„Suche Frieden und jage ihm nach“ (Psalm 34,15b)
So wollte ich den Artikel nicht anfangen, aber: Ich bin geschockt!! Ein Beitrag bei evangelisch.de reißt mich rüde aus einer falschen Vorstellung: die Jahreslosung wird gar nicht geLOST, sondern ausgewählt! Jawohl, und das nicht etwa von den Söhnen Zinsendorfs, sondern von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen. Auch die letzte zarte Assoziation eines hier tatsächlich durch das Los wirkenden Gottes, die ich mir vielleicht noch bewahrt hatte, darf nun auch abfallen und mit dem Januarwind davonwehen. Gott spricht nicht durch das Los, sondern durch, was könnte passender für unsere derzeitigen Amtskirchen sein, eine Arbeitsgruppe! *Genüßliches Ahhhhhh*
Schon lange bemerke ich verwundert, dass, wenn es etwas gibt, dass alle Lager der Kirche eint, dann ist es die Losung im sidetab der eigenen Website. Losung, das ist das Erkennungssignal für „christlich“ geworden. Anders steht es um die klassischen Erkennungsmerkmale der Christen, die Bekenntnisse z.B. Diese lassen sich nicht so einfach nutzen, da in ihnen ja für einen Teil der Lager unappetitliche und unzivilisierte Sachen stehen. Was also macht die Losung so attraktiv? Eben jene Tendenz des Herausreißens aus dem Kontext, die weggeht vom mir außenstehenden Inhalt des Textes – dem mich richtenden und erlösenden Wort Gottes der alten Kirche – und sich lieber das Subjekt zum Kontext macht: die Losung für mich, im Jetzt, erläutert durch einen Gott, der zu mir direkt spricht. Und dieser sich mir direkt offenbarende Gott kann nunmehr alles sagen und ist deshalb auch der Gott für alle Lager und Parteien: Derer, z. B., denen er sagt, dass sie durch das Werk des Betens für ihn die Welt verändern, genauso wie jenen, denen er sagt, dass Jesus nur ein besonders gutes Exemplar seiner Geschöpfe war, der natürlich nicht von den Toten auferstand oder irgendsoetwas. Er schreit, dass er Trump superdoof findet und Angie toll! Oder war es umgekehrt? Nein, nicht „oder“: UND! Der phantastische Gott, der alles und nichts sagen kann!
Sicher gibt es nicht wenige Losungsbenutzer, die dem Satz zustimmen, dass die Herrnhuter Losungen nicht wie ein Orakel zu benutzen sind. Und doch ist meine Erfahrung des Aufwachsens mit dem Buch doch die, das sich, auch entgegen der Beteuerung, ein „Und heute, wie passend“ nicht vermeiden lässt, ja sogar einen reizvollen Mehrwert darstellen, dem kaum zu widerstehen ist. Vielleicht würden sogar die meisten der Forderung zustimmen, dass die Losung nur ein Anreiz sein soll, mich tiefer in die gesamte Schrift zu führen. Und doch beginnt die Tendenz am Anfang:
„Das Datum der ersten Losung steht fest: Am 3. Mai 1728 bei der abendlichen Versammlung in Herrnhut, verkündete Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-1760) der Gemeinde ein kurzes Wort für den kommenden Tag. Mit dem Liedvers: »Liebe hat ihn hergetrieben, Liebe riss ihn von dem Thron, und wir sollten ihn nicht lieben?« begann die beispiellose Geschichte der Losungen. Bald schon wollten die Herrnhuter auf die »Parole für den Tag« nicht mehr verzichten. Die Losungen wurden zu einem wichtigen Kommunikationsmittel. Zinzendorf nannte sie »fortgesetzte Gespräche des Heilands mit der Gemeinde«. Er empfahl, dass sie »ins Gemüt und ins Herz« hineingenommen werden. [1]
Wenden wir uns somit aber doch noch dem Gott zu, der etwas sagt, dem verbum externum, in diesem Fall also Psalm 34. Wie im oben verlinkten Artikel zu sehen, ist es klar, dass es hier um Pazifismus und vor allem friedensschaffendes Handeln geht. Wenn ich sie mir schon angeschafft hätte, würde jetzt die „Gesetzübersättigungssirene“ ertönen. Aber meinte das David wirklich so?
Von David, als er sich wahnsinnig stellte vor Abimelech und dieser ihn vertrieb und er wegging.
Ich will den HERRN loben allezeit; sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein.
Meine Seele soll sich rühmen des HERRN, dass es die Elenden hören und sich freuen.
Preiset mit mir den HERRN und lasst uns miteinander seinen Namen erhöhen!
Da ich den HERRN suchte, antwortete er mir und errettete mich aus aller meiner Furcht.
Die auf ihn sehen, werden strahlen vor Freude, und ihr Angesicht soll nicht schamrot werden.
Als einer im Elend rief, hörte der HERR und half ihm aus allen seinen Nöten.
Der Engel des HERRN lagert sich um die her, die ihn fürchten, und hilft ihnen heraus.
Schmecket und sehet, wie freundlich der HERR ist. Wohl dem, der auf ihn trauet!
Fürchtet den HERRN, ihr seine Heiligen! Denn die ihn fürchten, haben keinen Mangel.
Reiche müssen darben und hungern; aber die den HERRN suchen, haben keinen Mangel an irgendeinem Gut.
Bis hierher haben wir noch nichts von unserem Versteil gehört, wohl aber viel Gutes. Der Psalmist lobt Gott für die an ihm vollbrachten Wohltaten und spricht seinen Hörern Mut und auch Rat bzw. Warnung zu. Die christologische Note hören wir in dem Vers, der in der Abendmahlsliturgie erklingt: Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist.
Kommt her, ihr Kinder, höret mir zu! Ich will euch die Furcht des HERRN lehren.
Wer ist’s, der Leben begehrt und gerne gute Tage hätte?
Behüte deine Zunge vor Bösem und deine Lippen, dass sie nicht Trug reden.
Lass ab vom Bösen und tue Gutes; suche Frieden und jage ihm nach!
Die Augen des HERRN merken auf die Gerechten und seine Ohren auf ihr Schreien.
Das Antlitz des HERRN steht wider alle, die Böses tun, dass er ihren Namen ausrotte von der Erde.
Wenn die Gerechten schreien, so hört der HERR und errettet sie aus all ihrer Not.
Der HERR ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind, und hilft denen, die ein zerschlagenes Gemüt haben.
Der Gerechte muss viel leiden, aber aus alledem hilft ihm der HERR.
Er bewahrt ihm alle seine Gebeine, dass nicht eines von ihnen zerbrochen wird.
Den Frevler wird das Unglück töten, und die den Gerechten hassen, fallen in Schuld.
Der HERR erlöst das Leben seiner Knechte, und alle, die auf ihn trauen, werden frei von Schuld.
Hier sind wir nun bei unserem Frieden angelangt. Er ist klar Teil eines Anhaltens zu gutem Leben (im qualitativen und ethischen Sinne zugleich), das an die Sprüche und den Kohelet erinnert. Interessanterweise wurde von unserer Arbeitsgemeinschaft nicht der ganze Vers genutzt. In das Wespennest von Gut und Böse, vor allem, Menschen zu sagen, was man tun und lassen soll, davon will man lieber Abstand nehmen. Aber doch auch nicht, denn die Aufforderung Frieden zu halten ist ja scheinbar recht akzeptabel. Wohl deshalb, weil jeder weiß, dass Frieden gut ist. Jedoch kann er hier nicht in erster Linie als politischer Frieden gelesen werden, denn es geht um „Leben und gute Tage“, also um eine allgemeine Predigt der Weisheit. Man könnte es also eher dem Echo des Paulus (Röm. 12,18) vernehmen: „Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.” Und natürlich ist der wahre Frieden, der ultimative Frieden, der, von dem Christus spricht, den er uns gibt, den Frieden mit Gott nämlich, den er am Kreuz für uns durch sein Blut erwarb und aus dem jeder echte Friede selbst lebt.
Wenn wir von den Gebeten der Lutheraner der ersten Jahrhunderte lernen wollen (z.B. Arndt’s Paradiesgärtlein), dann predigen wir Frieden in erster Linie uns selbst und bitten Gott darum. Frieden ist nicht etwas, das von Menschen gemacht wird, selbst politischer Friede ist viel mehr „Schicksal“ als man meinen möchte. Friede im umfassenden Sinn des Kleinen Katechismus (bei der Bitte um das Täglich Brot) ist ein Geschenk Gottes, dass wir mit unserem Beten nicht fabrizieren, sondern um das wir Gott demütig bitten. Und zuletzt: wahrer innerkirchlicher Friede kann nur der Friede der Einheit im einen Evangelium, also in der einen Lehre sein. Es ist also nicht der Friede der Beliebigkeit, den der Gottautomat, den ich oben anhand der Losungen beschrieb, zu verbreiten scheint. Der Friede zu dem Paulus aufruft ist die Einheit des einen Glaubens, und zumindest im inhaltlichen Sinne eben nicht Einheit in Vielfalt.
[1] https://www.losungen.de/die-losungen/geschichte/ abgerufen am 07.01.2019
Hallo,
ein kurzer Hinweis zur Jahreslosung: diese hat mit den täglichen Losungen der Herrnhuter Brüdergemeinde nichts zu tun (diese werden tatsächlich gelost), sondern die Jahreslosung gibt es erst seit 1930 und wurde von dem schwäbischen evangelischen Pfarrer Otto Riethmüller „erfunden“, der damals vor allem für die Jugendlichen ein Bibelwort als „Losung“ im Sinne von Wahlspruch/Motto gegen die nationalsozialistische Propaganda stellen wollte. die erste Jahreslosung war Röm. 1,16: Ich schäme mich des Evangeliums nicht!
Vielen Dank! Das war uns zwar bewusst, aber wird wohl im Beitrag so nicht deutlich. Allerdings ist auch der Los-Vorgang bei der Herrnhuter Variante eingeschränkt worden (NT wird nicht gelost, beim AT ist’s eine Auswahl). Und die Benutzung als „Orakel“, wir sie manchmal vorkommt, ist natürlich dennoch zu beanstanden.