Morgen ist er, der 31. Oktober, und landauf landabb wird es wieder um solche langweiligen Fragen gehen wie „Und was machen wir jetzt mit Halloween?“; „Hat der Thesenanschlag wirklich stattgefunden?“ (und in den 70ern hängengebliebene Pastoren werden breit erklären, dass das nicht der Fall gewesen sei) oder „Welche Fehler hat Luther eigentlich gehabt?“. Nunja, das kann man alles machen, aber das bringt natürlich nichts, zumal man heutzutage davon ausgeht, dass es sehr plausibel ist, dass irgendeine Form von Thesenschlag (oder Anklebung) stattgefunden hat, man seit mehreren Jahren wirklich viel über die negativen Seiten Luthers weiß und bei anderen Gelegenheiten ja auch nicht daran verzweifelt; wenn sich mehrere Feste überlagern, das christliche und das konsumorientierte Weihnachten zum Beispiel. Wohlgemerkt, das soll kein Aufruf zum Rede- und Denkverbot sein. Sondern eher die Frage: Wird man da morgen auf der Kanzel, in der Kirchenbank oder in der Zeitung wirklich neues dazu sagen können? Wohl eher nicht. Diese Fragen haben alle ihren Platz – eine Biographie Luthers ohne seine problematischen Seiten zu beleuchten wäre völlig verfehlt. Aber das Ziel des Reformationstags ist doch ein anderes. Niemand muss sich an Hammer und Nagel festhalten, denn sie sind vielleicht ein eindrückliches Bild, aber von allein erklären sie nicht, was Reformation ist, was die lutherische Kirche ausmacht. Und: Dazu brauchts auch keine breite Luthererinnerung. Klar, so hat man das oft gemacht, hat von seinem Lebe und seinen Heldentaten erzählt. Auch nicht falsch. Aber wir können uns auch auf die Ideen dahinter konzentrieren. Also: Entscheidend ist ja nicht, dass Luther witzige und derbe Dinge gesagt hat (von denen die Hälfte nicht von ihm stammt und seine Zeitgenossen ähnlich auch gesprochen haben). Entscheidend sind seine theologischen Einsichten. Und übrigens nicht nur seine. Dass wir lutherische Kirche sind, hängt ja nicht an Luther, sondern an unserem Bekenntnis. Das hat nicht Luther festgelegt, sondern die Kirche. Viele waren an der Reformation beteiligt, nicht nur ein Wittenberger. Also dieses Jahr vielleicht mal einen Melanchthonsatz zitieren? Oder gar das Bekenntnis? Wie gut, dass Luthers drängende Frage dort behandelt wird, etwa in der Apologie der Confessio Augustana:
Artikel IV. Wie man vor Gott fromm und gerecht wird (Ausschnitt)
Wir halten und reden von der äusserlichen Frömmigkeit also, daß Gott wohl fordert und haben will ein solch äusserlich ehrbar Leben, und um Gottes Gebotes willen müsse man dieselben guten Werke tun, welche in [den] zehn Geboten werden geboten. Denn das Gesetz ist unser Zuchtmeister und das Gesetz ist den Ungerechten gegeben. Denn Gott der Herr will, daß den groben Sünden durch eine äusserliche Zucht gewehrt werde, und dasselbe zu erhalten, gibt er Gesetze, ordnet Obrigkeit, gibt gelehrte, weise Leute, die zum Regiment dienen. Und also äusserlich ehrbaren Wandel und Leben zu führen, vermag etlichermassen die Vernunft aus ihren Kräften, wiewohl sie oft durch angeborne Schwachheit und durch List des Teufels auch daran gehindert wird. Wiewohl ich nun einem solchen äusserlichen Leben und den guten Werken gerne so viel Lobes lasse, als ihm gebührt; denn in diesem Leben und im weltlichen Wesen ist je nichts Besseres denn Redlichkeit und Tugend, wie denn Aristoteles sagt, daß weder der Morgenstern noch Abendstern lieblicher und schöner sei denn Ehrbarkeit und Gerechtigkeit, wie denn Gott solche Tugend auch belohnt mit leiblichen Gaben: so soll man doch gute Werke und solchen Wandel nicht also hoch haben, daß es Christo zur Schmach [ge]reiche.
Denn also schliesse ich und bin des gewiss: erdichtet ist’s und nicht wahr, daß wir durch unsere Werke sollten Vergebung der Sünden verdienen.
Auch ist’s Lüge und nicht wahr, daß ein Mensch vor Gott könne gerecht und fromm werden durch seine Werke und äusserliche Frömmigkeit.
Auch ist es Ungrund und nicht wahr, daß die menschliche Vernunft aus ihren Kräften vermögen sollte, Gott über alles zu lieben, sein Gebot zu halten, ihn zu fürchten, gewiss darauf zu stehen, daß Gott das Gebet erhöre, Gott zu danken und gehorsam zu sein in Trübsalen und anderm, was Gottes Gesetz gebietet, als, nicht fremdes Gut begehren usw. Denn das alles vermag die Vernunft nicht, wiewohl sie äusserlich ehrbares Leben und gute Werke etlichermassen vermag.
Auch ist es erdichtet und nicht wahr und eine Lästerung wider Christum, daß diejenigen sollten ohne Sünde sein, die Gottes Gebote allein äusserlich halten ohne Geist und Gnade im Herzen.
Dieweil denn kein Mensch aus seinen Kräften Gottes Gesetz zu halten vermag, und sind alle unter der Sünde, schuldig des ewigen Zornes und Todes, so könnten wir durch das Gesetz der Sünde nicht los noch vor Gott fromm werden, sondern es ist verheissen Vergebung der Sünden und Gerechtigkeit durch Christum, welcher für uns gegeben ist, daß er die Sünden der Welt bezahlte, und ist der einige Mittler und Erlöser. Und diese Verheissung lautet nicht also: Durch Christum habt ihr Gnade, Heil usw., wo ihr’s verdient, sondern lauter aus Gnade bietet er an Vergebung der Sünden, wie Paulus sagt: “So aus den Werken Vergebung der Sünden ist, so ist’s nicht Gnade.” Und an einem andern Ort: “Diese Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, ist ohne Gesetz offenbart”, das ist, umsonst wird Vergebung der Sünden angeboten. Und darum liegt’s nicht an unserm Verdienst, daß wir Gott versöhnt werden. Denn wenn’s an unserm Verdienst läge, Vergebung der Sünden und die Versöhnung Gottes aus dem Gesetz wäre, so wäre es verloren und wären wir wahrlich übel Gott vereinigt und versöhnt. Denn wir halten das Gesetz nicht und vermögen es nicht zu halten; so würde folgen, daß wir auch die zugesagte Gnade und Versöhnung nimmermehr erlangten. Denn also schleusst Paulus zu den Römern am 4, 14: “So aus dem Gesetz das Erbe ist, so ist der Glaube nichts, und die Verheissung ist ab.” So sich nun die Verheissung gründete auf unser Verdienst und auf das Gesetz, so folgte, dieweil wir das Gesetz nicht halten können, daß die Verheissung vergeblich wäre.
So wir aber vor Gott fromm und gerecht werden allein aus lauter Gnade und Barmherzigkeit, die in Christo verheissen ist, erfolgt, daß wir durch unsere Werke nicht fromm werden. Denn was wäre sonst der herrlichen göttlichen Verheissungen vonnöten, und was dürfte Paulus die Gnade so hoch heben und preisen? Derhalben lehrt, rühmt, predigt und preist das Evangelium die Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt an Christum, welche nicht eine Gerechtigkeit des Gesetzes ist. So lehrt auch das Gesetz davon nichts, und ist gar viel eine höhere Gerechtigkeit, denn des Geseztes Gerechtigkeit ist. Denn das Gesetz fordert von uns unsere Werke und will haben, daß wir inwendig im Herzen gottesfürchtig und ganz rechtschaffen sind. Aber die göttliche Zusage, die bietet uns an, als denjenigen, die von der Sünde und Tode überwältigt sind, Hilfe, Gnade und Versöhnung um Christus’ willen, welche Gnade niemand mit Werken fassen kann, sondern allein durch den Glauben an Christum. Derselbe Glaube bringt noch schenkt Gott dem Herrn kein Werk, kein eigen Verdienst, sondern baut bloss auf lauter Gnade und weiss sich nichts zu trösten noch zu verlassen denn allein auf Barmherzigkeit, die verheissen ist in Christo. Derselbe Glaube nun, da ein jeder für sich glaubt, daß Christus für ihn gegeben ist, der erlangt allein Vergebung der Sünden um Christus’ willen und macht uns vor Gott fromm und gerecht. Und dieweil derselbe in rechtschaffener Busse ist, unsere Herzen auch im Schrecken der Sünde und des Todes wieder aufrichtet, so werden wir durch denselben neugeboren, und kommt durch den Glauben der Heilige Geist in unser Herz, welcher unsere Herzen verneürt, daß wir Gottes Gesetz halten können, Gott recht lieben, gewisslich fürchten, nicht wanken noch zweifeln, Christus sei uns gegeben, er erhöre unser Rufen und Bitten, und daß wir in Gottes Willen uns fröhlich geben können auch mitten im Tode. Also derselbe Glaube, der aus Gnaden umsonst empfängt und erlangt Vergebung der Sünde, ist rechtschaffen, der gegen Gottes Zorn nicht sein Verdienst oder Werk setzt, welches ein Federlein gegen einen Sturmwind wäre, sondern der Christum der Mittler darstellt; und derselbe Glaube ist eine rechte Erkenntnis Christi. Wer also glaubt, der erkennt die grosse Wohltat Christi und wird eine neü Kreatur; und ehe ein solcher Glaube im Herzen ist, kann niemand das Gesetz erfüllen. Von demselben Glauben und Erkenntnis Christi ist nicht eine Syllabe, nicht ein Tüttel in allen Büchern der Widersacher. Darum schelten wir auch die Widersacher, daß sie allein das Gesetz lehren von unsern Werken und nicht das Evangelium, das da lehrt, daß man gerecht werde, wenn man an Christum glaubt.
Soweit die Apologie, unser Bekenntnis.