Widersprüche – unsere Serie zu exegetischen Problemen – Teil 4: Herrlichkeit.

In dieser Serie wollen wir uns in loser Folge mit exegetischen Themen beschäftigen – Fragen der Bibelauslegung also. Dabei soll u.a. zur Sprache kommen, welche wissenschaftstheoretischen Probleme die Bibelwissenschaft hat. Neben Grundsätzlichem sollen aber auch Einzelbeobachtungen angesprochen werden. Der folgende zweite Gastbeitrag aus der Feder eines Exegeten schließt sich an diesen Beitrag nahtlos an, um etwas näher zu beleuchten, was es mit dem Verhältnis zwischen Altem und Neuem Testament auf sich hat. 

 

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit; / es kommt der Herr der Herrlichkeit“. Viel weiter brauchen wir gar nicht singen, um auf den ersten theologisch aufgeladenen Begriff des Liedes zu stoßen, der Altes und Neues Testament miteinander verbindet.

Von „Herrlichkeit“ reden wir oft – zumindest in der Kirche. Außer in Bibel und Liturgie begegnet der Begriff noch gern in älteren deutschen Heimatfilmen, in denen wahlweise der blaue Himmel, die hohen Berge, oder auch der Schweinebraten „einfach herrlich“ sind. Glaubt man dem Duden, so wird das Wort „herrlich“ im normalen Deutsch noch mittelmäßig oft gebraucht. „Herrlichkeit“ deutlich seltener.  Trotzdem haben wir Gott im Vaterunser so oft das „Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit“ zugesprochen, dass uns das Wort nicht weiter auffällt – mitunter ohne dass wir klar benennen könnten, was es eigentlich bedeutet. Denn tatsächlich lässt sich der Begriff „Herrlichkeit“ selbst in der Bibel gar nicht so einfach fassen und die Assoziationen, die das Wort im Deutschen hat, scheinen zunächst einmal in die Irre zu führen. Die Bibel spricht von Gottes „Herrlichkeit“ nicht so, wie man auch von seiner Güte oder Allmacht sprechen könnte, sondern ganz anders.

Wenn der Pastor in der Predigt anfängt mir zu erläutern, wie ein bestimmtes Wort im Hebräischen heißt, oder was da „eigentlich“ im Urtext steht, ist meist der Punkt erreicht, an dem ich abschalte, oder möglichst unauffällig die Gummibärchenpackung öffne, um latenten Ärger wegzukauen. Um den biblischen Hintergrund von „Herrlichkeit“ zu verstehen, ist so ein Exkurs aber dennoch unumgänglich. Das hebräische Wort im Hintergrund heißt kabod (כבוד) und bedeutet wörtlich übersetzt „Schwere“. Es bezeichnet die Ehre, das Ansehen, eben das soziale „Gewicht“ einer Person. Auf Gott übertragen heißt das: Dort, wo die Gewichtigkeit, die Größe und Majestät Gottes sichtbar wird, da ist seine Herrlichkeit.

Gottes „Herrlichkeit“ begegnet dem Volk Israel das erste Mal nach der Flucht aus Ägypten in der Wüste. Dort erscheint ihnen „die Herrlichkeit des Herrn in einer Wolke“ (Ex 16,10). Am Berg Sinai erscheint sie dann in einer Wolke und im Feuer (Ex 24,16-17). Bei beiden Gelegenheiten ist Gott in diesen Naturphänomenen auf geheimnisvolle Weise anwesend. Er spricht zu seinem Volk aus der Wolke, bzw. aus dem Feuer heraus und Mose steigt auf den Berg, mitten in die Wolke hinein, um Gott zu begegnen und seinen Willen zu erfahren. Auch später im Wüstenheiligtum und noch später im Tempel, ist es nicht „Gott“, der dort anwesend ist, es ist Gottes „Herrlichkeit“, die im Allerheiligsten wohnt (Ex 40,34; 1 Kön 8,11). Gott ist bei all dem nicht einfach identisch mit seiner Herrlichkeit, aber irgendwie ist er es doch, denn sie ist die Form in der er sich bei diesen Anlässen offenbart. Sie ist nicht eine von vielen Eigenschaften Gottes, sondern ein Ausdruck für Gottes Gegenwart selbst und die Bibel spricht von ihr mitunter wie von einer Person. Ehe der Tempel in Jerusalem zerstört wird, sieht der Prophet Hesekiel, wie Gottes Herrlichkeit aufsteht, den Tempel verlässt und fortzieht (Ez 11,23). Gottes „Herrlichkeit“ bezeichnet hier stets die sichtbare, greifbare, erfahrbare Dimension von Gottes überwältigender Anwesenheit. Häufig ist von Gottes Herrlichkeit auch als einem strahlenden Lichtglanz die Rede (z.B. Ez 43,2).
Weil Gottes Herrlichkeit in diesem Sinne für Gott selbst steht, trägt sie auch seine Eigenschaften. Wie er selbst ist sie einerseits unnahbar. Selbst die Cherubim vor Gottes Thron verdecken ihre Augen und Jesaja ruft in seiner Vision aus: „Weh mir, ich vergehe! Denn … ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen“ (Jes 6,2.5). Genauso verweigert Gott es Mose, seine Herrlichkeit ungeschützt zu sehen, weil der es nicht ertragen könnte (Ex 33,18-23). Wenn Gott seine Herrlichkeit offenbaren will, braucht er einen Vermittler (Dtn 5,23-27). Das ist zunächst Mose, der auf dem Berg Gott begegnet und seine Gebote empfängt. Besonders einprägsam ist die Geschichte, wie Mose das zweite Mal vom Berg Sinai zurückkehrt. Er ist von der Begegnung mit Gottes Herrlichkeit so verwandelt, dass sein Gesicht Lichtstrahlen aussendet, die die Israeliten in Angst und Schrecken versetzen (Ex 34,29-30). Gott weist Mose an, die Stiftshütte zu bauen, weil er dort „wohnen“, seinem Volk nahe sein will (Ex 25,8). Später ist es der Kult im Heiligtum, der Israel eine Begegnung mit Gottes Herrlichkeit ermöglicht (Lev 9,6).

Andererseits steht die Herrlichkeit aber eben auch für Gottes Zuwendung, seine Güte, Treue, die Wunder, die er für sein Volk tut. Denn wo man Gott erfährt, da erfährt man ihn so, wie er ist. Gott erweist seine Herrlichkeit, wenn er den Pharao zu Fall bringt und Israel rettet (Ex 14,4). Israel „sieht“ die Herrlichkeit des Herrn, wenn Gott ihm in der Wüste Nahrung schenkt (Ex 16,7). Dort wo Gott sein Volk rettet, zeigt sich sowohl seine Macht wie auch seine Nähe. Die Psalmen werden nicht müde zu betonen, dass es der Name des Herrn ist, dem die Herrlichkeit gebührt (z.B. Ps 29,2; Ps 66,2; Ps 72,19. Hier wird kabod mitunter auch mit „Ehre“ übersetzt). Und Gottes Name lautet ja eben JHWH, also der, der ist, der da ist, der da sein wird. Auch und gerade für sein Volk (Ex 3,14-15).

Gottes Herrlichkeit ist demnach ein Ausdruck für seine machtvolle Gegenwart, die alles menschliche Fassungsvermögen übersteigt und die er uns Menschen doch erfahren lässt, weil er sich als der erweist, der er ist. Der, der da ist, und der, der rettet. Und das bleibt bei dem Volk Israel nicht stehen. Gerade die Propheten erwarten, dass einmal Gottes Herrlichkeit der ganzen Welt offenbar wird (z.B. Jes 66,18, aber auch Ps 102,16).

Genau diese Linie führt das Neue Testament weiter. Das fängt bei der Begrifflichkeit an. Das in diesem Zusammenhang hier verwendete griechische Wort lautet doxa (δόξα). Schon als das Alte Testament ins Griechische übersetzt wurde, entschieden sich die Übersetzer „kabod“ mit „doxa“ zu übersetzen. Doxa kann entweder „Meinung, Ansicht“ oder „Ehre, Ansehen“ bedeuten. Die zweite Übersetzung passt ja durchaus zu dem, was oben beschrieben wurde. Trotzdem ist es bemerkenswert, dass die Autoren des Neuen Testaments diese Bezeichnung beibehalten haben, denn wer damals das Wort „doxa“ hörte, wird vor allem an eine Meinung oder Ansicht gedacht haben, mitunter auch an Ansehen und Ehre, keinesfalls aber an die ehrfurchtgebietende Gegenwart Gottes oder gar einen sichtbaren Lichtschein. Genau so redet das Neue Testament aber von Herrlichkeit. Schon hier zeigt sich, dass die Autoren des Neuen Testaments ganz bewusst an die Vorstellungen des Alten Testaments anknüpfen.

Dabei erkennt das Neue Testament Jesus Christus als den Brennpunkt von Gottes Herrlichkeit. Wenn der Evangelist Johannes von Jesus schreibt „er wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit“ (Joh 1,14), dann denkt er an Jesus als den Ort, an dem Gott sich offenbart. So wie es zuvor der Tempel war. Jesu Wunder offenbaren seine Herrlichkeit, so wie auch Gottes Herrlichkeit in Wundern offenbar wurde (Joh 2,11; 11,4). Mehr noch als Heilungen und Speisungen weiß Paulus aber, dass es das große Wunder von Jesu Auferstehung ist, in dem Gottes Herrlichkeit wirkt: Er ist „auferweckt von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters“ (Röm 6,4). Die Botschaft des Evangeliums ist das „Leuchten der Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu Christi“ (2 Kor 4,6). Jesu Herrlichkeit ist Gottes Herrlichkeit. Und weil sie Gottes Herrlichkeit ist, rettet sie. Wer Anteil an Jesus hat, gewinnt Anteil an Gott. Er wird verwandelt und Jesus ähnlich gemacht (2 Kor 3,18). Er wird „verherrlicht“ (Röm 8,30, aber auch z.B. Hebr 2,7-10). Auf diese Weise ist durch Jesus die Hoffnung erfüllt, von der das Alte Testament wiederholt spricht, dass einmal alle Menschen Gottes Herrlichkeit sehen werden.

Mit all diesen Aussagen greift das Neue Testament behutsam verschiedene Aspekte der Herrlichkeit Gottes im Alten Testament auf und führt sie fort. In Jesus Christus macht Gott sich sichtbar – so wie alttestamentlich in seiner Herrlichkeit. Während Gott Mose als ersten Vermittler seiner Herrlichkeit benutzte, ist Gottes Herrlichkeit jetzt in Christus anwesend. So wie das Alte Testament von der Herrlichkeit mitunter wie von Gott selbst sprechen kann, bietet die Vorstellung von Gottes „Herrlichkeit“ eine willkommene Möglichkeit, die Nähe, ja die Einheit von Jesus und Gott auszudrücken, ohne beide einfach miteinander gleich zu setzen – lange bevor es eine dogmatisch und philosophisch durchdachte Begrifflichkeit von der Dreieinigkeit Gottes gab. So wie Gottes Herrlichkeit in seinen Rettungstaten sichtbar wird, verdichtet sie sich in seiner großen Rettungstat: Leiden, Tod und Auferstehung seines Sohnes. So wie sie einmal allen Menschen erscheinen soll, bringt Jesus sie der ganzen Menschheit. Und so, wie die Herrlichkeit im Alten Testament trotz allem den Verstand der Menschen überschreitet, tut sie es auch im Neuen.

Wenn wir heute den „Herrn der Herrlichkeit“ besingen, tun wir das mit einer Formulierung, die sich so nur selten im Neuen Testament findet. Paulus bestätigt den irdischen Machthabern, Gottes Weisheit nicht erkannt zu haben, denn sonst „hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt“ (1 Kor 2,8). Der „Herr der Herrlichkeit“ ist allem menschlichen Maßstäben und Wertvorstellungen zum Trotz der Erniedrigte und Gekreuzigte. In dieser Hinsicht geht das Neue Testament über das Alte hinaus. Ja, Gottes Herrlichkeit entspricht seinem Wesen. Aber Gottes Wesen wird nicht nur in starken Machttaten, sondern gerade in der Niedrigkeit Christi erkannt. Dort ist Gott gegenwärtig, zeigt uns wie er wirklich ist. Und dort rettet er auch. Man fragt sich, ob Paulus aus reinem Zufall an gerade dieser Stelle vom Herrn der Herrlichkeit spricht. Schließlich ist „Herr“ von alters her die Umschreibung für den Gottesnamen „JHWH“. Und von alters her gebührt seinem Namen die Herrlichkeit. Am Kreuz, dort ist Gott wirklich da.

Dies in einem Adventslied anklingen zu lassen, zeugt von der theologischen Weisheit seines Dichters. Aber was bedeutet all dies für unsere Fragestellung? In jedem Falle zeigt es, wie reflektiert die Autoren des Neuen Testaments die alttestamentliche Theologie aufgegriffen haben. Wenn sie von „Herrlichkeit“ sprechen, stülpen sie dem Alten Testament nicht einfach etwas über. Vielmehr nehmen sie die Anliegen des Alten Testaments auf und beschreiben, wie sie sie in Christus erfüllt sehen. Dass dies kein Einzelfall ist, wird unser nächstes Beispiel zeigen. Denn dass es sich beim „Herrn der Herrlichkeit“ um den „König aller Königreich“ handelt, hat sich nicht erst Georg Weissel ausgedacht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert