„Was meinen wir überhaupt?“ – Semantik und das „extra nos“ des Evangeliums oder Wille zur Macht macht einsam

Wir glauben, lieben und hoffen

Die Symbole unserer Marke – Kreuz, Herz und Anker – stammen aus der Seefahrt. Für uns stehen sie für den Glauben an das Individuum, die Liebe zur Kreativität und unsere Bodenhaftung.

Website des Modelabels „Blutsgeschwister“, Stand 23.02.2017

 

„Glaube, Liebe, Hoffnung“ – zuletzt begegneten mir diese Worte auf einem Werbeplakat für eine Tatoo-Expo. Jedoch, wie man oben sehen kann, ist die ursprüngliche christliche Herkunft der spezifischen grammatischen Gruppierung der drei Worte mit einem vollkommen neuen Deutungsgehalt überdeckt worden. Pistis, elpis, agape hatten in ihrer Übersetzung in unserem Kulturkreis einen unterbewussten Erkennungswert angesammelt, den man sich hier zu Nutze zu machen scheint. Denn, jedenfalls explizit in jenem berühmten Vers Korinther 13,13, definiert Paulus das Ziel dieser drei aktiven Substantive nicht. Aktiv, weil das, was die Worte ja auch im oben genannten Zitat bedeuten, immer ein Ziel notwendigerweise beinhaltet. Man glaubt an etwas oder jemandem, man liebt etwas und man hofft auf etwas.

Wegen dieser fehlenden direkten Festlegung können die Worte somit sehr gut einem radikal neuen Bedeutungsinhalt zugeführt werden. Warum ist das so? Weil die Bedeutung von Worten, jedenfalls der menschlichen Erfahrung nach, und somit was den Bereich des Wissen-Könnens angeht, auf dem passiven Konsens einer Sprachgemeinschaft beruht. Ob und inwiefern Worte selbst tatsächliche Charakteristiken dessen, was sie bezeichnen, beinhalten bleibt der Philosophie und Theologie anheimgestellt und gerade im Christentum gibt es hier viel zu hören.

Doch versuchen wir ein paar Schritte. Ist das Wort für Stuhl wirklich einfach mit etwas anderem austauschbar? Oder vielmehr, darf Stuhl für mich etwas komplett anderes bedeuten (eine Wolke, das Gefühl kurz nach dem Aufwachen, einen Gipfel in den Seealpen)? Im eindimensionalen Bereich nur einer Sprache mag das gehen, wobei man natürlich damit schon de facto den Bereich dieser Sprache verlassen hat, und dabei ist, eine andere zu entwickeln. Doch im Kontinuum verschiedener Sprachen sieht es anders aus. Ein Übersetzungprozess fragt nach dem Begriff für etwas der Sprache außenstehendes, eben etwas phänomenologisches. Tatsächlich muss man hier jenen trügerischen Bereich bloßer menschlicher Bezeichnungen verlassen und ist mit dem sprachlosen Wesen der Dinge, der Schöpfung konfrontiert, mit dem , was nach Bezeichnung verlangt wenn wir mit ihm Verbindung aufnehmen wollen. Mit dem, was uns begegnet, was ist, wofür Worte gefunden werden müssen.

Und so ist die Definition eines Stuhles bzw. das Objekt, auf das ich zeige, auf das ich verweise, um von meinem Gegenüber das Wort dafür zu erfahren, (auf unsichtbare Dinge kann man nur mit Sprache verweisen) tatsächlich da[i]; er existiert auch unabhängig von unserer Sprachwelt. Und so ist es mit den Inhalten des christlichen Glaubens. Sie existieren auch außerhalb der Worte. Und der Inhalt, den Paulus vermitteln wollte, ist konkret und real da. Doch muss er mit Vorsicht gesucht werden. Die Bedeutung, die ich selbst den Worten geben möchte, ist schnell und ganz natürlich bei der Hand. Deshalb muss ich Selbstdisziplin walten lassen, wenn ich dem meiner Person ursprünglich außenstehenden Inhalt des Paulus finden möchte. Es bedarf für so ein Unterfangen abstrakterer, prüfbarer Vorgehensweisen.

Wie wir oben sehen, ist das dieser Aufgabe entgegenstehende Unterfangen der individuellen, kreativ wirkenden aktiven Deutungsbestimmung heute viel üblicher. Und subversiver Umgang mit Sprache kann seine Berechtigung und seinen Platz haben. Doch nicht, wenn wir einem uns neuen, einem im positiven Sinne fremden Inhalt begegnen wollen. Denn in einer eigenmächtigen Deutung begegnen wir  immer nur uns selbst.

Was bedeutet das jedoch für uns Christen? Es macht uns klar, dass zu allen Zeiten das bloße Wiederholen von Worten keinen Glaubensinhalt bedeutete. Und, dass uns heute (und auch mindestens schon vor 130 Jahren) die für uns so inhaltsvollen Worte begegnen können, ohne mehr auf diesen Inhalt zu verweisen. Und so müssen wir uns also der theologischen Sprache unseres Gegenüber versichern, wenn wir mit ihm reden, denn schon sehr lange haben sich hier tatsächlich andere Sprachen gebildet, die Worte wie Jesus, Evangelium, Erlösung, Auferstehung, Recht mit vollkommen anderen Inhalten füllen. In einer Umkehr des oben genannten Erlernens einer Sprache müssen wir hier nicht auf das der Sprache außenstehende Objekt zeigen, um das Wort dafür zu erlernen, sondern fragen, auf welchen Inhalt dieses Wort in der Sprache des Gegenüber verweist.

Ist es zum Beispiel Christus, der Sohn Gottes, wahrer Mensch und wahrer Gott, Sohn einer Jungfrau, stellvertretend gestorben zur Sühnung der Sünde für die ganze Menschheit? Und hier sehen wir schon, dass diese Problematik eine alte ist. Hier klingen die Symbola der alten Kirche, der einen Kirche aller Zeiten an. Glaubensbekenntnisse mussten schon damals geschrieben werden.

Doch höhlt diese fundamentale Angreifbarkeit den Glauben aus? Nur dann, wenn wir es zulassen. Die Kirche glaubt seit jeher, dass Christus und seine Botschaft, Gottes Gesetz und Gottes gute Nachricht von der Errettung der Menschheit, uns außenstehende, objektive Realitäten sind. In der lutherischen Tradition wird das gern auf Latein mit dem extra nos bezeichnet. Und wenn dem so ist, dann kann Umdeutung jene Wahrheiten nicht angreifen. Die Macht der Sprache ist begrenzt auf den Menschen. Die uns außenstehende Realität kann sie nicht neu schaffen oder auslöschen. Das Wort Gottes kommt von außen und kann uns das Wort des Lebens sein, wenn wir es zu uns sprechen lassen und ihm nicht sagen, was es eigentlich zu meinen hat.

 

[i] Den Standpunkt absoluter Skepsis, der auch die tatsächliche Existenz der uns außenstehenden Realität bezweifeln würde, lassen wir hier, mit Verweis auf Wittgensteins Kritik, außen vor.

 

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