Essgewohnheiten – Unsere Serie zur Abendmahlsgemeinschaft – 1) Die Geschichte der Leuenberger Konkordie

Anmerkung der Redaktion:

In Zeiten des Reformationsjubiläums gibt es nicht wenige Stimmen, die, weil sie keine Unterschiede zwischen den Kirchen mehr finden können (oder wollen) eine gemeinsame, ökumenische Kirche fordern. Dazu ist aber zunächst zu fragen, wie es um die Einheit innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland (die ja lediglich einen Bund von Kirchen und keine Kirche ist) bestellt ist. Die Aufhebung lehrmäßiger Trennungen zwischen lutherischen, unierten und reformierten Kirchen, auf der die – heutigen Generationen als selbstverständlich erscheinende – Praxis der allgemeinen Abensmahlsgemeinschaft beruht, wird in dem Dokument „Leuenberger Konkordie“ postuliert. Diese Leuenberger Konkordie ist offiziell nicht den Bekenntnissen der Lutherischen Kirche gleichgestellt. Sie erfährt aber dennoch besondere Beachtung, denn die von ihr begründete Gemeinschaft soll durch die VELKD „gewahrt und gefördert werden“ (Art 3.2 Verfassg. d. VELKD). Damit ist sie ebenso wichtig für das Leben der Kirche, wie die Lutherischen Bekenntnisse. In ihren täglichen Konsequenzen hinsichtlich der gottesdienstlichen und kirchlichen Praxis mag man sie sogar empirisch als noch bedeutsamer einstufen. Wir wollen uns im Vorfeld des 45. Jahrestages auf diesem Blog kritisch mit Leuenberg beschäftigen und die theologischen Probleme, die sie nicht geklärt bzw. hervorgerufen hat, benennen. Zu Anfang erfolgt eine Einführung in die Entstehungsgeschichte der Leuenberger Konkordie, dargestellt durch den stellvertretenden Vorsitzenden des Lutherischen Einigungswerkes, Prof. Dr. Karl-Hermann Kandler:

 

Die Leuenberger Konkordie

1973 wurde die Leuenberger Konkordie von lutherischen, reformierten und unierten Theologen aus verschiedenen Ländern verfasst. Aus Sachsen war Oberlandeskirchenrat Dr. Tannert an ihr beteiligt. Bei keiner Gegenstimme und vier Enthaltungen (darunter der Lutheraner Jörg Baur) wurde sie angenommen.

Ihr gingen zahlreiche Lehrgespräche voraus. Antrieb war die EKD-Grundordnung, die 1948 festgestellt hatte, dass es innerhalb der Evangelischern Kirche in Deutschland unterschiedliche Auffassungen über das heilige Abendmahl gäbe. Die EKD war ein Bund bekenntnisverschiedener Kirchen ohne Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Auch die Arnoldshainer Abendmahlsthesen von 1957 fanden bei den lutherischen Kirchen keine einhellige Zustimmung. Man bezeichnete sie als ein „Studiendokument“.

Damit gab man sich auf reformierter und unierter Seite nicht zufrieden. Eine 2. Abendmahlskommission wurde eingesetzt, sie stellte ohne erneute theologische Debatte 1967 fest, dass in allen Gliedkirchen der EKD eine „offene Kommunion“ praktiziert werde, also auch Glieder einer reformierten oder unierten Kirche in der lutherischen Kirche und umgekehrt zum Abendmahl zugelassen werde, doch wurde den das Abendmahl feiernden Geistlichen die „seelsorgerliche Verantwortung“ darüber zugesprochen. Die reformierten Kirchen boten den Lutheranern Kirchengemeinschaft an, worauf die Lutheraner gemeinsame Lehrgespräche anboten. Auch der Ökumenische Rat der Kirchen und die beiden konfessionellen Weltbünde, der Lutherische und der Reformierte Weltbund, sprachen sich für dafür aus. So kam es zu mehrfachen Lehrgesprächen – diesmal aber zunächst nicht zur Abendmahlsfrage. Der lutherische Neutestamentler Leonhard Goppelt begründete das so: „Die Abendmahlsfrage (wurde) nicht aufgenommen, weil die Arnoldshainer Thesen erwiesen, daß hier keine [die] beiden Konfessionen trennenden Unterschiede mehr vorliegen“.

Das entsprach nicht den Tatsachen. Hans Graß hatte 1961 erklärt, dass die durch die Thesen „von den Lutheranern geforderten Opfer zweifellos größer (sind) als die der Reformierten“. Die neuen Gespräche wurden 1964-1967 in Bad Schauenburg geführt. Verabschiedet wurden Thesen zu den Themen Gesetz, Wort Gottes und Bekenntnis. Deren Ergebnisse waren aber offensichtlich vielen zu akademisch. Die Gespräche wurden abgebrochen und neu auf dem Leuenberg ab 1969 geführt. Ziel war erklärtermaßen die Herstellung von Kirchengemeinschaft zwischen den lutherischen, reformierten und unierten Kirchen. Es ging also nicht mehr um einzelne Themen, sondern pragmatisch um das Thema „Kirchengemeinschaft und Kirchentrennung“. Anstoß dazu geben dazu die „Thesen zur Kirchengemeinschaft“ der deutschen Landeskirchen. Zu den Gesprächen wurden nun auch verwandte vorreformatorische Kirchen (Waldenser, Brüder-Unität) eingeladen.

1971 wurde der Entwurf einer Konkordie der Öffentlichkeit übergeben und um Stellungnahmen und gegebenenfalls Änderungswünsche gebeten. Die eingehenden Änderungswünsche führten wohl Präzisierungen im Text, aber keine grundsätzliche Korrektur. Doch eine wesentliche Korrrektur wurde bei dem Abschnitt über die Taufe vorgenommen, denn im Entwurf war nicht zu lesen, dass diese mit Wasser zu vollziehen sei. Dahinter stand die Ablehnung der sakramentalen Wassertaufe bei Karl Barth. Im endgültigen Text ist festgehalten, dass sie „im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes mit Wasser vollzogen“ wird. Behauptet wird im Text der Konkordie, dass es ein gemeinsames Verständnis des Evangeliums gibt und dass es eine Übereinstimmung der bisher kontrovers gesehenen Lehren von Taufe, Abendmahl, Christologie und Prädestination (Vorherbestimmung/Erwählung) gäbe. Der elsässische Lutheraner Marc Lienhard hatte das grundlegende Referat gehalten. Ihm ging es darum, festzustellen, dass es keine Hinderungsgründe mehr für eine Kirchengemeinschaft zwischen den konkordierenden, also der Konkordie zustimmenden Kirchen mehr gibt. Er meinte, es sei „eine Revision der Verwerfungen der Vergangenheit möglich wie auch notwendig“. Es wurde aber letztlich nicht gefragt, ob noch solche Hinderungsgründe bestehen, sondern von vornherein festgestellt, dass es solche nicht mehr gäbe. Immerhin hat Lienhard festgehalten: „was einmal als Verfehlung des Evangeliums erkannt ist, kann nicht durch eine neue Situation Wahrheit werden“. So heißt es auch im Konkordientext, dass man „die Entscheidungen der Väter ernst“ nimmt. Die geschichtlichen Veränderungen würden die alten Sachdifferenzen nicht aufheben, aber sie würden sie relativieren. So glaubte man, auf eine „prozessual gewagte Kirchengemeinschaft“ eingehen zu können, weil, so wurde behauptet, die gegenseitigen Verwerfungen in den Bekenntnisschriften den Partner heute nicht mehr träfen. Man wollte endlich ein Ergebnis, eine Kirchengemeinschaft haben.

So kam es zu den kompromisshaften Formulierungen der Leuenberger Konkordie, die schließlich 1973 beschlossen und den an den Gesprächen beteiligten Kirchen zur Annahme übergeben wurden: „Kirchengemeinschaft im Sinne dieser Konkordie bedeutet, dass Kirchen verschiedenen Bekenntnisstandes aufgrund der gewonnenen Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums einander Gemeinschaft an Wort und Sakrament gewähren und eine möglichst große Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst an der Welt erstreben.“ Es gibt zwar außer in der Abendmahlslehre, Christologie und Prädestinationslehre weitere strittige Fragen, etwa zur Lehre von den beiden Reichen oder zum geistlichen Amt. Darum verpflichtete man sich zu weiteren Lehrgesprächen über die bisher noch nicht behandelten Probleme. Sie sind auch inzwischen geführt worden. Zwar sollen die jeweiligen Bekenntnisschriften weiterhin gelten, aber sie werden durch die Konkordie  – entgegen zum ihrem Wortlaut –  als ein Superbekenntnis überlagert. Der Konkordientext spricht nicht von einer durch sie begründeten Kircheneinheit, aber von einer Kirchengemeinschaft. Das Lutherische Einigungswerk hat nach Annahme der Konkordie dagegen beim Verwaltungs- und Verfassungsgericht der Vereinigten Ev,-Luth. Kirche geklagt. Dieses hat zwar die Klärung der Frage, ob sie nicht gegen das Bekenntnis verstoße, als berechtigt anerkannt, aber diese an die Kirchenleitung der VELK(DDR) zurückgegeben. Eine Klärung ist nie erfolgt.

Angenommen wurde die Konkordie zunächst von 50 europäischen Kirchen (in Deutschland von allen Landeskirchen). Eine Reihe von lutherischen Kirchen – vor allem skandinavische – haben Vorbehalte vorgebracht und sie nicht unterzeichnet. Die Selbständige Ev.-Luth. Kirche lehnt sie ab. Heute wird in der EKD und ihren Gliedkirchen vielfach argumentiert, dass durch die Konkordie Geistliche aus einer der anderen konkordierenden, aber bekenntnisverschiedenen Kirchen übernommen werden können. So wurde ein reformierter Pfarrer Bischof einer lutherischen Landeskirche (Braunschweig). Die Bekenntnisunterschiede sind also in der Praxis völlig relativiert.

Prof. Dr. Karl-Hermann Kandler, Stellv. Vorsitzender des Lutherischen Einigungswerkes

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