Die Schrift hat […] außen eine Rinde und Schale, als ob sie ein harter Knochen wäre […]; innen aber hat sie Mark, Kern, Innerstes und alle Süßigkeit für die Erwählten Gottes.
William Tyndale, Prolog zum Jonabuch
Das oben gezeichnete Bild der Bibel als schwer zugänglich und sich fremdartig sperrend haben viele Menschen so ähnlich beschrieben. So nannte Johann Georg Hamann die Bibel die Lumpen, mit denen Jeremia aus dem Gefängnis gezogen wurde. Äußerlich unansehnlich, denn, so ein Bild aus der Geschichte der Kirche – warum sollte die Bibel über ihrem Herrn stehen? Von dem aber heißt es, „er war der Allerverachteste und Unwerteste“ (Jes 53). Die Idee einiger Theologen der Frühen Neuzeit oder der Alten Kirche, die Bibel müsste das Buch sein, welches alle anderen Bücher nicht nur in Bezug auf seine Heilsbotschaft, sondern auch auf sein Wissen in allen menschlichen Fragen oder in Bezug auf seinen sprachlichen Stil übertreffen müsse, hat diese Vorbildgestalt Jesu Christi jedenfalls übersehen. Denn obwohl er der Sohn Gottes ist, kam er als verachteter, im Staub geborener, weit von den Palästen dieser Welt entfernt zur Welt. Und anders als die Füchse in ihren Gruben und die Vögel in ihren Nestern hatte er keinen Ort, sein Haupt zu betten (Mt 8). Äußerlich unscheinbar, unansehnlich. Und selbst seine Worte waren eine „harte Rede“ (Joh 6), die viele dazu brachte, wegzugehen. Manchmal ist es nicht nur ein Knochen, sondern ein Beißen auf Granit, welches dem Hörer Jesu und Leser der Bibel begegnet. Dagegen mag man immer und immer wieder anrennen, und sich doch nur den Kopf stoßen. Wie in Kafkas „Vor dem Gesetz“ geht es einfach nicht hinein. Die Worte sind zwar zu lesen, aber sie verdammen nur. Die Sätze hämmern zwar gegen das eigene Herz, aber doch nur, um es vor Verzweiflung zerspringen zu lassen. Das Gesetz tötet, der Mensch stirbt den Verzweiflungstod, denn das Heilige Wort hat ihn gepackt und würgt ihn.
Doch dieses unwerte Buch voller Mord und Todschlag, blutrünstigen, verstörenden Geschichten, seltsamen und inhumanen Regeln ist doch dasselbe Buch, welches Christen seit 2000 Jahren verehren und ihr Buch des Lebens nennen. Denn es ist auch hier wieder wie mit dem Meister selbst – auf wen er zugeht, der bekommt ein völlig neues Leben geschenkt. Wen er – oft für denselben überraschend – anspricht, der wird heil gemacht (Luk 19). So werden die – vorher bestenfalls interessanten – Worte der Schrift zu Lebensworten, wenn der Heilige Geist sie uns öffnet. Darum bitten wir ihn im Namen des Meisters und Mittlers, der das Zentrum aller biblischen Worte ist. Die uns sonst tödlich überflutenden, ertränkenden Wassermassen werden durch die Hand Christi zum durststillenden Strom, der uns in die Ewigkeit führt (Offb 22).