Wir finden ihrer viele, die da beten, fasten, Stiftungen machen, dies und das tun, ein vor den Menschen gutes Leben führen. Wenn du sie fragst, ob sie auch gewiss seien, dass es Gott wohlgefalle, was sie so tun, antworten sie: „Nein.“ Sie wissen es nicht oder zweifeln daran. Darüber hinaus gibt es auch unter den großen Gelehrten etliche, die sie verführen und sagen, es sei nicht nötig, dessen gewiss zu sein, obwohl sie doch sonst nichts anderes tun als gute Werke zu lehren. Siehe da: Alle diese Werke geschehen außerhalb des Glaubens, darum sind sie nichts und ganz tot. Denn wie ihr Gewissen gegen Gott steht und glaubt, so sind auch die Werke, die daraus geschehen. Nun gibt es da keinen Glauben, kein gutes Gewissen Gott gegenüber. Darum ist den Werken der Kopf abgeschlagen und all ihr Leben und Gutsein ist nichts. Daher kommt es: Wenn ich den Glauben so sehr betone und solche ungläubigen Werke verwerfe, beschuldigen sie mich, ich verbiete gute Werke, obwohl ich doch gerne rechte gute Werke des Glaubens lehren wollte.
Luther, Von den guten Werken
Der aufgeklärte Mensch verlässt sich, spätestens seit dem 17. Jahrhundert und Descartes, am liebsten nur auf sich selbst: „Cogito, ergo sum“ – ich denke, also bin ich. Entscheidend ist nicht ein überliefertes, geoffenbartes oder irgendwie vorgeschriebenes Wissen, sondern, ob meine Erfahrung dieses Wissen für gültig erklärt. So erlebt es auch mancher, der eine Predigt hört: Der Prediger erzählt von seinen Erlebnissen mit Jesus und die Wahrheit seiner Aussagen bestimmt sich allein in seiner eigenen Person. Dem entspricht auch der Ruf nach Authentizität, welche man in jeder möglichen Situation zeigen soll. Hängt es doch entscheidend von der Bewertung eines Vorgangs ab, ob die Person glaubwürdig ist bzw. ihre Glaubwürdigkeit nachweist.
Der Ruf nach Wahrhaftigkeit ist nicht grundsätzlich schlecht. Schlecht ist, wenn das Handeln oder die existenziellen Erfahrungen des Christen die Wahrheit der Botschaft beweisen soll. Der Mensch wird zum Ersatzchristus, macht sich selbst dazu. Nicht in Christus „wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“ (Kol 2,9) sondern in mir und meinen Erfahrungen, Gedankengängen und Emotionen offenbart sich Gott selbst. Dabei ist der Mensch doch der Sünder, der auf Christus schaut und auf ihn zeigt, wenn er gefragt wird, nicht aber auf sich und sein Erleben, welches trügerisch, phasenhaft und immer fehlerhaft ist.
Zeigt er auf sein Leben mit Christus, und nicht auf Christi Leben mit (und in) ihm, dann verfängt er sich leicht in einer Werkgerechtigkeit, wie sie im obigen Zitat deutlich wird, weil er die objektive Offenbarung in der Geschichte mit der subjektiven in sich selbst vertauscht. Nun hängt Christsein davon ab, wie viel ich heute schon für Jesus getan habe, wie viel ich gebetet, gefastet, gespendet, geworshipt habe. Dabei bleibt am Ende aber immer hängen: Ich hätte ja noch mehr tun können. Es bleibt das schlechte Gewissen.
Zeigt er auf Christi Leben mit ihm, auf seine passive Annahme der Zusage, die ihm gemacht wird, dann bleibt die Freiheit, gute Werke zu tun und fröhlich dem anderen zu dienen ohne dieses Dienen mit Gott aufrechnen zu müssen.
Das ist dann das, was Luther im Kleinen Katechismus so beschreibt:
3. Artikel: Die Heiligung
Ich glaube an den Heiligen Geist, eine heilige, christliche Kirche: die Gemeinde der Heiligen; Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben. Amen.
Was heißt das?
Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten; gleichwie er die ganze Christenheit auf Erden beruft, sammelt, erleuchtet, heiligt und bei Jesus Christus erhält im rechten, einigen Glauben; in welcher Christenheit er mir und allen Gläubigen täglich alle Sünden reichlich vergibt und am Jüngsten Tage mich und alle Toten auferwecken wird und mir samt allen Gläubigen in Christus ein ewiges Leben geben wird. Das ist gewißlich wahr.