Essgewohnheiten – unsere Serie zur Abendmahlsgemeinschaft – 3) Über die Notwendigkeit der Einheit

Auch im Jahr 2017 werden die Rufe nach Kircheneinheit laut. Meist werden sie damit begründet, dass die Trennungen die Realität nicht mehr abbilden: „An der Basis wird sowieso schon gemeinsam Abendmahl gefeiert.“ Was vor 500 Jahren war, sei doch egal, der einzige Grund, warum es heute noch keine gemeinsame Kirche gebe, sei die Schwerfälligkeit der Kirche sowie das Beharren auf Ämtern. Die Frage, die mit den Verweisen auf Pragmatismus, derzeitige Probleme und Denkweisen verschwiegen wird, lautet aber doch zunächst: Wann ist kirchliche Einheit tatsächlich möglich – und dann muss weiter gefragt werden: Ist eine mögliche Einheit nicht auch notwendig zu vollziehen? Was bedeutet Einheit? Ist die Einheit formal, inhaltlich, kongruent, konsensual zu vollziehen, oder reicht eine Absichtserklärung, dass man sich nicht mehr die Köpfe einschlagen will? In den Diskussionen um den kirchlichen Neuanfang nach dem zweiten Weltkrieg hat Prof. Dr. Ernst Sommerlath eine ausführliche Thesenreihe genau zu diesen Fragen aufgestellt. Sie beschäftigt sich mit der Frage nach der Einheit lutherischer Kirchen sowie der Einheit mit reformierten und unierten Kirchen, weshalb sie als Teil unserer Serie zur Leuenberger Abendmahlsgemeinschaft erscheint. Sie ist natürlich aber auch ein Kommentar zu derzeitigen ökumenischen Diskussionen.

 

Thesen Ernst Sommerlaths, 1947:

I. Von der Einheit der Kirche. Die wichtigste Aufgabe, die uns heute gestellt ist, betrifft die Klärung der Bedingungen, unter denen die Einheit der Kirche zustande kommen kann.

  1. Die schmerzliche Zertrennung der Kirche darf unter uns nie als ein Zustand empfunden werden, an den wir uns gewöhnt haben. Die Bitte um Wiedervereinigung darf unter uns nie aufhören.
  2. Wenn wir uns zur lutherischen Kirche bekennen, so bedeutet das nicht Erstarrung und Verengung in einer Konfessionskirche. Wir dürfen uns zur lutherischen Kirche nur bekennen, wenn wir in ihr die Weite der einen apostolischen Kirche des Neuen Testaments meinen und überzeugt sind, sie in ihr zu finden.
  3. Für die Wiederherstellung der Einheit bedürfen wir der Liebe und der Wahrheit in gleicher Weise: Wahrheit nicht ohne Liebe, Liebe nicht ohne Wahrheit.
  4. Die Einheit darf nicht in falscher Weise gesucht werden.
    1. Es kann sich nahe legen, die Einheit so zu gewinnen, daß man sie unter Rückgang hinter die geschichtlich gewordenen Lehrunterschiede in einem Consensus der alten Kirche oder in der noch unentfalteten Einheit des Neuen Testamentes sucht. Solches Absehen von der geschichtlichen Entwicklung gewährt keine dauernde und haltbare Gemeinschaft. Denn die Geschichte läßt sich nicht rückwärts überspringen. Das zeigt sich einmal daran, daß die einmal in der Geschichte aufgebrochenen Gegensätze fortwirken und sich – wenn auch oft unter anderen Formen – erneuern, es sei denn, daß sie verarbeitet und überwunden werden. Das zeigt sich auch darin, daß auch bei dem Rückgang auf das Neue Testament oder die alte Kirche die geschichtliche Entwicklung gar nicht abgestreift werden kann. Denn die so gefundene Einheit ist meist gar nicht die echte Einheit des Neuen Testamentes, sondern eine bestimmte, zeitgeschichtlich bedingte Ausdeutung, die, weil sie ungeprüft und willkürlich ist, nur um so einseitiger wirkt.
    2. Die Einheit des Bekenntnisses kann auch nicht so gewonnen werden, daß sie im Grunde nur aus der Indifferenz gegenüber den Glaubensunterschieden wächst. Ein Lehrunterschied ist noch nicht deshalb als aufgehoben zu betrachten, weil der kurzsichtig und trübe gewordene Blick seinen Sinn nicht mehr zu erfassen vermag.
    3. Die Einheit des Bekenntnisses kann sich darum auch nicht allein auf einem Erlebnis, etwa dem des gemeinsamen Kampfes, gründen, es sei denn, daß das gemeinsame Erleben auch zu gemeinsamen Erkenntnissen führt. Wenn auch alle Glaubensgemeinschaft in einem gemeinsamen Erlebnis wurzelt, so hat doch das Bekenntnis der Tatsache Rechnung zu tragen, daß im Neuen Testament der Lehre ein besonderes Gewicht zukommt. Wenn der Herr der Kirche die Jünger aussendet, um zu lehren, so muß auch gemeinsames Erleben zu gemeinsamer Lehre führen. Diese wird in Bekenntnissen ausgesprochen.
    4. Einheit des Bekenntnisses ist auch nie durch Nebeneinanderstellen und Stehenlassen der Unterschiede zu gewinnen. Das wäre nur möglich, wenn die Unterschiede nur als Ausdruck individuellen Reichtums angesehen werden könnten. Das sind sie weithin auch. Viele Unterschiede entstammen der natürlichen Verzweigung und Entfaltung der einen Heilswirklichkeit. Aus dieser Tatsache erwächst die Pflicht, voneinander zu lernen, auch wenn weitreichende Unterschiede bestehen. Die Unterschiede sind aber nicht Ausprägungen der einen Heilswirklichkeit, sondern auch Abirrungen und fehlsame Abweichungen von der Wahrheit. Sie erfordern in dieser Hinsicht nicht unentschiedenes Nebeneinanderstellen, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung. Auch darin sind die Unterschiede ernst zu nehmen, daß sienie bloß einzelne „Stücke“ des Glaubens betreffen, die isoliert nebeneinander stünden, sondern daß sie immer auch auf einen Unterschied der Gesamthaltung zurückgehen. Die Auseinandersetzung hat daher immer auf dieser tieferen Ebene zu erfolgen.
    5. Auch die Einheit unseres Volkes, so sehr sie uns am Herzen liegt, kann nicht das Motiv für die Einigung der Kirche abgeben. Um der Wahrheit willen mußte Luther die schmerzliche Zerreißung unseres Volkes in zwei Kirchen in den Kauf nehmen. So sehr wir eine Zusammenschließung unseres Volkes in einem Glauben wünschten, so ist doch die Kirche ihrem Wesen nach nicht Nationalkirche („ein Volk, ein Glaube, eine Kirche“), sondern Bekenntniskirche.
  5. Die Einheit kann nur verwirklicht werden, wenn diese Einheit die Einheit des Leibes Christi ist.
    1. Leib Christi ist die Kirche nur, wenn Christus als „Ich der Kirche“ in ihr gegenwärtig ist.
    2. Gegenwärtig ist er nur da, wo er selbst seine Gegenwart durch Gnadensetzung bewirkt. Diese Gegenwart hat er an die reine Lehre seines Wortes (Joh. 17, 11.12.20.21), an die rechte Verwaltung der Taufe (1. Kor 12, 12.13) und des Heiligen Abendmahles (1. Kor 10, 16.17) geknüpft.
    3. Die Einheit der Kirche ist also nur da gegeben, wo Übereinstimmung in der Lehre und in der rechten Verwaltung der Sakramente vorhanden ist (C.A. VII und VIII).
    4. Alles andere kann nützlich und erstrebenswert sein; dies eine ist not. Diese Einheit ist genug, auch wenn die Kirche infolge anderer Umstände noch so zersplittert wäre, und umgekehrt keine noch so straffe, auf andere Weise durchgeführte Vereinheitlichung kann diese Einheit ersetzen.
    5. Nur diese Einheit ist von Dauer.

[…]

IV. Abendmahlsgemeinschaft.

  1. Eine Zulassung von Angehörigen anderer Konfessionen zur lutherischen Abendmahlsfeier ist in einzelnen Fällen, in denen eine Not vorlag, und gastweise immer geübt worden. Sie kann aus seelsorgerlichen Gründen zugestanden werden, wenn nicht seelsorgerliche Gründe die Zulassung unmöglich machen.
  2. Voraussetzung ist, daß der lutherische Charakter der Abendmahlsfeier durch die Bekenntniszugehörigkeit des Liturgen, in der Verkündigung, der Liturgie und dem Brauch gewahrt bleibt.
  3. Die Zulassung zum Heiligen Abendmahl, die aus seelsorgerlichen Gründen zugestanden wird, kann nicht als Anspruch rechtlich festgelegt werden.
    1. Innerhalb der lutherischen Kirche besteht die seelsorgerliche Pflicht, die Kommunikanten über das Wesen des Heiligen Abendmahls zu unterweisen und solche, die bewußt in Verkennung des sakramentalen Charakters des Abendmahls „den Leib des Herrn nicht unterscheiden“ (1. Kor 11, 29), nicht zuzulassen. Kein das Sakrament verwaltender Pfarrer der lutherischen Kirche könnte durch gesetzliche Regelung gezwungen werden, seine seelsorgerlichen Pflichten zu verletzen.
    2. Wenn auch bei den der lutherischen Kirche angehörenden Kommunikanten ein gewisses Maß von kirchlichem Unterricht und kirchlicher Unterweisung vorausgesetzt werden kann, so bedarf die seelsorgerliche Pflicht bezüglich des Abendmahls infolge der Schwierigkeiten in großen Gemeinden einer neuen und treueren Handhabung.
  4. Abendmahlsgemeinschaft ist Kirchengemeinschaft. Eine allgemein geübte Abendmahlsgemeinschaft ist daher nach lutherischem Bekenntnis unmöglich, wenn die für die Einheit nötigen Voraussetzungen der Einheit der Lehre und der Verwaltung (C.A. VII und VIII) nicht vorliegen. Eine gemeinsame Verwaltung der Sakramente innerhalb derselben Abendmahlsfeier oder eine wechselweise Vertretung seitens der Diener von bekenntnisverschiedenen Kirchen bedeutet eine Verletzung des lutherischen Bekenntnisses, die sich nicht nur für die Wertung des Sakramentes, sondern für das ganze gemeindliche Leben innerhalb der lutherischen Kirche unheilvoll auswirken würde.“

Aus: Paul Fleisch, Für Kirche und Bekenntnis. Geschichte der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz. Berlin 1956, 121-124

 

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