Heute haben wir uns auf den Weg gemacht zu Adolf Hoenecke und seinen Worten über einige Aspekte des Lehramts gelauscht. Eingangs unseres Abschnitts geht es vor allem um die Lehrzucht, dann mehr um die Kompetenz des Lehramts hinsichtlich der Riten in der Kirche und der Frage nach dem Gehorsam der Gemeinde. Es ist eine nicht ganz einfache Sprache, der sich Hoenecke als Theologe des 19. Jahrhunderts bedient. Aber es lohnt sich, über seine Impulse nachzudenken, davon sind wir überzeugt. Deshalb nun direkt das Wort an Hoenecke
„Gewalt und Recht des Predigtamts ist: Evangelium predigen, Sakrament verwalten, Sünden vergeben oder behalten, Zucht üben.
Wir setzen heutigen Tages den Ausschluss vom Gebrauch des Abendmahls nicht gleichbedeutend mit der Suspendierung vom Gebrauch des Abendmahls. Unter letzterer verstehen wir heute eine zeitweilige Versagung des Abendmahls, welche ein Pastor aus alleiniger Autorität als Seelsorger und vor öffentlicher Verhandlung eines Sünden-, oder Zuchtfalles, also vor Eintritt in den zweiten Grad der Zucht übt, weil er davon sich gute Frucht verspricht. Nicht auf geraume
Zeit darf sie sich erstrecken.
Wirklichen Ausschluß vom Abendmahl vollzieht der Pastor nicht als der, welcher denselben verfügt denn das kann nur die Gemeinde, vor die ein Zuchtfall im dritten Grade kommt, sondern als der, welcher den von der Gemeinde verhängten Ausschluss vollzieht (1. Kor. 5, 2—5). Die Absolution ist keine bloße Verkündigung, geschieht nicht declarative, sondern effective; sie löst wirklich.
Das ist Schrifllehre, denn:
1. den Dienern des Wortes sind die Schlüssel des Bindens und Lösens übergeben. Die Schlüssel sind aber nicht eine Ankündigung nur einer Öffnung; und ,,binden” und „lösen” heißt in keiner Sprache, eine Bindung und Lösung erklären oder verkündigen, sondern tatsächlich, actu, binden und lösen, obschon dies durch das Mittel des Worts geschieht.
2. Was den Aposteln gilt, gilt allen Dienern des Worts.
Auch sind überdies der ganzen Kirche die Schlüssel gegeben, nicht den Aposteln allein. In Antithese hierzu stehn Kalvinisten, Arminianer, Sozinianer·, alle von den Kalvinisten stammenden Sekten, alle Schwärmer, Schwenkfeldianer, Weigelianer, heutige Methodisten,
auch U n i e r t e. Diese alle erklären die absolutio für eine reine annunciatio. Der Pastor ist nach ihrer Meinung nur ein praeco, ein Herold, Verkündiger.
Welche Torheit ist das, zumal vom reformierten Standpunkt aus! Wozu der praeco, da die Vergebung dem Erwählten, der sie doch überhaupt nur empfängt, durch den Heil. Geist in ihm viel gewisser sein muss als durch die Ankündigung des praeco. Selbst auf nicht reformiertem Standpunkt ist es Torheit, die Absolution als Verkündigung nur Zeugnis von dem sein zu lassen,
was dann nicht sie, sondern Gott und auch er nicht eigentlich durchs Wort als Organ selbst gibt, da sie als solches Zeugnis ja ganz überflüssig wäre. Gewöhnlich verdrehen die Kalvinisten die lutherische Lehre dahin, als würde ein Vergeben des Pastors aus eigner Machtvollkommenheit gelehrt. Jedoch: Der wirklich
vergibt, ist Gott, aber des Predigers Lösen ist das von
G o t t s e l b s t g e s e t z t e a k t u e l l w i r k e n d e M i t t e l. Die Ansicht der Kalvinisten von dem nichts wirkenden Wort der Absolution ist ganz gemäß ihrer Grundansicht vom Wort überhaupt, nach welcher es nichts als bloße Darstellung und Lehre ist und an sich selbst unwirksam. Schwenkfeld sagt aus demselben Missverstand der lutherischen Lehre, wie er bei den
Kalvinisten sich findet, in seiner Postille, S. 295: „Der Priester hat keine Macht, Sünden zu vergeben; Gott allein vergibt die Sünde und kein Mensch.”
In die Hände der Kirchendiener, oder Pastoren, legen unsere Theologen auch die Z e r e m o n i e n und R i t e n . Doch ist selbstverständlich, daß sie nicht Macht haben, irgend etwas in bezug auf Zeremonien und Riten zu ordnen ohne zuvorigen Beschluss der Gemeinde. Ebenso selbstverständlich ist, daß keine
Riten und Zeremonien ratione cultus aut meriti erga Deum, d.h. unter .dem Namen des Gottesdienstes und Verdienstes eingeführt werden dürfen; siehe Conf. Aug. 15 & 28.
Dass den Pastoren Gehorsam der Christen gebührt, sagen Heb. 13, 17 ; 1. Thes. 5, 12. 13 ; Phil. 2, 29; 1. Thes. 4, 8; Luk. 10, 16 ; es gebührt ihnen jedoch kein Gehorsam wider und über Gottes Wort; Conf. Aug 28. Gott selbst verbietet, den falschen
Lehrern zu folgen (Matth. 7, 15 ; Gal. 1, 8). Sünden des Predigers sind falsche Lehre, falscher Brauch der Schlüssel, böses Leben. Der Prediger, welcher nach genügender Ermahnung in falscher Lehre beharrt, ist abzusetzen. Wer ein böses Leben führt, kann überhaupt, weil er den guten Namen verloren
hat, nicht mehr das Predigtamt führen (Apg. 6, 3 ; 1. Tim. 3, 7.8). Ein Prediger ist seines Amtes ledig, sobald ihm die Gemeinde die durch ihren Beruf übertragene Gewalt abfordert oder nimmt, d. h. ihn absetzt. Jemand Prediger nennen, der keine Gemeinde hat, ist Missbrauch. Das Pastorat ist ein Amt, nicht ein Stand.“
Aus: Adolf Hoenecke, Ev.-Luth. Dogmatik, Bd 4, 196-200.