Harry Bonhoeffer und der Offenbarungsort des Höchsten

„All diese Fragen sind unechte Fragen, immer wieder stellen wir uns mit ihnen außerhalb der lebendigen Gegenwart des Christus. All diese Fragen wollen nicht mit der Tatsache rechnen, daß Jesus Christus nicht tot, sondern heute lebendig ist und durch das Zeugnis der Schrift noch zu uns spricht. Er ist uns heute gegenwärtig, leiblich und mit seinem Wort. Wollen wir seinen Ruf in die Nachfolge hören, so müssen wir ihn dort hören, wo er selbst ist. Der Ruf Christi ergeht in der Kirche durch sein Wort und Sakrament. Predigt und Sakrament der Kirche ist der Ort der Gegenwart Jesu Christi. Willst du den Ruf Jesu in die Nachfolge hören, so brauchst du dazu keine persönliche Offenbarung. Höre die Predigt und empfange das Sakrament! Höre das Evangelium des gekreuzigten und auferstandenen Herrn! Hier ist Er ganz, derselbe, der den Jüngern begegnete. Ja, hier ist er schon als der Verklärte, der Sieger, der Lebendige. Kein anderer als Er selbst kann in die Nachfolge rufen. Weil es aber in der Nachfolge niemals wesentlich um die Entscheidung für dieses oder jenes Tun, sondern immer um die Entscheidung für oder gegen Jesus Christus geht, darum eben ist die Situation für den Jünger oder Zöllner, der von ihm gerufen wurde, um nichts eindeutiger als für uns Heutige. Nachfolge war ja auch der Gehorsam jener ersten Gerufenen allein dadurch, daß Christus im Rufenden erkannt wurde. Er ist aber dort wie hier der verborgene Christus, der ruft. Der Ruf an sich ist vieldeutig. Auf den Rufer kommt es allein an. Christus aber wird allein im Glauben erkannt. Das gilt für jene nicht anders als es für uns gilt. Jene sahen den Rabbi und Wundertäter und glaubten Christus. Wir hören das Wort und glauben Christus.“

Dietrich Bonhoeffer, Nachfolge. DBW IV, Chr. Kaiser 1989, 215f.

Wenn vor dem Lesen Dietrich Bonhoeffers eins gesagt werden muss, dann Folgendes: „Bitte mit Vorsicht genießen.“ Es mischen sich bei ihm z.T. deutlich verschiedene theologische Ansätze, was aber auch heißt, dass sich in seinen Werken wunderbar klare lutherische Theologie finden lässt, wie das oben angeführte Zitat zeigt. Widmen wir uns also diesen Worten kurz genauer.

Die lebendige Gegenwart des Christus ist, damals und heute noch mehr, definitionsbedürftig geworden. Denn weit, weit verbreitet ist der Glaube, dass sich Christus in uns selbst oder unseren Mitmenschen und im Besonderen in unseren Gefühlen offenbart. Neu ist das nicht. Wie Adolf Köberle wunderbar diagnostizierte, bevor die Verwirrung der späten Jahre dieser Generation auch ihn, wie bei Bonhoeffer, verzweifelt Wege suchen ließ, das ihrer Meinung nach heutzutage doch so peinlich, menschenfremd und wirkungslos scheinende Evangelium den Menschen wieder schmackhaft zu machen, ist dies die Leiter der Mystik, eine jener drei Leitern (neben Rationalismus und Moralismus), über die der Mensch auf sich allein gestellt versucht zu Gott zu kommen, indem er in sein Inneres versinkt, wo er den Offenbarungsort Gottes wähnt. Doch Bonhoeffer spricht mit der ganzen alten Christenheit und besonders dem Luthertum in unserem Zitat eben nicht von einer direkten, ätherischen Verbindung zwischen mir und Gott. Er ist leiblich bei uns: dort, wo er versprochen hat es zu sein: in seinem Mahl. Er spricht zu uns durch sein Wort: nicht durch den Windhauch der seelischen Regung, nicht durch den seinem Kontext entrissenen Vers, der mir orakeln soll, wie es mit mir weitergeht, sondern durch die Worte, die er gesprochen hat und die uns überliefert sind. Hier ist Bonhoeffer ganz bei den Bekenntnisschriften:

Augsburger Bekenntnis, Artikel 5

Vom Predigtamt [oder Von der Erlangung des Glaubensdurch die Gnadenmittel]

Solchen Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, Evangelium und Sakramente gegeben, dadurch er, als durch Mittel, den Heiligen Geist gibt, welcher den Glauben, wo und wann er will, in denen, so das Evangelium hören, wirkt, welches da lehret, daß wir durch Christus‘ Verdienst, nicht durch unser Verdienst, einen gnädigen Gott haben, so wir solches glauben.

Und werden verdammt die Wiedertäufer und andere, so lehren, daß wir ohne das leibliche Wort des Evangeliums den Heiligen Geist durch eigene Bereitung, Gedanken und Werke erlangen.

Kleiner Katechismus, Hauptstück 6

1. Was ist das Sakrament des Altars?

Es ist der wahre Leib und Blut unseres Herrn Jesus Christus, unter dem Brot und Wein uns Christen zu essen und zu trinken von Christus selbst eingesetzt

3. Wie kann leibliches Essen und Trinken solche großen Dinge tun?

Essen und Trinken tut’s freilich nicht, sondern die Worte, die da stehen: „für euch gegeben“ und „vergossen zur Vergebung der Sünden“. Diese Worte sind neben dem leiblichen Essen und Trinken das Hauptstück im Sakrament; und wer diesen Worten glaubt, der hat, was sie sagen und wie sie lauten, nämlich: Vergebung der Sünden.

Das Predigtamt ist das Sprechen Gottes zu uns! Mögen es alle Pfarrer hören und erbeben! Denn was Bonhoeffer hier als selbstverständlich gegeben annimmt: „Höre das Evangelium des gekreuzigten und auferstandenen Herrn!“, das ist in vielen Predigten abhanden gekommen. Und hiermit sei von meiner persönlichen Laienseite die zutiefst empfundene Bitte ausgesprochen, dass dies wieder anders werden möge. C.S. Lewis, auch bei ihm sollte man nicht ohne eine theologische Grundausrüstung an die Lektüre herangehen, hat sich in seinem Vortrag „Christliche Apologetik“ mit treffenden Worten zur heutigen Lieblingsalternative in Bezug auf den Predigtinhalt geäußert:

„[Im Gegensatz zur Theologie bezieht] die politische Frage ihre Orientierung nicht aus der göttlichen Offenbarung, sondern aus natürlicher Besonnenheit, der Kenntnis komplizierter Fakten und reifer Erfahrung. Wenn wir diese Qualitäten unser eigen nennen, können wir natürlich unsere politischen Meinungen kundtun: doch dann müssen wir klarstellen, dass es sich um unsere persönlichen Einschätzungen und nicht um Gottes Gebot handelt. Nicht viele Pfarrer besitzen diese Qualitäten. Die meisten politischen Predigten lehren die Gemeinde daher nichts weiter, als die Identität der Tageszeitung, die im Pfarrhaus beim Frühstück gelesen wird.“

Zuletzt stellt Bonhoeffer noch die Einheit aller Christen im Blick auf die Selbstoffenbarung Christi dar, doch hier wird er etwas wackelig. Ja, dass Jesus „der Christus“ ist, musste auch von den Jüngern geglaubt werden. Doch verweilt Bonhoeffer seltsamerweise nur beim „Rabbi“ vor dem Kreuz. Dem auferstandenen Christus die eigenen Hände in die Wunden zu legen ist sicher doch in einer anderen empirischen Kategorie als das Hören seines Wortes, den Sündern durch Sünder verkündet. Und wie vielsagend, dass Bonhoeffer schon hier den in seiner ganzen Identität tatsächlich irdisch offenbarten Christus aus den Augen verliert und mit dem „verborgenen Christus“ vorliebnimmt.

Doch halten wir uns an seine starken und wunderbar klaren Bekräftigungen der Gnadenmittel, der Tatsache (wenn man Lutheraner und die Bibel fragt), dass Christus leibliche und sprechende Nähe an Mittel gebunden sind: sein Mahl und sein Wort. „Hier ist Er ganz, derselbe, der den Jüngern begegnete”. AMEN.

 

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