Schon lange will ich zu diesem Thema schreiben und es wird wohl nicht in diese eine Abhandlung passen. Welches Thema? Die wahrheitstheoretischen Grundlagen des Christentums, oder einfacher gesagt: Warum und wie können wir überhaupt irgendetwas über Gott sagen?
Fangen wir also einfach einmal an und limitieren es gleich: Zuerst kurz ein paar Grundlagen einer ersten Glaubensgruppe und ihrer Offenbarungsquelle: die Atheisten.
Wittgenstein hat schlüssig dargestellt, dass Dinge außerhalb unserer direkten sinnlichen Erfahrbarkeit aus dieser selbst heraus nicht in irgendeiner Form ausgesprochen werden können. In diesem Sinne steht er mit Luthers Kritik scholastischer Theologie in der Heidelberger Disputation auf ähnlicher Grundlage. Dort macht Luther die Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus und dem Deus revelatus bzw. predicatus, dem verborgenen Gott und dem geoffenbarten Gott. Um dies in den modernen Kontext zu rücken: oft werden „engstirnige“ Christen kritisiert, sie würden nicht „denken“ weil sie sich so blind an der Bibel festhielten. Unbenommen der Tatsache, dass es in gewissen christlichen Strömungen Denkverbote dieser Art geben kann, ist dies jedoch kein Vorwurf, der der alten und mittelalterlichen Kirche zukommt. Luther arbeitet hier am philosophischen Limit, denn es geht um die Frage, was wir überhaupt wissen können, um Epistemologie. Tatsache ist nämlich nicht, dass die Berufung auf die Selbstoffenbarung Gottes (in der Schrift aufgezeichnet) eine Einschränkung der Wahrheit wäre. Wer nicht weit genug denkt um zu verstehen, dass man ohne einen locus göttlicher Selbstoffenbarung Nichts, aber auch Garnichts über Gott aussagen kann, verbleibt in Wahrheitslosigkeit, welche schnell zu Sprachlosigkeit zu werden droht.
Und so ist es fast naturwissenschaftlich: Gottesaussagen dulden kein epistemologisches Vakuum. Das bedeutet: wer auch immer eine Aussage über Gott trifft, definiert zur Gewinnung dieser Aussage – bewusster- oder unbewusstermaßen – eine Quelle der Offenbarung.
Verdeutlichen wir es zuerst an den Atheisten, denn hier gibt es eine interessante Umkehrung. Atheisten glauben eindeutige Informationen über Gott zu haben, nämlich so eindeutig, dass sie mit Sicherheit schließen können: Gott gibt es nicht. Auf das Nichtsein einer Entität schließt man aus dem Fehlen von Anzeichen für die Existenz derselben. Atheisten antworten ja, berechtigterweise, auf die klassischen Gottesbeweise nicht mit: „Oh, das ist aber interessant, ich muss mich geirrt haben!“, sondern mit dem Nachweis, dass dieser Beweis nicht schlüssig ist, um die Existenz eines höheren Wesens darzustellen. Der Grund des Atheismus ist also ein FEHLEN von Anzeichen oder ausreichenden Nachweisen für die Gottesexistenz. Anders ausgedrückt: man glaubt nicht an Gott, weil er sich eben nicht offenbart, bzw. sich nicht so offenbart, wie man es erwartet.
Es klingt hier schon an: Atheismus fundiert auf einem a priori, nämlich der Annahme, dass es keinen Gott gibt. Dies wird von dieser Seite auch gern als der eigentliche Grundmodus des menschlichen Daseins behauptet: Von Natur aus sucht der Mensch keinen Gott, das wurde uns nur von der Priesterkaste eingeflößt, die von unseren Habseligkeiten fett werden will. Historisch – also so objektiv wie möglich – betrachtet, muss aber festgehalten werden, dass selbst das, was man als Vorformen des Atheismus bezeichnen könnte, stets in einem viel breiteren Strom religiöser Überzeugungen eingebettet sind. Auch ist die Frage nach der eigenen Herkunft nicht abstrakt oder erlernt sondern fundamental für den Menschen. Die materialistische Antwort: Ich bin der Nachfahre eines besonders begabten Affen, bzw. ich bin das Ergebnis der zufälligen Kollision von Atomen, ist eigentlich eine Verkürzung, und müsste die Worte „nichts mehr, als“ beinhalten. Sie versichert nähmlich, dass man woanders als in der puren Materie nicht suchen muss. Und woher weiß man, dass man da nicht suchen muss?
Halten wir hier fest: Der Offenbarungsort Gottes ist für Atheisten überall, und von überall her schallt der Ruf: Nemo hic est – Niemand ist hier.