Irrtümer, die zu Schaden führen – Valentin Ernst Löscher

Im heutigen kleinen Textausschnitt listet Valentin Ernst Löscher Religionsübel auf – also menschliche Fehl- und Missverständnisse des christlichen Glaubens. Da die Kirche, laut CA 7, überhaupt nur in der Verkündung, im Bekennen, des Evangeliums nach dem wahren Verständnis des Neuen Testaments besteht, sind solche Fehlehren somit exitenzielle Gefahren. Ihnen muss in der Kirche gewehrt werden, um nicht durch das eigene Nichtstun mutwillig Schaden über sie zu bringen. Daher ist diese Liste sehr praktisch: Es gilt, sie bei der Predigtvorbereitung und beim Denken und Streiten in Kirche und Gemeinde vor Augen zu haben. Beim Calvinismus muss natürlich die Verdeutlichung gemacht werden, dass seinen Vertretern das Christentum nicht abgesprochen wird. Doch sind die Lehrunterschiede so gravierend, dass sie kirchentrennend sind. Wer sich also von den Überzeugungen desselben überführt sieht, sollte auch prüfen, ob er sich in einer Kirchenorganisation befindet, die auf diesen Überzeugungen steht, und – sollte dies notwendig sein –  wie er dazu beitragen kann, dass der fehlgeschlagene Weg solch einer Kirchenorganisation korrigiert werden kann.

IV. Dergleichen Religionsübel sind entweder besondere, welche einen oder etliche Lehrpuncte oder auch -praxen der Religion betreffen und also eher und leichter zu entdecken sind und solche waren der Arianismus, Nestorianismus und Calvinismus; oder es sind allgemeine Mala[i], die sich nicht so bald und leicht determinieren lassen, aber wo ihnen nicht gewehret wird, dennoch das Verderben der Kirchen früher oder später nach sich ziehen. Dergleichen sind

1) das zur Ungebühr in Religionssachen getriebene Ansehen und Gewalt der Menschen – daraus eines Teils der Papismus[ii] entstanden

2) Die unangemessene und allgemeine Herrschaft der Vernunft in Glaubenssachen über und wider Gottes Wort, welche den Namen des Naturalismus oder Rationalismus führet

3) Die nicht fundierte und allgemeine Herrschaft des eigenen Geistes und Triebs in Religionsdingen über und wider Gottes Wort, welche Fanatismus oder Enthusiasmus genannt wird

4) Das zur Ungebühr und mit unechten Mitteln verrichtete Treiben des Studii Pacis[iii], welches Synkretismus heißt  und

5) das unordentlicher Weise und mit schädlichen Mitteln verübte Treiben des Studii Pietatis[iv] welches letzte von verständigen Männern, wenn sie ihm auch vor viel hundert Jahren einen Namen hätten geben sollen, aufs kürzeste Pietismus würde genannt worden sein.

Darzu auch zuweilen kommt die üble Einrichtung des studii veritatis, wo der Eigensinn, die Übereilung und Heftigkeit sich dabei viel herausnehmen. Gleich, wie nun wenn man wider den Papismus streitet, darum das geziemende Ansehen der Menschen, welches auch in Kirchen-Sachen als ein Subsidium in seinem Maße stattfindet, nicht zugleich verworfen wird; ob es wohl die Päpstler entsetzlich mißbrauchen: Nicht minder, wenn man sich dem Naturalismus oder Enthusiasmus widersetzt, die Vernunft und der innerliche Trieb in rechter Ordnung deßwegen nicht bestritten werden: Gleichwie auch endlich das Studium des Friedens deßwegen nicht verketzert wird, wenn man dem Syncretismus wehret.

 

Vollständiger Timotheus Verinus, Wittenberg 1726, Valentin Ernst Löscher, Superintendent zu Dresden

Löscher zählt die Fehllehren also auf, bekräftigt die Rechtmäßigkeit des Kampfes wieder sie und für die Wahrheit, warnt aber ebenso davor, das Kind mit dem Bade, das rechte Ansehen des Menschen nicht mit dessen Anbetung, Vernunft und Gefühl nicht mit deren Vergötterung, und die ernste Berufung zur christlichen Einheit nicht mit der Einheit mit allen Mitteln, auszuschütten. Die christliche Liebe wird nie den Menschen ablehnen, sondern nur sein sündiges Denken oder Handeln. Daran muss bei aller notwendigen Klarheit (vgl. das athanasische Glaubensbekenntnis) festgehalten werden.

 

[i] Von „malus“ – Übel

[ii] Genauere Bezeichnung der von den Lutheranern kritisierten Fehllehre von der alleinigen Entscheidungs- und Lehrmacht des Bischofs von Rom (Papst)

[iii] Oder heute: Ökumenismus, wörtl. Studium des Friedens, genauer gesagt ein Ökumenismus, der das bloße Gemeinsamsein über die Wahrheitsfindung bzw. bewahrung stellt. Heute sicherlich die meistvertretene Form desselben.

[iv] Wörtl. Studium der Frömmigkeit

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