Was bewirkt das Abendmahl? – Ein Punkt über den wir wohl heute nicht oft reden, der jedoch unseren Umgang mit dem „Sakrament des Altars“, bewusst oder unbewusst, bestimmt.
Ist es ein Essen, das die Gemeinschaft stärkt, den Zusammenhalt, das Ein-Leib-Sein in der Definition von Michael Jacksons „Heal the world“? Eine Art „Essen mit der ganzen Familie“ also, bei dem zuviel Pomp und zu wenig Verdaubares gereicht wird? So oder so ähnlich scheint es innerhalb Deutschlands in der EKD wohl verstanden zu werden. Dies wäre auf den ersten Blick die Auslegung der Ökumenischen Bewegung, bzw. in einer etwas unbekannteren Bezeichnung, der Union.1
Oder ist es ein Erinnerungsmahl an den Opfertod Christi, das in erster Linie mnemotische und meditative Auswirkungen hat? Das ist – sicher verkürzt – die klassische reformierte Ansicht, die das „zu meinem Gedächtnis“ dem „das ist“ in der Auslegung überordnet. Und das „zur Vergebung der Sünden“ wird ausschließlich auf den einmalig in der Geschichte gemarterten Leib Christi bezogen.
Was nun denkt die lutherische Kirche, was das Abendmahl tut? Laut dem Kleinen Katechismus ist es die Sündenvergebung, die wiederum Leben und Seligkeit schafft. An anderer Stelle in den BSLK kommt dann noch die Stärkung des Glaubens hinzu. Zur ersteren und heute wohl – bemerkenswerter Weise – unbekanntesten Wirkung wollen wir Prof. Dr. Carl Gerhard von Zetschwitz zu Wort kommen lassen:
Vergebung der Sünden wird auch im Wort und in der Taufe gegeben; im Abendmahle aber nach Christi Stiftung mit dem Empfang seines Leibes und Blutes und nicht anders empfangen. […] Wer sagen würde, er suche die Vergebung der Sünden, aber dass Leib und Blut wahrhaftig da empfangen werde, glaube er nicht, dem würde Luther antworten: eben mit Leib und Blut wird sie im Sakrament empfangen und sonst nicht. Darin lag auch die Consequenz seiner Lehre, dass die Zwinglianer gar nichts im Sakrament empfingen, da sie nach ihrer eigenen Negation Leib und Blut dabei nicht empfangen könnten. Dabei ist es nach dieser Anschauung nicht Rechtgläubigkeit, was hier die Sakramentsgnade bedingt. […]Aber es ist gnadesuchender Glaube in der Form, in der im Sakrament Gnade angeboten wird. Es ist ein Luther und allen lutherischen Lehrern völlig fremder Gedanke, die promissio im Sakrament, d. i. die Vergebung der Sünden, wie in der Luft schwebend oder bloß an den Worten: „für euch“ hängend zu denken und nicht zugleich an den vorausgehenden: „mein Leib – mein Blut, für Euch gegeben.“ Der zur Vergebung der Sünden zu empfangende Leib bildet in Eins die promissio des Sakramentes.
[…]
Im großen Katechismus wendet Luther die Worte der Auslegung, die er bei der Taufe braucht, auf das Abendmahl an und nennt es: „Brot und Wein in Gottes Wort gefasset und daran gebunden“. Das gilt ebenso von der unlöslichen Verbindung beider Verheißungen, dass es Leib und Blut ist und dass diese zur Versöhnung genossen werden. Bestimmter spricht dies Luther gleich nacher aus „Darum gehen wir zum Sakrament, daß wir da empfangen solchen Schatz durch und in dem wir Vergebung der Sünden überkommen.“ Und dasselbe noch ausführlicher gleich nachher: „Nun verdrehen sich aber unsere klugen Geister mit ihrer grossen Kunst und Klugheit, die schreien und poltern: Wie kann Brot und Wein die Sünde vergeben (!) oder den Glauben stärken? so sie doch hören und wissen, daß wir solches nicht von Brot und Wein sagen, als an ihm selbst Brot Brot ist, sondern von solchem Brot und Wein, das Christus’ Leib und Blut ist und die Worte bei sich hat. Dasselbige, sagen wir, ist je der Schatz und kein anderer, dadurchsolche Vergebung erworben ist. Nun wird es uns ja nicht anders denn in den Worten: „Für euch gegeben und vergossen“ gebracht und zugeeignet; denn darin hast du beides, daß es Christus’ Leib und Blut ist, und daß es dein ist als ein Schatz und Geschenke.
„Die kirchlichen Normen berechtigter Abendmahlsgemeinschaft“, Leipzig 1870, S. 31-32,33
Im lutherischen Verständnis des Abendmahls begegnen wir also Christus selbst leibhaftig wenn wir zum Abendmahl gehen, weshalb lutherische Christen bis vor kurzer Zeit das Abendmahl selbstverständlich kniend empfingen – kniend vor ihrem Herrn. Und weshalb sie das „Christe, du Lamm Gottes“ nach den Einsetzungsworten anstimmen – um diesen Herrn zu grüßen, der dort nun leibhaftig auf dem Altar vor ihnen steht.
Und was wir mit dem Genuß seines Leibs und Blutes empfangen ist die Vergebung der Sünden und damit das ewige Leben – körperlich, in und für uns. Gut täten wir als Gemeindeglieder und Pfarrer daran, uns dessen wieder zu erinnern.
1: Denn die Union, in all ihren Formen und auch seit ihrem historischen Anfang auf deutschem Boden, ist immer von der Idee getragen, dass die Unterschiede zwischen den Konfessionen nicht so gravierend sind oder sein sollten wie (der Wille zur) Gemeinsamkeit. Natürlich ist auch hier das Paradox zu beachten, dass diese versöhnlich klingende Aussage ebenso allein gelten wollende Überzeugung ist, wie die, deren Unterschiede sie als unwichtig einstuft. Nur kann ihr Allgemeingültigkeitsanspruch die anderen nicht stehen lassen. Sie hat damit den Impuls, alle abweichenden Ansichten zu verdrängen, und setzt diesen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln um. Wirkliche Toleranz kann sie nur ihrer eigenen Überzeugung gegenüber zeigen.