Befreiungstheologie – Beigaben für die theologische Orientierung

Befreiungstheologie scheint zunächst ein sowohl sympathischer wie ehrenwerter Ansatz zu sein. Die „Stimme der Armen“ zu erheben, ist natürlich die Aufgabe der Kirche. Eine Kirche, die ihre Stimme den Reichen und Mächtigen leiht, sollte doch wohl noch einmal in die Schrift schauen (5. Mose 15, 10; Mt 19, 23f).  Wenn auch etwas in die Jahre gekommen, so sind die Positionen doch mittlerweile in den westlichen Kirchen und der westlichen Theologie fest etabliert, ja, sie werden z.T. gar nicht als individuelle theologische Strömung wahrgenommen. Die Armen sind durch andere soziale Randgruppen ersetzt oder ergänzt worden, wie es eben gesellschaftlich nötig scheint (Schwarze Theologie, Feministische Theologie). Über diese soziale Aufmerksamkeit der Kirche lässt sich Positives sagen. Doch es gilt auch, ernste Bedenken anzubringen.

Zunächst zum positiven Grundaspekt dieser Art von Theologie: Befreiungstheologie entstand aus der aktiven Anteilnahme der Christen Lateinamerikas an den gesellschaftlichen Problemen ihrer Mitmenschen. Die Kirche hat sich also weder versteckt noch in eine eigene, heilige Welt geflüchtet, sondern „dem Volk aufs Maul“ bzw. den Menschen ins Herz geschaut und ihre Bedürfnisse ernstgenommen. Drei Blickpunkte sind besonders wichtig: Für die Armen, für die Befreiung, für die kirchlichen Basisgemeinden. Es geht den Vertretern um eine politische, ethische und evangelischen Option für die Armen, die verändern will.

Es ist hervorzuheben, dass damit den Protagonisten der Bewegung in den 60er/70er Jahren ein Thema vor Augen lag, welches die (luth. und kath.) Kirche lange Zeit vernachlässigt hatte: Politische und gesellschaftliche Gerechtigkeit. Indem nun der Blick auf die sozialen Aspekte des Evangeliums gerichtet wurde, geschah eine Korrektur. Befreiungstheologie  mahnte, in ihrer besten Form, der diakonia, an, den Auftrag der Kirche den Brüdern und den Mitmenschen in der Welt zu dienen, nicht zu vergessen. Ein wichtger Vertreter dieser Seite war Óscar Romero.

Schwierigkeiten entstanden, wie so oft, wenn über die Grundlagen der göttlichen Offenbarung hinausgegangen wurde. Dies geschah hier meist unter dem Einfluss eines marxistischen Rationalismus[1]. Darunter sind folgende Thesen zu nennen.

  • die Armen Lateinamerikas stellen eine neue Inkarnation Christi dar
  • die Schrift wird ausschließlich politisch ausgelegt (sehen – urteilen – handeln)
  • Christus ist nun nur noch Vorbild und Beispiel der Befreiung, sein Tod hat die Bedeutung eines Märtyrertodes

Zum ersten Aspekt: „Du sollst den Geringsten nicht vorziehen, aber auch den Großen nicht begünstigen (3. Mose 19, 15).“ Vor Gott sind wir weder Jude, noch Grieche, weder Mann, noch Frau, weder arm, noch reich (vgl. Gal 3, 28). Die Armen haben den Reichen in der Beziehung auf Christus hin nichts voraus. Allein „der Herr hat uns  gemacht und nicht wir selbst zu seinem Volk und zu Schafen seiner Weide“ (Ps. 100, 3). Das Evangelium spricht Menschen mit besonderen Lebensumständen eben keinen Vorzug zu. Jeder Mensch ist genau gleich verloren und für jeden Menschen gibt es nur eine soteriologische Hoffnung: Christus Jesus. Keine soziale Gruppe der Gesellschaft ist ihm näher als eine andere. Christus zu vertrauen ist für alle gleich, gleichschwer und gleichleicht:

Darum es falsch und unrecht, wenn gelehrt wird, daß nicht allein die Barmherzigkeit Gottes und [das] allerheiligste Verdienst Christi, sondern auch in uns eine Ursache der Wahl Gottes sei, um welcher willen Gott uns zum ewigen Leben erwählt habe. (FC, Solida Declaratio, XI Von der ewigen Vorsehung und Wahl Gottes, 88)

 

Zum zweiten Aspekt: Problematisch ist (auch hier wieder) die thematische Verengung, ja die vollkommene Blindheit gegenüber dem Offensichtlichen. Der ethische Schriftsinn (was man tun soll) wird den eigenen Überzeugungen gemäß selektiv herausgegriffen und zum einzig wahren erklärt. Damit wird aber der Schrift von außen her aufgezwungen, wie sie zu lesen ist. Ein Prinzip von außen wird angelegt, wo doch festzuhalten ist, dass die Schrift in ihrer Gänze sich selbst auslegt und:

[Die] prophetischen und apostolischen Schriften Alten und Neuen Testaments, als […] reine[], lauter[e]nBrunnen Isrälis, [sind] allein die einige, wahrhaftige Richtschnur, nach der alle Lehrer und Lehre zu richten und zu urteilen sind. (FC, Solida Declaratio, Von dem summarischen Begriff, 3)

 

Zum dritten Aspekt: Über die falsche christusbezogene Predigt ist bereits geschrieben worden. Man kann hier nicht lediglich von einer Verengung sprechen, sondern muss von einer Verdrehung, eine Verfälschung reden. Ausgangspunkt der Bedeutung Jesu Christi für die christliche Kirche ist seine Gottheit, sein Leiden am Kreuz und seine Auferstehung, denn durch seinen Tod haben wir Vergebung der Sünden und durch seine Auferstehung das ewige Leben erhalten (Joh 11, 25; Röm 6,5). Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist der christliche Glaube nichtig (1. Kor 15,14). Es erschließt sich nicht, warum er dann nicht z.B. durch eine reine kommunistische Ideologie ersetzt werden könnte, warum es noch so ein bisschen der Folklore eines alten Buches bedarf. Dass diese Verdrehung tatsächlich die Irrelevanz des christusgemäßen Aspekts des Evangeliums zur Folge hat, zeigt ja gerade die verengte und ideologisch überfärbte Auslegung der Schrift (siehe zweiter Aspekt).

Die Rolle Christi als Vorbild ist der Bedeutung seines Handels für uns nachgeordnet – sie ist nicht irrelevant, folgt aber aus dem Ersten und kann ihm niemals vorausgehen – keine Heiligung ohne Rechtfertigung:

Derhalben der recht guten und Gott wohlgefälligen Werke, die Gott in dieser und zukünftiger Welt belohnen will, Mutter und Ursprung muß der Glaube sein, darum sie denn rechte Früchte des Glaubens wie auch des Geistes von St., Paulo genannt werden. (FC, Solida Declaratio, Von den guten Werken, 9)

 

Fazit: Gegen Ausbeutung der Armen, Wucher und Ungerechtigkeit zu predigen, ist eine Aufgabe der Kirche (wie sie schon Martin Luther wahrgenommen hat). Dies nicht zu vergessen, ist wichtig. Doch diese Botschaft ist nicht das Evangelium und darf nicht mit ihm verwechselt werden (siehe Romero). Die Predigt für die Armen darf nicht die Predigt vor den Armen ersetzen. Jeder Aspekt der christlichen Verkündigung muss eingebettet sein in das ganze Evangelium.

[1] In der Analyse Luthardts geprägt von den drei Grundprinzipien: Individualismus (der Wille und Verstand des Individuums ist das Absolute), Optimismus (aus Punkt 1 folgt notwendigerweise der Glaube an die grundlegende Güte der menschlichen Natur – Problematik siehe hier) und einem einseitigen Intellektualismus (daraus wieder folgt, dass der grundlegend gute Mensch nur der Bildung (oder auch der ihn befreienden Revolution) bedarf um das Himmelreich auf Erden zu erschaffen)

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