In unserem letzten Post sprach stud. theol. fulminant zum Evangelium und – man kann nicht oft genug darauf hinweisen – zur Problematik der heutigen Verstrickung in rein ethische und daher gesetzliche Themen unter Vernachlässigung des diesen Kampf transzendierenden Evangeliums.
Aber was ist nun mit dem Gesetz? Fließt Ethik aus unserer Erlösung und damit aus dem Evangelium selbst? Ist also das Evangelium quasi der erste und das Gesetz der zweite Schritt?
„Wir glauben, lehren und bekennen, obwohl die recht gläubigen und wahrhaftig zu Gott bekehrten Menschen vom Fluch und Zwang des Gesetzes durch Christum gefreiet [befreit] und ledig gemacht [sind], daß sie doch der Ursache nicht ohne Gesetz seien, sondern darum von dem Sohn Gottes erlöst worden, dass sie sich in demselben Tag und Nacht üben sollen, Ps. 119; wie denn unsere ersten Eltern auch vor dem Fall nicht ohne Gesetz gelebt [haben], welchen das Gesetz Gottes auch in das Herz geschrieben [war], da sie zum Ebenbild Gottes erschaffen worden [sind], Gen. 2 und 3.“
Konkordienformel, Epitome, VI, Punkt 1
Die lutherischen Väter der Konkordienformel betonen hier also das, was in der Bibel zu lesen ist: Auch Adam und Eva waren nicht ohne Gesetz. Anders als bei uns, ihren Kindern, war es ihnen jedoch naturgemäß, nach dem Gesetz zu leben. Um es anders zu formulieren: Was ist das Gotteswort „Es werde Licht!“ – Gesetz oder Evangelium? Natürlich ist es Gesetz, eben in dem Sinne des Willens Gottes, nach dem die ganze Schöpfung ist und weiterbesteht. Man darf hier nicht vermischen: Ja das Gesetz verdammt uns als Sünder, als Rebellen und Übertreter gegen Gott und unseren Nächsten, als Nutznießer der Sünden unserer Väter und Urväter. Aber deshalb ist das Gesetz, deshalb ist der Wille Gottes nicht selbst schlecht.
„Also ist und bleibt das Gesetz beides bei den Bußfertigen und Unbußfertigen, bei wiedergebornen und nichtwiedergebornen Menschen ein ein[z]iges Gesetz, nämlich der unwandelbare Wille Gottes“
Konkordienformel, Epitome, VI, Punkt 6
Somit kommen also sowohl Gesetz als auch Ethik vor dem Evangelium, da sie beide ihren Urgrund und ihre Existenz aus dem Willen Gottes haben. Das Evangelium, die gute Botschaft also, besteht nun eben darin, dass Gott etwas durch das offenbarte Gesetz nicht vorhersehbares getan hat. Zu welchem Zweck? – Um unsere ansonsten, also innerhalb des Gesetzes, hoffnungslose Verlorenheit zu durchbrechen und uns zu aus ihr zu erlösen, uns vom sicheren Tod ins ewige Leben zu bringen.
Der fundamentale Unterschied, den das Evangelium hier bewirkt, bezieht sich nicht auf den inhaltlichen Ursprung der Ethik. Dieser Ursprung ist eindeutig Gott selbst und sein geoffenbarter Wille, welcher der ganzen Schöpfung und ihrer Geschichte existenzgebend zugrundeliegt. Er bezieht sich auf den Grund, warum und wie gute Werke getan werden:
„Und ist der Unterschied, soviel den Gehorsam belangt, aIlein an dem, da einer, so noch nicht wiedergeboren, dem Gesetz aus Zwang und unwiIlig (wie auch die Wiedergebornen nach dem Fleisch) tut, was [es] von ihm erfordert, der Gläubige aber ohne Zwang mit wiIligem Geist, soviel er neugeboren, tut, was keine Dräuungen des Gesetzes aus ihm nimmermehr erzwingen könnten.“
Konkordienformel, Epitome, VI, Punkt 6
Gott selbst hat die Schuld, die wir innerhalb des Gesetzes nie loswerden konnten, selbst auf sich genommen und gesühnt. Daher sind wir, wenn wir dies glauben, erlöst, also frei. Aber nicht frei, weil Christus das Gesetz aufgelöst hat, sondern frei, weil wir nicht mehr gegen das Gesetz sind. Wir können aufhören ständig gegen dieselbe Mauer anzurennen bis wir an unseren Verletzungen sterben. Hier unterscheiden die lutherischen Väter den Gläubigen sehr genau nach dem Fleisch und nach der Wiedergeburt, also gemäß des simul iustus et peccator. Das heißt, dass „ einer, so noch nicht wiedergeboren“ das Gute nur aus Zwang tun kann, „die Wiedergebornen“ nun aber zwei Naturen in sich haben: die neue Schöpfung, die ganz von selbst das Gute will und tut und den „alten Adam“ der genauso gezwungen werden muss wie schon vorher. Ja, er ist es, der ganz und gar stirbt, wenn wir sterben. Erst nach der Auferstehung wird man ihn los.
Wir halten also fest: Das Gesetz ist gut, wir waren es auch, aber seit dem Fall sind wir es nicht mehr. Dies ist die Erklärung alles Bösen in der Welt und ganz besonders des Bösen in uns selbst. Das Gute, das das Gesetz verlangt, kann das Böse, das uns verfolgt und das wir tun, nicht aufheben. „Wir glauben, lehren und bekennen auch, daß die guten Werke gleich so wohl, wenn von der Seligkeit gefragt wird, als im Artikel der Rechtfertigung vor Gott gänzlich ausgeschlossen werden sollen“ (FC Epitome, IV, Punkt 1). Die Gute Nachricht ist, dass Gott diese Ketten selbst auf wundersame Weise gelöst hat, indem er selbst unser Fleisch und Blut annahm und es dann freiwillig und ohne Sünde schlachten und vergießen ließ. Zum Zeichen, dass das Undurchbrechliche durchbrochen war, stand er samt jenes Fleischs und Blutes von den Toten auf. Die Wahrheit seines auferstandenen Leibs ist die Hoffnung für unsere krankenden und sterbenden Leiber.
Und das Gute? Das Gute war und ist immer noch gut, doch lebt und wächst es jetzt auch in uns. Und doch ist es immer noch das, was wir – nach dem Fleisch – nicht tun und nicht tun wollen. Das Gute rettet uns nicht und doch ist es uns, gerade in unserer durch Gott erkämpften Freiheit, „nötig“ das Gute zu tun. Das Gesetz ist gut; wir sind es, die böse sind.