Replik Teil 1 – C. S. Lewis ist die Birne zu Bonhoeffers Apfel?

Anmerkung d. Redaktion, 17.02.2019: Wir haben im Beitrag nach der Veröffentlichung einige Passagen geändert. Diese sind durch Einfügung eckiger Klammern gekennzeichnet.

Unser letzter Beitrag hat bei Facebook im Kommentarbereich unserer Seite einige Anfragen erhalten, auf die wir nochmal genauer eingehen wollen. Nur zur Erinnerung: Wir behaupten nicht, allgemeine Aussagen über Bonhoeffer zu treffen, sondern beschränken uns ausschließlich auf die Analyse der zwei ersten Briefe an Bethge zum „religionslosen Christentum“.

Unser Referenzrahmen – Bonhoeffer spricht theologisch

Zunächst lautete die Anfrage, Bonhoeffer habe in einer bestimmten Zeit an einen bestimmten Adressaten geschrieben (natürlich!), weshalb ein Vergleich mit anderen Aussagen, die andere in anderen Umständen getroffen hätten, Relativierung sei. Die Frage lautet also: Kann man theologische Aussagen, die in unterschiedlichen Situationen getroffen werden, miteinander ins Verhältnis setzen?

Nun, Bonhoeffer schreibt zwar an einen Adressaten und nicht zum Zwecke der Publikation (wie wir schon anmerkten), doch er schreibt dezidiert seine allgemeinen Gedanken zur Ekklesiologie und Theologie, die – semantisch und grammatikalisch – Allgemeingültigkeit beanspruchen. „Was mich unablässig bewegt, ist die Frage, was das Christentum oder auch wer Christus heute für uns eigentlich ist.“ (Seite 305, Widerstand und Ergebung, 1972 Ev. Verlagsanstalt, Berlin). Uns – das sind im Kontext nicht Bethge und er, sondern das allgemeine „wir“. Der Horizont in dem Bonhoeffer seine Gedanken hier entwickelt, ist ekklesiologischer und dogmatischer Natur, sprich Theologie.

Die Erfahrungen, die Dinge, die ihn umtreiben, benennt er im Text eindeutig, z.B.: „Die Zeit, in der man [was das Christentum oder auch wer Christus heute für uns eigentlich ist] den Menschen durch Worte – seien es theologische oder fromme Worte – sagen könnte, ist vorüber; ebenso die Zeit der Innerlichkeit und des Gewissens, und d. h. eben die Zeit der Religion überhaupt. Wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen; die Menschen können einfach, so wie sie nun einmal sind, nicht mehr religiös sein.“ Oder: „dieser Krieg [ruft] im Unterschied zu allen bisherigen [keine] „religiöse“ Reaktion hervor.“ (Ebd.)

Das gesellschaftliche und individuelle Phänomen, von dem Bonhoeffer hier spricht und das Lewis ebenso zum Thema nimmt, steht zu ihren Lebzeiten an einem Höhepunkt, ist jedoch keineswegs neu. Es ist Teil eines zu jenem Zeitpunkt mindestens 100 Jahre zurückreichenden Prozesses. Dies lässt sich in Deutschland z.B. in diversen Texten Luthardts und anderer Neulutheraner nachweisen, und Lewis selbst, in seinem Essay „Modern man and his categories of thought“ (Present Concerns, London, 1986), verfasst für die erste Zusammenkunft des Ökumenischen Rates der Kirchen auf Anfrage von Bischof Steven Neill, setzt den Beginn einer „radikalen Veränderung des öffentlichen Geistes“ hundert Jahre zuvor an.

Wir bekräftigen also noch einmal: der Referenzrahmen zum Verständnis und zur Einordnung der Aussagen Bonhoeffers in den beiden Briefen ist theologischer, und nicht in erster Linie zeitaktueller Art. Bonhoeffer selbst erwähnt den Krieg, den Kirchenkampf, die Nationalsozialisten in keiner Weise.

Referenzrahmen Drittes Reich – Sündigende Christen gab es noch nie!

Bonhoeffers Aussagen, z.B. über ein „religiöses Apriori“, dessen sich nun darstellende Auflösung „unserer gesamten 1900jährigen Verkündigung und Theologie“ das Fundament entziehe, solle akademisch richtigerweise, so die Anfrage, als Reaktion auf die Verfehlungen von Christen im dritten Reich gesehen werden, oder als Reaktion darauf, dass es Deutsche Christen gab. Wir trauen Bonhoeffer um einiges mehr Weitblick zu, als dass dies in Frage käme. Außerdem erwähnt er diese Tatsachen in seinen Ausführungen mit keiner Silbe. Dass es innerhalb und außerhalb der Kirche manchmal unglaublich schreckliche Meinungen über „Gottes Willen“ gab, ist keineswegs Alleinstellungsmerkmal des Dritten Reiches. Diese Beobachtung relativiert allerdings nicht das Evangelium, sondern zeigt nur, dass das – willentlich oder unabsichtlich – auch missbraucht werden kann: Sündige ChristInnen gab es schon immer, und daneben Menschen, die sich als Christen bezeichneten, dies jedoch nur, um ihr Eigenes durchzusetzen. Deren Taten sind nicht gleichzusetzen mit dem Evangelium, sondern an ihm zu messen, wie eben alle Taten, die christlich legitimiert werden.

Wie ist also damit umzugehen, dass viele Christen nicht im Widerstand zu finden, sondern begeisterte Nazis waren, während viele Nicht-Christen sich im Widerstand engagierten?

Die lutherische Antwort lautet:

a) Nicht nur viele, ALLE Christen sind auch Sünder, machen Fehler, sind falscher Überzeugungen. Woher kommt der Anspruch, dass die Kirche nicht in solchen Verwerfungen liegen solle? Der Streit um den Willen Gottes und die reine Lehre ist so alt wie die Kirche selbst.

b) Die Verstockung des Gewissens ist kaum ohne historische Beispiele und eine säkulare, totalitäre Ideologie wie der Nationalsozialismus ja ein noch größer Förderer desselben. Die theologische Einordnung dieser Greultaten, was scheinbar gewissenloses Handeln von Menschen betrifft (Frau Neumann fragt hier nicht nach der Theodizee) ist genau deshalb auch nicht neu, sondern fundamentaler Bestandteil christlicher Lehre: Menschen, die gewissenlos andere abschlachten sind abscheuliche Sünder, und genau das haben wir alle mit ihnen gemeinsam: wir sind alle abscheuliche Sünder. Römer 3,10-18 „Wie geschrieben steht: „Da ist kein Gerechter, auch nicht einer; da ist keiner, der verständig ist; da ist keiner, der Gott sucht. Alle sind abgewichen, sie sind allesamt untauglich geworden; da ist keiner, der Gutes tut, da ist auch nicht einer.“ „Ihr Schlund ist ein offenes Grab; mit ihren Zungen handelten sie trügerisch.“ „Viperngift ist unter ihren Lippen.““Ihr Mund ist voll Fluchens und Bitterkeit.“ „Ihre Füße sind schnell, Blut zu vergießen; Verwüstung und Elend ist auf ihren Wegen, und den Weg des Friedens haben sie nicht erkannt.“ „Es ist keine Furcht Gottes vor ihren Augen.“ Viel unglaublicher ist aber doch der Fakt, dass Christus auch ihre Schuld getragen und blutig am Kreuz gesühnt hat und auch ihnen Vergebung offen ist, wenn sie sie im Namen Christi suchen!

Warum C. S. Lewis?

Fazit: Kann man Bonhoeffers Lebenswirklichkeit mit der des Lewis vergleichen? – Im Grunde ist die Frage anders zu stellen, nähmlich, nach der Vergleichbarkeit theologischer Aussagen zweier Christen (mit ähnlicher Theologie) in Bezug auf die gleiche gesellschaftliche Situation. Einen einordnenden Vergleich theologischer Aussagen wegen verschiedener ‚Lebenswirklichkeiten‘ als nicht akademisch, bzw. nicht wissenschaftlich einzustufen, halten wir nicht für zielführend. Auch Universitätstheologie (Systematische Theologie) arbeitet mit dem ins-Verhältnis-Setzen unterschiedlicher Aussagen. Christliche Theologie, die ja einen ‚Lebenswelten‘ der extremsten Unterschiedlichkeit überspannenden ewigen Inhalt – das Evangelium im weiteren Sinne – postuliert, ist genau diese Einordnung. Sasse, von Harless, Calov, Spener, Chemnitz, Luther, von Aquin, Franz von Assisi, Augustinus, Paulus – sie alle lebten in völlig unterschiedlichen Welten, und bezogen sich doch auf das eine Evangelium, weshalb ihre Aussagen miteinander in Bezug gesetzt werden können, wobei ihnen (auch unter Beachtung historischer Kontexte) unterschiedlich viel Gewicht gegeben werden muss.

Im zweiten Teil, der demnächst erscheint, werden wir noch zu Bonhoeffers in diesen Briefen erkennbaren Religionsbegriff antworten und über das Wort ‚Prophet‘ nachdenken.

 

 

One thought on “Replik Teil 1 – C. S. Lewis ist die Birne zu Bonhoeffers Apfel?

  1. Andreas Wendt

    Bei vielem Bedenkenswerten gibt es doch eins, was mich nicht überzeugt und ich wiederum zu bedenken geben möchte:

    Dass Bonhoeffers Worte „semantisch und grammatikalisch – Allgemeingültigkeit beanspruchen“, ist genau das Argument, aus dem in pietistischen Kreisen bis heute „Gemeinsames Leben“ als Handlungsanweisung für eine christliche Gemeinschaft gelesen wird und nicht als das, was es erklärtermaßen sein will, nämlich lediglich Beschreibung des Lebens in Finkenwalde. Wir haben es hier mit einem Werk zu tun, von dem Bonhoeffer selbst sagt, dass es keine Allgemeingültigkeit beansprucht, dessen Sprache aber – semantisch und grammatisch – genau dies tut, oder besser: zu tun scheint.

    Daraus schließe ich auf die Möglichkeit, dass Bonhoeffer auch dort, wo er in klaren Indikativen schreibt, nicht zwingend die Absicht hat, allgemeingültige Aussagen zu treffen. Zumindest gebietet die Erfahrung mit „Gemeinsames Leben“ äußerste Vorsicht davor, von seiner Semantik und Grammatik auf seinen Anspruch zu schließen.

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