot ein gevierteltes oder ein vierfaches gedrehetes kräntzlein. Also Jch nehme ein jedes Gebot an zum ersten als eine lehre, wie es denn mit sich selber ist, Und dencke, was unser Herr Gott darinn so ernstlich von mir fordert, Zum andern mache ich eine dancksagung draus, Zum dritten eine beicht, Zum vierden ein gebet […].

Luther, Wie man Beten soll (WA 38, 364f.; sprachlich angepasst)

Weil man Briefe von Königen und Fürsten zwei- oder dreimal, ja oftmals lesen soll, und man sie fleissig anhören [Ps. 1, 2] muss, viel mehr soll man Gottes Wort Tag und Nacht handeln, wie der Erste Psalm saget. Denn es ist eine solche göttliche Weisheit drinnen, die nichtauszugründen ist, noch gar verstanden werden kann, es ist eine unendlicheund unergründliche Weisheit, daran wir alle genung zu studieren haben.

Luther, Reihenpredigt über Johannes 3 (WA 47, 1a; sprachlich angepasst)

Und ist nie keine kunst noch buch auf erden gekommen, das jedermann so bald ausgelernet hat wie die heilige schrift. Und es sind doch ja nicht leseworte, wie sie meinen, Sondern eitel lebeworte darinn, die nicht zum spekulieren und hoch zu dichten, sondern zum leben und tun dargesetzt sind.

(Luther, WA 31 I, 67; sprachlich angepasst)

Die Bibel ist also nicht wie jedes andere Buch zu lesen. Ihrem Charakter entsprechend ist sie mit einer besonderen Haltung zu lesen, als Lebewort, als Wort Gottes. Das bedeutet nicht, dass man die innerhalb der Bibel vorkommenden verschiedenen Genre (Gedicht, historischer Bericht, prophetische Vision) nicht ihrem Charakter  – ihrem sensus naturalis – gemäß lesen darf. Oder, dass man die am Anfang der Christenheit umstrittenen Bücher – die Antilegomena – nicht anders gewichten darf, als die Homologoumena, die von allen stets als Teil des Kanon annerkannt wurden. Und zugleich muss ihr Anspruch, Aufzeichnung der Selbstoffenbarung Gottes und damit selbst heiliges und höchstes Offenbarungsmittel zu sein – der sensus supernaturalis – der alles bestimmende bleiben.

 

 

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