Über die Wichtigkeit von Positionen und die Nähe zu Gott.

Weißt du was ich gemerkt hab? Mir ist das alles gar nicht so wichtig: Positionen. Ich will einfach nur bei Gott sein. Und je länger ich drüber nachdenke, desto wichtiger wird mir: „Liebe Gott, und liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“

Mit der ausdrücklichen Erlaubnis meines guten Freundes, von dem diese Zeilen stammen, darf ich mich hier dieser Aussage von der lutherischen Seite nähern, wobei ich Unterstützung von Stud. Theol. erhalten habe. Dies wird natürlich auch einige allgemeine Punkte der ratio enthalten, zuerst jedoch der wichtigste Punkt: Das Bedürfnis, Gott nahe zu sein, ist ein Heiliges und Gutes! Dagegen soll nichts von dem hier Gesagten stehen. Vielmehr soll noch konkreter gefragt werden: Wie kann dieses Gefühl erfüllt werden und wie eben nicht – und zwar mit einem Anspruch, der die über die persönliche Emotion hinausgehen will.

Nun aber:

1) Der offensichtliche Punkt: Die Aussage ist natürlich selbst eine Position. Und hat „unsichtbare“ (Lehr)Positionen zur Grundlage. Will sagen: die Komponenten „Gott, bei … sein“ und „lieben“ sind in den Gedanken des Sprechenden näher definiert als hier, als vielleicht ihm selbst, klar wird. Positionen sind also keineswegs unwichtig, im Gegenteil: ohne Positionen sind keine Aussagen dieser Art möglich.

2) Klarer ausgedrückt geht es meinem Freund also sicher nicht um Positionen an sich, sondern um das Vergleichen von Positionen, von Lehraussagen und Überzeugungen, an dem er müde geworden ist. Das hat den Anschein, akzeptierender zu sein. Wenn man Positionen nicht vergleicht, streitet man vielleicht weniger. Jedoch heißt es auch, dass man die Positionen der Gegenseite(n) dann nicht kennt und ebensowenig über die eigenen reflektiert. Oder, schlimmer noch, man glaubt, es könne unter normalen oder richtigdenkenden Menschen jeweils in Bezug auf einen Themenkomplex gar keine anderen Meinungen geben. Dieses Axiom steht jedoch im Gegensatz zur allgemeinen Menschlichkeit. D.h. entweder, das Axiom muss dem Respekt vor dem anderen als Mensch und seiner Meinungsbildungsfähigkeit weichen, oder umgekehrt. Um gegensätzliche Meinungen zugleich zu respektieren und zu vergleichen, ist jedoch ein geteilter Glaube an Wahrheit und die Möglichkeit den Wahrheitsgehalt einzelner Aussagen festzustellen, notwendig.

3) Bezüglich der theologischen Aspekte möchte ich folgendermaßen vorgehen. In diesem Zitat bleiben, wie angeführt, die Identität des Gottes und auch praktische Tatsächlichkeit des Naheseins undefiniert. Auch hier müssen wieder Positionen, d.h. für wahr gehaltene Fakten, genutzt werden. Aufgrund des Bibelzitats nehmen wir hier den christlichen Gott an.

Wie erkennen wir Gott?

Aus seiner Selbstoffenbarung. Die christliche Annahme ist, dass diese nicht nur passiv (durch die Schöpfung, unsere eigenen Erkenntnisfähigkeiten) sondern aktiv, in der Zeitgeschichte geschieht.

Aus den vielen möglichen Besprechungsarten (Wie kann Gott als solcher erkannt werden? Kann man „bei ihm“ sein? In welcher Form und wie ist das möglich?) möchte ich die wichtige lutherische (ließ: christliche) Grundregel der Bibelauslegung anbringen: die Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium.

In unserem Beispiel ist das Evangelium, oder zumindest die Sehnsucht nach demselben, in dem „bei Gott sein wollen“ ausgedrückt. Doch ohne „Positionen“, d.h. ohne eindeutige Lehrmeinung zu diesen Fragen ist eine solche „Positionierung“ Gott gegenüber – das bei ihm sein oder eben nicht – gar nicht möglich. Hier sollte verdeutlicht werden: Auch „Es ist alles in Ordnung, Gott hat Dich einfach lieb“ oder „Gott interessiert das alles nicht“ sind solche eindeutigen Lehrmeinungen. Wir können ihnen genausowenig entfliehen, wie unserer eigenen Haut. Grundunterschiedlich ist nur, worauf sich unsere Lehremeinungen stützen, nicht, dass sie solche sind.

Die Christenheit hat, was Lehrmeinungen angeht, bis vor kurze Zeit die historisch aufgezeichnete Selbstoffenbarung Gottes durch seine Propheten, in seinem Sohn und durch die von ihm berufenen Apostel als bindend angesehen. (Was außerdem noch gilt, begründet z.T. gravierende konfessionelle Unterschiede, doch verworfen wurde die Schrift als Zentrum nie.) Und vor den Kirchen der Reformation gilt nur sie. Doch steht sie seit jeher im Kampf mit dem eigenen Ich als Offenbarungsort. Sei es nun im Mystizismus, wie schon einmal angemerkt, im Rationalismus, der bestimmte eigene verstandesgemäße Vorurteile[i] als Norm über die Schrift setzt, oder im Liberalismus, der um der Sehnsucht willen, sich nicht aus der Gesellschaft auszugrenzen, Kultur und Schrift miteinander zu Lasten der Schrift harmonisieren will.

Der christliche Glaube bekennt mit der Schrift die verzweifelte, von den Menschen selbst aus unüberwindbare Trennung von Gott. Um ihnen diese zu verdeutlichen ist das Gesetz, nämlich der Wille Gottes für die Menschen, von ihm gegeben worden: „Denn weil die bloße Predigt des Gesetzes ohne Christum [ohne, dass Christus das Gesetz in seine Hand nimmt] entweder vermessene Leute macht, die sich dafürhalten, daß sie das Gesetz mit äußerlichen Werken erfüllen können, oder [Leute, die] ganz und gar in Verzweiflung geraten.“ Nicht, um vom Gesetz aus den eigenen Weg zu Gott zu gehen, ist es uns gegeben: Alle Menschen, auch die, die das Gesetz kennen, sind nicht gerecht vor Gott (Röm. 3,9ff). Gott durch unser gutes Handeln zu erkennen, muss scheitern. Wir erkennen nur, dass wir nicht gut sind. Wir erkennen nur, dass Gott weit weg, verborgen ist, denn wir verzweifeln daran, so werden zu müssen, wie er ist.

Das aber ist die Voraussetzung, um das Evangelium als die eine mögliche Rettung ergreifen, die es ist: „Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.“ (2. Kor. 5,21) Gotteserkenntnis ist von uns aus gesehen ein rein passiver Vorgang: Wir werden durch Gott erkannt als die, die gerecht sind, weil unsere Ungerechtigkeit auf Jesus geladen ist und wir frei davon sind. Wir erkennen Gott dort, wo er für uns handelt.

„Wie nun der Mensch, so leiblich tot ist, sich nicht kann aus eigenen Kräften bereiten oder schicken, daß er das zeitliche Leben wieder bekomme, also kann der Mensch, so geistlich tot ist in den Sünden, sich nicht aus eigener Macht zur Erlangung der geistlichen und himmlischen Gerechtigkeit und Lebens schicken oder wenden, wo er nicht durch den Sohn Gottes vom Tode der Sünde frei und lebendig gemacht wird.“

Formula Concordiae, Solida Declaratio, II, Vom freien Willen oder menschlichen Kräften.

Wie kann ich Gott also nahe sein? Aus lutherischer Sicht ist solche Nähe nichts, was ich herstellen kann. Ich ergebe mich in ihn, ich erkenne die Realität an, die schon da ist, die er mir in seiner Selbstoffenbarung mitgeteilt hat. Christus hat mich zu Gott gebracht. Nicht ich bin bei Gott, Christus ist bei Gott. Doch ich lebe in Christus und bin deshalb bei Gott. In ihm und da, wo er gesagt hat, dass er sein wird – in seinem Wort und seinen Sakramenten – da bin ich ihm nah.

 

 

[i] So zum Beispiel „Es hat keine Wunder gegeben, denn es kann keine Wunder geben“. Die einzig faktisch und logisch haltbare Aussage wäre: „Wunder sind höchst unwahrscheinlich“ und zeigt schon, dass wir uns hier mit einem Strohmann befassen, denn eine äußerst geringe Wahrscheinlichkeit ist fester Bestandteil der Begriffsdefinition eines Wunders.

 

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