Was man von der evangelischen Kirche erwarten kann – Bedingungen für echte Ökumene.

Die lutherische Reformation war von ihren Anfängen her nicht darauf ausgerichtet, eine Kirchenspaltung herbeizuführen. Luther und die anderen dachten stets daran, die gesamte Kirche zu reformieren, d.h. zurück zur der christlichen Lehre zu führen, die auf Christus und seine Apostel zurückgeht und von der Urkirche verteidigt und klar ausgeformt wurde. Für diese Kirche setzten sie sich ein, für diese Kirche dachten, sprachen und schrieben sie. So sind auch die Lutherischen Bekenntnisse keine Abspaltungserklärungen, sondern Wiederholungen jener gemeinsamen Lehre der Kirche in dem Willen und Bewusstsein, dass, wie wir alle unter Einem Christus sind und streiten, [so leben wir] auch alle in Einer Gemeinschaft, Kirche und Einigkeit“ (CA, Vorrede). Die Kirchentrennung wurde im Prinzip erst mit dem Trienter Konzil festgeschrieben, in welchem sich die katholische Kirche ihre Gestalt gab. Die kirchliche Trennung war aber zugleich auch Folge historischer Konstellationen. Letztlich waren beide Seiten überzeugt, nicht mehr miteinander sein zu können, nicht mehr denselben Glauben zu lehren, überzeugt, dass der Andere nicht nur anders, sondern falsch liege. So gab es Auffassungen, von denen die Reformatoren bei allem Willen zur Einigkeit nicht abgehen konnten. Auch diese wurden öffentlich dargelegt (CA, Zweiter Teil). Eine Differenz in Punkten, die als heilswichtig Positionen nachgewiesen oder in diesem Sinne verstanden wurden, ließ und lässt letztendlich eine Einigung nicht zu. Daneben gab es Unterschiede, die mehr praktischen Erwägungen Folge trugen, aber nicht entscheidend waren, sogenannte Adiaphora (Mitteldinge).

Angesichts des Reformationsjubiläums 2017 werden von einigen Seiten allerdings alle Unterschiede zwischen den Konfessionen zu Adiaphora erklärt. Soll diese Ansicht überprüft werden können, so muss zunächst erst einmal gefragt werden, was denn diese unterschiedlichen Positionen sind, um dann zu entscheiden, inwieweit sie verhandelbare Mitteldinge oder unveräußerliche Grundlagen des christlichen Glaubens sind. Während es hierbei jedoch vergleichsweise verbindliche Äußerungen auf römisch-katholischer Seite gibt, nämlich die verschiedenen Konzilserklärungen, fehlt dies auf Seiten der deutschen evangelischen Kirche, der EKD, die sich seit einiger Zeit als Kirche – und nicht nur als ein Bund von Kirchen – betrachtet. Sie eint kein verbindendes und verbindliches Bekenntnis, welches ihre apostolische und allgemeine Kirchenzugehörigkeit erklärt, sie eint nur ihre Existenz als Organisation, der Fakt also, dass sie nun mal da ist. Damit weißt die EKD ein entscheidendes kirchliches Defizit auf: „Kirche ist von ihrem Ursprung her immer bekennende Kirche.“[i] Sie bekundet damit, dass „sie nicht aus eigenen Kräften, sondern durch ihren Herrn und Schöpfer lebt.[ii] Was heißt das? Dass Kirche im Glauben und Bekennen bestimmter Inhalte besteht. Gerade die reformatorische Wiederentdeckung der Tatsache, dass Gott den Sünder rechtfertigt und nicht dieser sich selbst, kommt somit zum Beispiel völlig zu kurz. Die EKD versteht sich als Kirche, die einfach durch sich existiert und sich nach eigenem Gutdünken um- und fortschreibt, nicht als durch ihren Herrn und Schöpfer ins Dasein gerufen und erhalten. Die Bekenntnislosigkeit der EKD verdeutlicht dabei, dass sie mit den Kirche überhaupt erst begründenden Inhalten, die durch die Reformation, aber auch von der Gemeinschaft der Christen über die Zeiten hinweg bekannt wurden, nur insofern zu tun hat, als dass sie diese selber für wahr oder falsch, für aktuell oder veraltet einordnen will.

Somit wird im Jahr 2017 ein ökumenischer Dialog geführt, der auf evangelischer Seite oft genug lediglich nach den Gemeinsamkeiten der römisch-katholischen Kirche mit Martin Luther fragt. Dabei lässt sich schnell feststellen, dass dieses Gespräch die Ökumene nicht weiterbringen kann. Zum Einen, weil Luther viele Positionierungen erlaubt, was mit dem heute grassierenden Fehlen epistemologischer Grundlagen ja für fast alle Dinge der Fall ist. Zum Anderen, weil Luther nicht die evangelische Kirche ist. Römisch-katholische Christen werden zu Recht fragen: Was ist denn die evangelische Kirche, welche verbindenden Grundlagen hat sie? Sie stellen fest, dass es kein Gegenüber, keinen Gesprächspartner gibt, mit dem sie verbindlich sprechen können. Das verwundert nicht, steht ihnen doch mit der EKD eine selbsternannte Kirche gegenüber, die bewusst auf ein verbindendes Bekenntnis verzichtet.[iii]

Dabei ist dieses Bekenntnis nicht schwer zu finden. So mehren sich die – vor allem katholischen – Stimmen, die auf die Bedeutsamkeit der Confessio Augustana als ein die Einheit suchendes Lehrdokument verweisen und schon heute danach rufen, das 500-jährige Jubiläum derselben genauso sehr zu feiern, wie das Reformationsjubiläum 2017. Doch während katholische Vertreter die Bedeutung der CA für einen ökumenischen Dialog nicht genug herausstellen können (wobei sie diese natürlich nicht als eigenes Lehrdokument anerkennen würden – aber muss das erwartet werden?), fürchten die selbsternannt Evangelischen sich vor diesem Dokument. Damit verweigern sie sich einem ökumenischen Diskurs, der über das bloße Zeigen medienwirksamer Gesten hinausgeht. Wer sich wirklich nach einer Einheit der Kirche sehnt – und dazu rufen uns Schrift und Bekenntnis auf – der muss aufhören, nur davon zu reden. Stattdessen müssen Unklarheiten beseitigt werden, die das ernsthafte Gespräch verhindern. Sich seiner eigenen Position zu versichern, wird gerade nicht dazu führen, dass das Gespräch abbricht, sondern dieses auf eine tiefere Ebene bringen. Wenn die Evangelische Kirche endlich anfängt, darüber nachzudenken und öffentlich zu bekennen, was sie theologisch ausmacht, dann können andere Kirchen wieder anfangen, sie als Gegenüber zu betrachten. Erst dann kann der EKD ihr glaubhaftes Interesse an einer ehrlichen Ökumene, die über Grußbotschaften hinausgeht, abgenommen werden.[iv]

Für die in der EKD und außerhalb dieser bestehende lutherische Kirche bleibt zur Frage der Ökumene das zu wiederholen, was Ernst Sommerlath schon 1947 als Grundlage und Voraussetzung jedes ökumenischen Denkens aus lutherischer Sicht formuliert hat:

  1. Die schmerzliche Zertrennung der Kirche darf unter uns nie als ein Zustand empfunden werden, an den wir uns gewöhnt haben. Die Bitte um Wiedervereinigung darf unter uns nie aufhören.
  2. Wenn wir uns zur lutherischen Kirche bekennen, so bedeutet das nicht Erstarrung und Verengung in einer Konfessionskirche. Wir dürfen uns zur lutherischen Kirche nur bekennen, wenn wir in ihr die Weite der einen apostolischen Kirche des Neuen Testaments meinen und überzeugt sind, sie in ihr zu finden.
  3. Für die Wiederherstellung der Einheit bedürfen wir der Liebe und der Wahrheit in gleicher Weise: Wahrheit nicht ohne Liebe, Liebe nicht ohne Wahrheit.

Ausgehend von diesen Grundüberlegungen kann anhand der gemeinsamen kirchlichen Bekenntnisse und der CA dann überlegt werden, welchen Charakter die kirchlichen Unterschiede haben. Adiaphora können beiseite gelegt werden, über tatsächliche Differenzen kann mittels Schrift und Bekenntnis gerungen werden. Einer solchen Einheitsbemühung wird sich die lutherische Kirche nicht verwehren. Sie sollte sicher aber einem Diskurs verweigern, der immer wieder nur die Oberfläche kratzt und mehr auf „Zeichen und Wunder“ (gemeinsames Abendmahl, mediale Inszenierung) setzt als auf das ernste, geschwisterliche Gespräch. Beide, lutherische und katholische Kirche können also von der evangelischen „Kirche“ erwarten, dass sie ihre Hausaufgaben macht und darüber nachdenkt, welchen Glauben sie vertritt (Röm 1.16), um so überhaupt erst wirklich zu einer Kirche zu werden (s.o.).

[i] Johannes Wirsching, Art. Bekenntnisschriften, in: TRE Bd 5, 487.

[ii] Ebd.

[iii] So betrachtet möchte man schmunzeln, da das päpstlichen Lehramt, das sich, nach Luther, die Deutungshoheit über den christlichen Glauben auch gegen die Schrift zu Unrecht anmaßte, nun einem ähnlichen protestantischen Deutungsmoloch gegenübersteht, der sich auf nichts mehr berufen muss, weil er einfach IST.

[iv] Ihr Widerstreben ist natürlich, bei näherer Betrachtung, verständlich, da sie selbst ja schon auf Gemeinsamkeiten, die es nicht gibt, ihre Existenz als „Kirche“ aufbaut. Noch zielführender wäre es allerdings, das Bekenntnis aufzuschreiben, mit dem sie (die EKD-Leitungsebene) sich tatsächlich identifizieren könnte und was ihrer Praxis seit Gründung entspricht. Denn dies wäre sehr wahrscheinlich kaum noch mit irgendeinem anderen christlichen Bekenntnis verwandt und würde in diesem Falle, jedenfalls nach rationalen Maßstäben, dieses Adjektiv auch nicht mehr in Anspruch nehmen können.

2 thoughts on “Was man von der evangelischen Kirche erwarten kann – Bedingungen für echte Ökumene.

  1. Johannes Oesch

    Die EKD ist nach ihrer eigenen Ordnung eine Kirche sui generis und strukturell kaum vergleichbar mit anderen Kirchen. Die EKD ordiniert keine Pfarrerinnen, Sie ordiniert keine Pfarrer. Die EKD kann keine Lehrzuchtverfahren durchführen, weil die bei ihr tätigen Pastoren diesbezüglich den jeweiligen Landeskirchen unterstehen. Usw.
    Es ist seit langem feststehende Praxis bei ökumenischen Verhandlungen, dass Rom mit dem Lutherischen Weltbund spricht (vgl. 1999 in Augsburg), weil die EKD in dieser Hinsicht gar nicht satisfaktionsfähig ist.
    Aber die EKD ist fernsehtauglich und ist ein nationaler und internationaler Akteur, der allerdings der Gefahr der Überheblichkeit unterliegt.

    • studiosus theologicus

      Das sollte man nicht allzu sehr vereinfachen. Die EKD ist immerhin die Instanz, die u.a. das Pfarrerdienstgesetz beschließt, welches von jeder Landeskirche übernommen für jeden Pfarrer gilt. Insofern legt die EKD schon für jede ordinierte und angestellte Person bestimmte Rahmenbedingungen fest.
      Zum anderen hängt Kirche-Sein nach lutherischem Verständnis nicht davon ab, dass man Menschen ordiniert. Sondern, wie die CA sagt, muss das Evangelium rein gelehrt und die Sakramente müssen recht gereicht werden. Woran es also mangelt – woran es der EKD mangelt – ist Klarheit in der Lehre. Nicht, ob sie ordiniert oder die Ordination – so könnte man es sehen oder darauf wird es mal hinauflaufen, wenn der derzeitige Kurs weitergefahren wird – an untergeordnete Stellen delegiert wird.
      Der Gefahr der Überheblichkeit unterliegen wir wohl alle auf die eine oder andere Weise, man sollte vorsichtig mit diesem Vorwurf umgehen.

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