Für den kommenden Sonntag, den „Vorletzten Sinntag des Kirchenjahres“ ist als Predigttext Hiob 14,1–6(7–12)13(14)15–17 vorgesehen, zur Erinnerung hier nochmal die ersten Verse (1-6):
1 Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, 2 geht auf wie eine Blume und welkt, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. 3 Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. 4 Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! 5 Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: 6 so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.
Zu diesen Versen hat sich 1627 Polykarp Leyser im Rahmen einer Beerdigungspredigt Gedanken gemacht, die wir lesenswert fanden. Wir geben hier eine Zusammenfassung zentraler Passagen wieder:
„Im 13. Kapitel klagt Hiob über Gottes schwere Hand, dass dieser so genau Acht gibt auf das Tun und Lassen des Menschen, der doch so kurz lebt. Im 14. Kapitel fährt er damit fort und sagt aus: „Der Mensch ist eine elende Kreatur“. Dabei redet Hiob von der edelsten Kreatur Gottes, doch eben nicht, wie sie Gott erschaffen hat, sondern wie sie nach dem Sündenfall ist. Menschen werden immer von anderen schuldhaften, sündigen Menschen geboren. So kommen die Kinder auch weinend und elend zur Welt. Kinder müssten sofort verderben, wenn ihnen nicht durch ihre Eltern geholfen würde. Das ist ein Bild für die menschliche Erbsünde. Weil wir selbst der Grund der Erbsünde sind (weil wir nie sündlos leben), soll uns die menschliche Schwachheit dazu bringen, dass wir geduldig werden. Denn das menschliche Leben währt kurz und wer am Ende auf seine achzig Jahre zurückschauen kann, dem scheint es doch oft so, als wäre es nur ein Jahr gewesen. Dazu verbringen wir zusätzlich noch die Hälfte unseres Lebens mit Schlafen, damit wir die Zeit desto eher vergessen. Gegenüber Gott und seiner Ewigkeit sind achzig Jahre wie nichts zu rechnen. In diesem Windhauch von Leben ist der Mensch voller Unruhe, ist sein Leben mühselig, voller Jammer und Elend. Es sorgt sich der Arme, dass er esse, es sorgt sich aber auch der Reiche, dass er nicht arm werde. Wird einer verachtet, so sorgt er sich, höher zu steigen, steht einer in Ehren, so fürchtet er sich vor den vielen Neidern und der Unbeständigkeit der Menschen. Deswegen sollen wir uns nach dem ewigen Leben ausstrecken.
Bemerkenswert findet Hiob, dass Gott sich zu diesem kurz und unruhigen Leben des Menschen herunterlasse. Dass er diesen elenden Menschen ansieht, so genau auf alles, was dieser Mensch tut, acht gibt und seine Werke & Gedanken ansieht. Ja. er richtet und züchtigt ihn sogar, wenn er fehlgeht, obwohl Gott doch weiß, dass der Mensch ein armer Sünder ist und gar nichts Gutes tun kann. Denn der Mensch ist so ganz verdorben und hat doch so schon genug Jammer und Elend vor sich, dass man ihn doch eigentlich vor noch mehr Kreuz und Unglück verschonen könnte. Weil das menschliche Leben so gar nichts ist im Vergleich zu Gott, sollte Gott es nicht achten, sollte es nicht gegen Gott aufrechnen, wünscht sich Hiob. So ist es zumindest in der Welt: die vornehmen Reichen achten der Armen nicht, halten sie nicht für wert, dass sie diese vors Gericht ziehen sollten, weil sie nur wenig von ihnen erhalten würden. So, denkt unsere Vernunft, sollte Gott auch tun, und nicht mit dem Menschen, der doch ein Schatten ist, streiten und fechten, sollte nicht zu genau suchen und ihn vors Gericht ziehen, er müsste doch sowieso wissen, dass der Mensch nicht ohne Sünde leben kann. Deshalb sollte Gott ein Auge zudrücken und nicht noch mehr Kreuz auf ihn laden. Aber Gottes Gedanken sind nicht unsere Gedanken, er ist ein strenger Richter, sucht es genau, verschont auch den Frommsten nicht.
Daraus können wir lernen, dass Gott uns genau sieht, über uns hütet und wacht. Wir aber sollen mit Blick auf unsere Schwachheit mit David täglich beten „Gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht …“. Dass Gott uns so vors Gericht zieht, geschieht darum, damit allein Gott die Ehre bleibe. Er allein ist gerecht, wir aber müssen bekennen, dass wir arme Sünder sind und des Ruhmes an Gott mangeln (Röm 3). Wir müssen uns schämen und demütigen. Weil er allein gerecht ist, sollen wir allein bei ihm Gerechtigkeit suchen. Denn er hat uns seinen Sohn zur Gerechtigkeit gemacht (1.Kor 1). In diesen sollen wir uns finden lassen, wenn Gott uns vors Gericht zieht.“
Polykarp Leyser, Leichenpredigt für Johann Rose, Leipzig 1627 (VD17 23:271746Y)
Wir möchten hier nur auf den Gedanken, der zu Beginn des zweiten Absatzes geäußert wird, verweisen: Gott lässt sich zum Menschen herab. Der Philipperhymnus (Phil 2, 6-11) hat das folgendermaßen eindrücklich formuliert:
Jesus Christus, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.
Es ist genau dieser Aspekt, der so gar nicht menschlichen Vorstellungen entspricht. Menschen wollen eher wie Gott werden. Sie versuchen, so lange wie möglich zu leben, so viel Macht wie möglich über andere auszuüben. Stellen wir uns Götter vor, so haben sie besondere Fähigkeiten, sind unsterblich, benutzen Menschen wie kleine Schachfiguren (vgl. griechische Göttermythologie). Christus der Gott dagegen wird ein armer Mensch, wird aller Menschen Knecht und lässt sich gehorsam töten. Christus selbst wird eben jener Mensch, von dem Hiob klagt, dass Gott mit diesem ins Gericht geht.