Was das Gesetz ist und nicht ist – einige Worte mit Hilfe von Luthardt

Was ist das Gesetz und was ist es nicht? Für eine schlaglichthafte Beantwortung der Frage ist uns der gute Freund dieses Blogs, Prof. C. E. Luthard, wieder einmal forschend und zusammenstellend beigesprungen. Was ist also das Gesetz, im christlichen und lutherischen Kontext gesprochen?

Der Inhalt des Gesetzes ist demnach nicht bloß eine abstrakte sittliche Idee – der Vollkommenheit (Wolff u.s.w.), oder des Vernunftgebots (Kant) oder der Freiheit (Fichte) und dergleichen -, sondern der Wille Gottes über den Menschen, dessen Inhalt die auf der Gottesgemeinschaft beruhende Gottesgemäßheit des Menschen ist, somit die sittliche Harmonie mit Gott dem schlechthinnig Guten; an sich und ursprünglich mit dem gottgeschaffenen Wesen des Menschen identisch, durch die Sünde aber zu der mit seiner Wirklichkeit im Widerspruch und ihr gegenüberstehenden Forderung geworden.

Luthardt, Kompendium der Ethik, §23 – Das Gesetz, Punkt 2

Es ist also eindeutig zuerst das Gesetz da. Dies darf aber – neben Luthardts eher philosophischem und einem gewissen Kulturprotestantismus gegenüber kritischen Gegenbeispiel – auch nicht als bloße Ansammlung verschiedener Regeln missverstanden werden. In seiner Essenz ist Gesetz ein Ausdruck des Willens Gottes, Gesetz ist, was ist. Gottes Befehl „Es werde Licht“ ist zum Beispiel klar als Teil des Gesetzes einzuordnen. Nur durch den Sündenfall wird es uns zu einer vernichtenden Last, da es nicht nur mit dem Tod droht: der Tod ist der Lohn der Sünde nur durch das Gesetz, er ist nur durch den gerechten Willen Gottes Realität. Und auf die aussichtslose Frage, wie man das Gesetz erfüllen kann, obwohl man ein gefallener Sünder ist, der von gefallenen Sündern abstammt, darauf und in diesem Kontext ist das Evangelium eben das: eine unglaublich gute Nachricht.

Heute wird in lutherischen Kreisen oft auch noch eine andere Problematik sichtbar, dass nämlich das Gesetz auf die ihm nach dem Sündenfall eigene Eigenschaft der mit dem Menschen existenziell in Widerspruch stehenden Forderung reduziert wird. Als Beispiel für diese Tendenz und die Rezeption solcher Theologie kann eine Fußnote eines Aufsatzes von Pfarrer Woodford in einer der letzten Ausgaben der Lutherischen Beiträge (zuvor in Logia 2015 veröffentlicht) dienen:

„Zur Klarstellung: „Gesetz“ meint die Forderungen Gottes. Deshalb bezieht sich „Gesetz“ auf jedwede Verkündigung, die von dem Hörer verlangt, „etwas zu tun“. Das ist alles. Egal ob es um das Befolgen der Gebote, um das Evangelisieren, um die Vergebung oder die Nachfolge geht: Immer wenn jemand zum Tun aufgefordert wird, ist das „Gesetz“. Ebenso ist es unerheblich, ob es sich um den ersten, zweiten oder dritten Gebrauch des Gesetzes handelt, es bleibt das eine Gesetz. Wir können nicht kontrollieren, wie der Geist durch das Gesetz am Herzen der Hörer arbeitet. Das Evangelium hingegen ist alles, was Jesus für dich, an dir und in dir getan hat, durch sein Leben in Gehorsam bis zum Tod am Kreuz. Dieses Evangelium wird vom Heiligen Geist durch das mündliche und sichtbare Wort (Predigt und Sakramente) liebevoll an uns weitergereicht. Mit anderen Worten: Für das Evangelium gibt es keinerlei Bedingungen. Null. Wirklich gar keine. Es ist ganz und gar Geschenk, 100 Prozent. Zusammengefaßt: Das Gesetz sagt: Tu! Und das Evangelium sagt: Es ist bereits alles für dich getan.

Pfr. Lucas Woodford in Luth. Beiträge 02, 2017

Gehen wir kurz chronologisch durch:

1) Das Gesetz ist Forderung und allein Forderung. Jeder Hinweis etwas zu tun ist Gesetz.

2) Die drei Bräuche des Gesetzes werden für den Prediger als „unerheblich“ eingestuft, da diese allein Kommunikationsweisen des Heiligen Geistes sind.

3) Christi Leben, Handeln und Sterben wird vollumfänglich dem Evangelium zugeordnet. Ebenso das verbum externum und visibile.

4) Für das Evangelium gibt es keine Bedingung. Das Evangelium ist Geschenk

Zu 1) ist oben schon einiges gesagt.

2) ist jedenfalls nicht mit den Bekenntnisschriften vereinbar. Die Konkordienformel beantwortet die Frage, ob denn auch glaubenden Christen das Gesetz als Anspruch, als ethische Regel gepredigt werden darf, eindeutig mit Ja.

3) Christi Handeln und Leben ist natürlich nicht nur auf das Evangelium zu reduzieren – man frage doch mal bei den Leuten nach, die er Vipern genannt und die er mit einer Peitsche aus dem Tempel getrieben hat. Vielmehr muss auch hier besser definiert werden. Auch Luthardt kannte schon die Zusammenfassung des Willens Gottes als Ausdruck heiliger Liebe. Das Gesetz und das Evangelium sind zugleich der Wille Gottes, und auch der Höhepunkt der Frohen Botschaft, Christi Worte Markus 16,16 „Wer an mich glaubt und getauft wird, der wird gerettet werden“ beinhalten stets auch das Gesetz in aller seiner Härte, denn „wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden“.

4) Wenn es für das Evangelium wirklich keinerlei Bedingungen gibt, dann müsste eine Predigt desselben logischerweise in einer bedingungslosen positiven Bestätigung des Hörers bestehen. Im logischen Schluss müsste das „solo evangeliuo“ statt sola fide“ bedeuten – der alleinige Fakt der Heilstat Christi rettet schon, wie ein die Geschwindigkeit drosselnder Kapitän die Passagiere der Titanic vor dem Tod bewahrt hätte, ohne das diese in irgendeiner Form davon wissen hätten müssen. Und dies wäre dann tatsächlich Antinomismus – laut Luthardt’s Definition übrigens so definiert, dass das Sollen und das Sein gleichgemacht werden: jedes Sein ist schon identisch mit dem Sollen. Denn ja: die Rettung aus unseren Sünden, die Rettung vor Tod und Verdammnis also, diese schenkt Gott durch seinen Sohn aus reiner Gnade. Sie ist schon vollbracht, die gesammte Menschheit ist gerettet. Doch – im Unterschied zum Titanicbeispiel – wird mir die Rettung nicht unwissentlich zu eigen, sie muss geglaubt werden. Dieser Glaube ist vollumfänglich von Gott selbst geschenkt und gewirkt, trotzdem ist unser Erleben das eines Aktes des Willens. Und auch, dass Jesus sagt, er wolle das Gesetz nicht auflösen, ist hier nicht ohne.

Diese Richtung muss, wenn hier auch nur kurz, als zu vereinfachend und zum Teil irreführend eingestuft werden. Komplex war das Thema demnach schon immer, weshalb J J Rambach auch im 17. Jahrhundert schon locker 10 Strophen dazu entwickeln musste.

1 Gesetz und Evangelium
sind beide Gottes Gaben,
die wir in unserm Christenthum
beständig nöthig haben;
doch bleibt ein großer Unterschieb
den nur ein solches Auge seht,
das Gottes Geist erleuchtet.

2 Was Gott in dem Gesetz gebeut,
ist uns ins Herz geschrieben:
wir sollen nämlich jederzeit
Gott und den Nächsten lieben.
Das aber Gott die Welt geliebt,
und seinen Sohn für Sünder giebt,
das muß er selbst entdecken.

3 In dem Gesetz wird unsre Pflicht
uns ernsttlich vorgetragen.
Das Evangelium kann nicht
als nur von Gnade sagen.
Jen’s zeigt dir, was du thun sollst, an:
dies lehrt, was Gott an dir gethan;
jen’s fordert, dieses schenket.

4 Was das Gesetz des Guts verspricht,
wird dir nicht zugewendet,
es sei denn, daß du deine Pflicht,
vollkommen hast vollendet,
Was Christi Gnade Guts verheißt,
wird dem, der gläubig sich erweist
frei und unsonst gegeben.

5 Wo das Gesetz den Sünder findt,
da schlägt es ihn darnieder;
das Evangelium verbindt
und heilt die Wunden wieder;
jen’s predigt Sünde, Zorn und Fluch,
dies öffnet dir das Lebensbuch
in des Erlösers Wunden.

6 Jen’s decket dir dein Elend auf,
dies saget von Erbarmen;
jen’s schläget unbarmherzig drauf,
dies hebt und trägt die Armen
jen’s zeigt und dräuet dir den Tod,
dies hilfet dir aus Tod und Noth
und bringt dir Geist und Leben.

7 Was das Gesetz zu sagen hat,
gehört für rohe Herzen,
für Heuchler, die schon reich und satt,
die mit der Sünde scherzen.
Des Gnadenwortes Balsamöl
senkt sich in eine kranke Seel,
die elend und beladen.

8 Wenn das Gesetz den Zweck erreicht,
so hört es auf zu fluchen;
sein Zwang, sein Blitz, sein Drohen weicht,
wenn man will Gnade suchen.
Es treibt zum Kreuz des Mittlers hin;
wenn ich an diesen gläubig bin,
so hat der Trost kein Ende.

9 Mein Gott, laß diesen Unterschied
mich in der That erfahren;
laß Sündenangst mit Trost und Fried
sich in der Seele paaren.
Treib mich, o Herr! durch dein Gesetz
in deiner Gnade holdes Netz
in des Erlösers Arme.

10 Gieb aus den Evangelio
mir Kräfte,dich zu lieben
und als dein Kind, das frei und froh,
mich im Gesetz zu üben;
gieb Gnade, daß ich meine Pflicht
mit Heiligkeit und Zuversicht,
in Lieb und Glauben leiste.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert