Eröffnungsrede AELK 1868 – Wider das lebendige Verwesen.

Vor fast genau 150 Jahren hielt unser regelmäßiger Gastblogger Adolph von Harless die Eröffnungsrede einer Versammlung, wobei der Zustand der Kirchen damals dem heutigen auffällig ähnelte. Wir geben sie hier ganz wieder und muten euch auch die Stellen zu, in denen das Wirt „notional“ fällt. Um es mehr so zu hören, wie es damals verstanden wurde, ersetzt es übungsweise mal mit „regional“. Und lest genau hin, gerade an der Stelle gibt es wichtige Unterschiede auszumachen: dem Nationalismus war Luther immer zuerst und als wichtigstes Deutscher, Herrn Harless ist er ein deutscher Vertreter der Verkünder der sehr alten Wahrheit, der „ancient magic from beyond the world“ wie C.S.Lewis das nennt. Und der Absatz, der mit dem Nationalheiligtum beginnt hört mit der krassesten Punchline auf.

„Hochgeehrte Versammlung, theure Herren und Brüder!

Man hat mir die Last und Verantwortlichkeit auferlegt, Ihre Sitzungen und Berathungen zu leiten. Der Last soll man sich nicht weigern, geschweige denn sie auf andere Schultern werfen. Und so habe ich denn dem an mich gebrachten Wunsche folgen zu sollen geglaubt.

Hiermit ist mir auch die Freude zugefallen, mit Gruß und Ansprache Ihre Versammlung eröffnen zu dürfen. Den Gruß betrachte ich zunächst als einen Gruß des Südens and den Norden, da wir tagen; als einen Freudengruß, welcher der Vereinigung so vieler Brüder aus allen Theilen Deutschlands gilt. Die Freude der Ansprache aber empfinde ich nicht, ohne das volle Gefühl an deren Verantwortlichkeit zu haben.

Erwarten Sie von mir keine lange und geschmückte Rede. „Stark in Worten, schwach in Thaten“ – das ist ein Vorwurf welchen wir Deutsche überhaupt und wir Lutheraner insonderheit oft und nicht ohne Grund zu hören bekommen. Lassen Sie uns an unserm Theil diesen Vorwurf zu Schanden machen. Nicht zu schönen Worten, sondern um uns zur Entschlossenheit der That innerlich zu sammeln, dazu sind wir zusammengekommen. Und deshalb möchte ich auch viel weniger z u Ihnen, als a u s Ihnen heraus reden und demjenigen, was Sie bewegt und in Ihrer aller Seele lebt, den rechten Ausdruck zu verleihen suchen. Ein Beginnen dieser Art aber ist nur dann und darum möglich, wenn und weil wir uns hier auf dem Grunde g e m e i n s a m e n Glaubens und Bekenntnisses zusammengefunden haben. Darf ich mich dieser Hoffnung hingeben und Ihres Segens getrost harren?

Als ich heute Morgen in meinem Zimmer dies und anders nicht ohne Sorge bedachte, fiel mein Blick an der Zimmerwand auf eine Tafel, die ich bisher noch nicht bedacht hatte. Auf ihr war das große Verheißungswort zu lesen: “Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.” Dieses Wort drang mir zu Herzen als der einzige Quell, aus welchem ich für mich und wir alle für uns Trost und Zuversicht schöpfen dürfen. Wer wären denn wir, wenn Er nicht mit uns zöge? Wenn aber Er in der Kraft Seines Geistes und Wortes mit uns ist, wovor wollten wir uns fürchten? So lassen Sie mich im Augenblick zu Ihm klar und offen vor aller Welt sagen, was wir wollen und was wir nicht wollen, damit unser Tun in Seinem Licht gerichtet und von seinem Segen begleitet und gekrönt werde.

Was wir als Glieder der lutherischen Kirche und Träger ihres wahren Geistes vor Allem n i c h t wollen können und dürfen, daran erinnert uns das Wort einer alten Mahnung, das schon vor langer Zeit Valentin Ernst Löscher gesprochen hat. Der hat gesagt, daß es mit jener Kirche und kirchlichen Genossenschaft elend und schlecht bestellt sein müsse, welche etwa wie der Pharisäer in jenem Gleichniß vor Allem Gott dafür dankte, daß sie nicht sei wie andere Leute. Vielmehr erkenne man daran auch die wahren Kirche und die Leute wahrhaft kirchlicher Gesinnung, daß man mit dem Zöllner an die Brust schlage und spreche: Gott sei uns Sündern gnädig! Das lassen Sie auch uns gesagt sein. Und wenn uns das zu Herzen gegangen ist, dann steht auch vor Allem Eines fest, was wir nicht wollen können noch dürfen. Wir können nicht auf den Einfall gerathen, uns selbst sei es für unsere Person, sei es für unsere kirchlichen Zustände wie einen Spiegel von Trefflichkeiten, Herrlichkeiten und christlichen Vorzüglichkeiten hinstellen und präsentieren zu wollen. Vielmehr sagen wir offen und ehrlich, daß das, was uns zusammengeführt hat, vor Allem eine gemeinsame Noth ist, die wir alle empfinden. Und wenn wir von einer Noth unserer Wunden reden, so denken wir viel weniger an jene, die uns Andere bereitet, als an die Wunden, die wir in Unverstand oder Untreue uns selbst geschlagen haben. Aber eben deshalb suchen wir auch gemeinsam den rechten Helfer, der, wo zwei oder drei versammelt sind in Seinem Namen, mitten unter ihnen sein will. Und so wir aufrichtig unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünde vergibt und reiniget uns von unserer Untugend. Denn noch steht das alte Verheißungswort fest, daß Gott es den Aufrichtigen gelingen lasse.

Ist aber dieses unser Sinn, so kann es uns auch nicht beikommen, daß wir aus unserem Zusammentritt ein Schaustück und eine Schaustellung machen wollen, oder was man in fremder Zunge eine Demonstration zu nennen beliebt. Wenn es zufällig diese Wirkung auf Andere ausübt, so können wir nicht dafür und ist das nicht von uns beabsichtigt. Denn Andere haben hie und da lutherische Kirche und lutherisches Wesen allzu früh auf den Aussterbeetat gesetzt, und siehe, wir sind doch noch da und leben. Daß wir aber noch leben, das ist nicht unser Ruhm und Verdienst, sondern Gottes helle Gnade und Erbarmung. Und wenn das nun Andere sehen und sich daran ärgern, so ist das weder unser Wille, noch unsere Schuld.

Was wir aber wollen, das soll lediglich unserer Kirche, ihrer Noth und ihrem Bedürfniß dienen. Nichts dünkt uns verwerflicher und verächtlicher, als Kirche und kirchliche Zwecke vorschieben, um dies zur Maske und zum Deckmantel fremdartiger Hintergedanken und Bestrebungen zu machen. Vor allem muß Kirche und das, was Politik heißt, unverworren bleiben. Was des Staates und der Reiche dieser Welt ist, geht uns hier nichts an. Was des Herrn und seiner Kirche ist, das allein muß uns am Herzen liegen und hier Gegenstand unserer Berathungen sein und bleiben. Also lassen Sie uns nicht blos sagen, sondern danach gewissenhaft thun.

Wenn wir nun ein Neues wollen, so wollen wir am wenigsten “ein Neues machen.” Denn vor allem wollen wir ein a l t e s Gut halten, und nur sorgen, daß es neu lebendig werde. Das aber wollen und können wir nicht machen. Alle Macherei ist verwerflich; nirgend aber verwerflicher und gemeinschädlicher, als auf dem Boden der Kirche. Die innere Einheit aber, welche alle lebendigen Glieder der Kirche verbindet, ist kein neues, sondern ein altes Gut. Und wenn wir ein Neues erleben, so wirkt dies der Ernst und die Noth der Zeit, die uns drängt, nicht in territorialen Winkeln sitzen zu bleiben und vereinzelt sei es zu weinen, sei es zu sorgen und zu schaffen, sondern weithin die Hände auszustrecken, um uns gegenseitig zu stärken und stärken zu lassen und in gemeinsamem Gebet und in gemeinsamer Arbeit uns und Dem zu dienen, der seines Reiches Dienst in die Hände treuverbundener Brüder gelegt wissen will.

Und solches wollen wir in deutscher Art zugleich als Pflege eines Nationalgutes und Nationalheiligtumes thun. In diesem Sinne denken auch wir allerdings an Erhaltung und Bewahrung einer Kirche deutscher Nation. Aber den Grund dieser Nationalkirche suchen wir nicht in Zukunftsphantasien, noch das Werkzeug ihres Baues und ihrer Erhaltung in weltlichen Machtmitteln. Des Herrn Reich ist nicht von dieser Welt, und Wort und Sakrament allein sind seines Baues gottgestiftete Mittel. Den Grund aber, daß wir dieses göttliche Gut zugleich als ein Nationalheiligtum halten dürfen, den haben wir nicht in der Zukunft zu suchen – der ist lange schon in der Geschichte der Vergangenheit gelegt. Denn das hat Gottes Gnade uns Deutschen geschenkt, dass er zum Werkzeug der Reformation christlichen Volks in Luther Einen erkor, in welchem ebensosehr das Licht des Evangeliums als die gottgegebene Art und Begnadigung deutschen Wesens leuchtet. Und wenn nicht Gottes gerechte Gerichte den Leuchter von dieser Stätte hinwegstoßen, so wird sein Bestand doch nur in dem Maße ein Nationalgut sein und bleiben, in welchem wir festhalten, was Luther uns gewesen ist und als ein deutscher Zeuge der ewigen Wahrheit uns gelehrt und gepredigt hat. Aber lassen Sie uns nicht etwa blos das Grab dieses Propheten schmücken, um an dessen Rande lebendig zu verwesen.

Wenn wir mit vereinten Kräften danach ringen, uns wach und lebendig zu halten, so tun und versuchen wir auch nichts hierin nichts schlechthin Neues. Auf dem Gebiete der äußeren Mission sind wir das längst gewöhnt, und Niemand hat das verwunderlich gefunden. Man fragt da nicht nach äußerlichen Abzeichen und Schranken, und die Brüder in Rußland, Skandinavien und jenseits der Meere stehen mit uns vereint zu gemeinsamem Werke. Sollen wir es nun befremdlich oder gar unberechtigt nennen, wenn wir gleiche Gemeinsamkeit für die inneren Angelegenheiten unserer Kirche, ohne angemaßte Autorität, in freier, brüderlicher Berathung erstreben? Wir thun nur, was wir nicht lassen können.

Soll es aber recht geschehen, so muß das auch im rechten Geiste gethan werden. Wehe uns, wenn etwa blos unsere Lippen das Wort jenes Liedes singen oder sprechen: „Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren. Lebt nicht dies Wort tiefinnerlichst in demüthigem und gebrochenem Herzen, so wird solch Lippenwerk uns selbst richten. Liegen wir aber gebeugt auf unseren Knieen und trauen allein der Macht unseres Herrn, dann dürfen wir auch die Häupter emporheben und getrost jenes Psalmwort sprechen: „Mit Gott wollen wir Thaten thun, Er wird unsere Feinde untertreten! Das walte Gott! Amen.“

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