Vom weihnachtlichen und österlichen Esel – über störrige und sperrige Texte anhand von Luther 2017

Kurz vor dem Ende des Weihnachtsfestkreises in diesem Kirchenjahr wollen wir uns noch einmal – ausgehend von einem Weihnachtslied – ein paar grundlegenden Dingen des christlichen Glaubens widmen und sie mit aktuellen kirchlichen Verhaltensweisen im Kontext der neuen Lutherübersetzung kontrastieren. Dazu zunächst ein sehr bekanntes, auch auf Weihnachtsmärkten oft gehörtes, „zuckersüßes“ Weihnachtslied: Vom Himmel hoch, da komm ich her

  1. Vom Himmel hoch, da komm ich her.
    Ich bring’ euch gute neue Mär,
    Der guten Mär bring ich so viel,
    Davon ich singn und sagen will.
  2. Euch ist ein Kindlein heut’ geborn
    Von einer Jungfrau auserkorn,
    Ein Kindelein, so zart und fein,
    Das soll eu’r Freud und Wonne sein.
  3. Es ist der Herr Christ, unser Gott,
    Der will euch führn aus aller Not,
    Er will eu’r Heiland selber sein,
    Von allen Sünden machen rein.
  4. Er bringt euch alle Seligkeit,
    Die Gott der Vater hat bereit,
    Daß ihr mit uns im Himmelreich
    Sollt leben nun und ewiglich.
  5. So merket nun das Zeichen recht:
    Die Krippe, Windelein so schlecht,
    Da findet ihr das Kind gelegt,
    Das alle Welt erhält und trägt.
  6. Des laßt uns alle fröhlich sein
    Und mit den Hirten gehn hinein,
    Zu sehn, was Gott uns hat beschert,
    Mit seinem lieben Sohn verehrt.
  7. Merk auf, mein Herz, und sieh dorthin!
    Was liegt dort in dem Krippelein?
    Wes ist das schöne Kindelein?
    Es ist das liebe Jesulein.
  8. Sei mir willkommen, edler Gast!
    Den Sünder nicht verschmähet hast
    Und kommst ins Elend her zu mir,
    Wie soll ich immer danken dir?
  9. Ach, Herr, du Schöpfer aller Ding,
    Wie bist du worden so gering,
    Daß du da liegst auf dürrem Gras,
    Davon ein Rind und Esel aß!
    […]

Mit Blick auf den Text des Liedes lässt sich sagen: Das ist keine zuckersüße Welt. Es geht um Sünde, Elend und Not. Zumindest werden wir daran erinnert, dass wir diesen ausgesetzt sind, in Not leben; Sünder sind. Und es geht auch um eine Umwertung aller Werte: Das kleine Kind in der Krippe erhält und trägt alle Welt. Nicht unsere Macht, auch nicht unser Bemühen; nicht der Mensch und auch keine andere Kraft. Wir sind die elend Verstoßenen, die nun eine gute Nachricht erreicht. Aber auch das ist keine zuckersüße Botschaft, sondern eine harte. Sie besagt, dass wir nichts tun können, um unserem Elend zu entkommen. Das ist das Gesetz. Sie besagt aber auch, dass uns die Seligkeit durch das Kind, das zu uns kommt, gebracht wird. Das ist das Evangelium.

Ein Ausdruck dieser unverfügbaren guten Botschaft, die uns ereilt und nicht durch uns selbst hergestellt oder verbessert werden kann, findet sich in Strophe zwei: „Von einer Jungfrau auserkorn.“ Eine von Gott ausgewählte Frau. Nicht sie hat Qualitäten mitgebracht, sondern ihr wurde Qualität übereignet. Nicht sie hat geschaffen, sondern in ihr wuchs, in ihr wurde gezeugt. Das ist die Bedeutung der Jungfrauengeburt: Unser Wollen hat nur insofern Relevanz als es sich dem (hier vom Engel verkündeten) Willen Gottes freudig zustimmt oder sich ihm entgegenstellt.

Damit sind wir bei einem Thema, welches zum Weihnachtsfest viele Probleme bereitet und regelmäßig zu Auseinandersetzungen und sogar kircheninternem Streit führt: Die Jungfrauengeburt. Wo kommt die Idee eigentlich her? Natürlich aus Matthäus 1,18-23: „Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe sie zusammenkamen, dass sie schwanger war von dem Heiligen Geist. Josef aber, ihr Mann, der fromm und gerecht war und sie nicht in Schande bringen wollte, gedachte, sie heimlich zu verlassen. Als er noch so dachte, siehe, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist. […] Das ist aber alles geschehen, auf dass erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Jesaja 7,14): »Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns.“ (Luther 2017)

Die Lutherbibel 2017 bietet hier zu dem Wort Jungfrau die Anmerkung „wörtlich: »junge Frau«“. Damit wird in einer Diskussion der Exegese[1] mit einer Argumentation Position bezogen, die zusammengefasst folgendermaßen verläuft: Eine Jungfrauengeburt ist natürlich (nach dem Weltbild des modernen Menschen) nicht möglich. Also kann sie nicht stattgefunden haben. Das hat sie auch nicht, aber der Autor des Matthäus-Evangeliums meinte, er müsse das suggerieren, weil er sich auf den Jesaja-Ausspruch beziehen wollte. Nun, schauen wir ins Wörterbuch zu dem in der Jesaja-Stelle verwendeten Wort, so finden wir, dass das Wort sowohl „Jungfrau“ wie auch „junge Frau“ bedeuten kann. Und in der griechischen Übersetzung des AT (Septuaginta) ist dieser Begriff dann mit einem Wort übersetzt, welches eindeutig „Jungfrau“ meint. Aha! Die Übersetzung „Jungfrau“ ist eine Fehlübersetzung, aufgrund welcher Matthäus auf diese Idee gekommen ist.

In unserer modernen Kultur haben sich „Jungfrau“ und „junge Frau“ semantisch recht klar auseinanderdifferenziert. Jedoch sollte auch uns klar sein, dass sie sich in keiner Weise ausschließen, und so sind die Begriffe auch im Alten Testament keineswegs eindeutig voneinander abgesetzt, sondern mit noch größerer Wahrscheinlichkeit synonym. Die „alma“, so das hebräische Wort, taucht z.B. in der Genesis auf – als Rebekka, die zukünftige Frau des Isaak, also junge Frau und im Kontext der damaligen Kultur mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch als Jungfrau. Sie bezeichnet aber auch die Schwester des im Schilfkorb ausgesetzten Mose, also ein unverheiratetes Mädchen. Die Bedeutung des Begriffes erschließt sich also aus seinem jeweiligen Kontext, wobei natürlich oft beide Bedeutungen zugleich zutreffen. Insofern hat die Septuaginta schon Recht mit ihrer Übersetzung. Eine „junge Frau“ war damals im Allgemeinen eine „Jungfrau“. Im Kontext der Prophezeiung bleibt die erste Bedeutung ohne richtigen Sinn. Junge Frauen, die Kinder bekommen, sind nichts übernatürliches, sondern das Übliche. Die Wichtigkeit der Prophezeiung in ihrer Zeit – einer unsicheren Lage, Kriegsbefürchtungen etc. – und damit ihr Aufschreiben und Überliefern ergibt sich nur dann, wenn der Prophezeiende wirklich von etwas Außergewöhnlichem gesprochen hat, in diesem Fall eben von einer Jungfrau.

Nun zu Matthäus: Wenn die Geburt Jesu nicht außergewöhnlich war, hätte er (und ebenso Lukas) eine Jungfrauengeburt herbeifabulieren können? Nun, die Prophezeiung Jes. 7,14 ist ganz eingebettet in ihre zeitgeschichtliche Situation, Judäa unter König Ahas. Sie bleibt nicht „für die Nachwelt offen“ und „muss dermaleinst noch erfüllt werden“. Sie macht keine Lüge notwendig, welche auch nach der Zeit von maximal zwei Generationen, die zwischen Jesu Tod und dem Matthäusevangelium liegen, wohl doch zu offensichtlich gewesen wäre[2].

Eine Jungfrauengeburtslüge war weder notwendig, noch sinnvoll. Zu viele Mitwisser hatten ihr Wissen der Nachwelt überliefert, als dass es nicht zu Widerspruch gekommen wäre (die mit zahlreichen Legenden geschmückten sog. Kindheitsevangelien sind ja nicht umsonst damals schon verworfen worden, weil sie eben Fiktion waren). Die Jungfrauengeburt ist aber ausschlaggebend für unseren Glauben. Es gibt sie nicht, weil Gott sie braucht, sondern weil er sie wählt, auch um uns Menschen willen. Gott schläft nicht mit Maria (so wie ein Zeus mit Europa), er wirft aber Jesus auch nicht einfach vom Himmel herunter (doketische Position). Gottes Menschwerdung vollzieht sich so, wie er es vorhersagen lassen hat.

Die Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria ist nach dem Zeugnis der Kindheitsevangelien ein geschichtliches

Ereignis von entscheidender Bedeutung für das Verständnis Jesu als Christus. Es entzieht sich aber einer

historischen oder biologischen Verifikation mit den heutigen Methoden der Geschichts- und Naturwissenschaft.

(Thomas Söding)

Der Bericht des Matthäus durchbricht natürlich unser Weltverständnis, denn er erzählt von einem übernatürliches Ereignis. Er ist wie der Esel Bileams, der einfach nicht den Weg geht, den wir wollen. Biologisch ist es für uns nicht nachvollziehbar, was berichtet wird, wir können den Ablauf nicht auf einem Schaubild aufmalen, er bleibt ein Geheimnis. Bezüglich der historischen Verifikation kann jedoch über das eben zitierte Fazit hinausgegangen werden: Die Quellenlage, welche für die historische Nachprüfung von Berichten ausschlaggebend ist, ist im Fall des Neuen Testaments recht gut – verglichen mit anderen historischen Ereignissen. Ob man der Erzählung Glauben schenkt oder sie negiert, ist eine andere Sache. Die Jungfrauengeburt als Fehlübersetzung hinzustellen und so eine eindeutige Textlage zu ignorieren, weil sie die Grenzen unseres Weltbilds nicht anerkennt, ist jedoch anmaßend und unwissenschaftlich.

In einem anderen Fall einer Prophezeiung, welche auf Jesus gedeutet wurde, liegt dies in der neuen Lutherübersetzung (und auch schon in der letzten) ebenso klar auf der Hand: Jes. 53. „Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war.“ (Luther 2017, V. 9). Nun, im Hebräischen steht statt des Übeltäters „Reicher“ und der Satz lautet: Und man gab ihn Übeltätern zum Grab und bei einem Reichen ist er gestorben. Die Überlegung der Übersetzer scheint hier nun zu lauten: Es kann ja nicht sein, dass „reich“ auftaucht, wenn von Übeltätern die Rede ist. Wir nehmen also wir hier einen größeren Schreibfehler an, tauschen ein paar Buchstaben aus, und bekommen einen „Gottlosen“. Das passt doch viel besser, ist es doch ein hebräisches Stilmittel, eine Sache mit zwei ähnlichen Worten auszudrücken (vgl. Psalmen).

Die Verfasser des neuen Testaments hatten mit dieser Stelle natürlich kein Problem. Denn sie passt problemlos auf Jesus, der zusammen mit Verbrechern am Kreuz hing, aber im Grab eines Reichen begraben wurde. Doch diese Deutung auf Jesus hin scheint den Übersetzern und Auslegern der Stelle ein Greuel. Doch selbst, wenn die Worte lediglich in ihrem „reinen historischen Kontext“ wahrgenommen werden sollen: Es gibt auch hier eine eindeutige Textsituation. Nun passt sie nicht in unser Bild von textlicher Kohärenz. Aber werden nicht gerade die „kritischen“ Theologen nicht müde, die Inkonsistenzen der Bibel zu betonen?

Mit diesem Beitrag zur eingeschränkten Offenheit gegenüber Dingen des Glaubens, die von unserem Weltbild abweichen, sind wir damit schon weit in die Osterzeit hineingeraten, auf die nun bald auch das Kirchenjahr seinen Blick richtet. Zu Ende geht der Weihnachtsfestkreis und die Freude über die Geburt Jesu wird ergänzt durch das ruhige Gedenken an sein Leiden – beides steht in einer Linie, die auf die Auferstehung verweist. Geburt und Tod stehen im Dienst des Lebens.

*Klärende Anmerkung von Sven Wagschal:

„Nur, um das noch deutlicher zu machen: Bei Matthäus steht keine Anmerkung, dort ist eindeutig nur von Jungfrauengeburt die Rede. Die Anmerkung steht ausschließlich bei Jesaja. Und der Übeltäter ist leider schon in 64-er Text zu finden, dort allerdings noch mit der Anmerkung: Hebräisch wörtl. „bei einem Reichen“. Immerhin.“

 

[1] Bibelauslegung

[2] Die Forschung selbst kennt als spätestes Entstehungsdatum des Evangeliums die Zeit „um das Jahr 100 n.Chr.“; ob diese Datierung sinnvoll ist, muss ein anderes Mal besprochen werden. Wenn Jesu Jünger ungefähr sein Alter teilten, so hatten sie einerseits Zeit, von seiner Geburtsgeschichte zu hören (Maria lebte ja noch, wie die Evangelien zeigen), andererseits aber lebten sie noch mindestens bis ins Jahr 60.

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