Unter den Menschen, die sich als religiös bezeichnen, gibt es viele, die den Glauben an einen personalen Gott verneinen, aber bekennen, an „etwas Größeres“, an „das Universum“ oder „das Ganze“ zu glauben. Diese Sichtweise entspricht dem Denken des kosmologischen Gottesbeweises, wonach alle Ursachen dieser Welt auf einer letztendlichen Urursache – Gott, dem Universum, einer höchsten Kraft – fußen. Gott in der Natur zu finden ist eine weitere Spielart. Gott wird dann in den Dingen gesucht, die man „sehen“ und „begreifen“ kann, von denen man annimmt, dass sie „existieren“. Grob lässt sich all dies unter Pantheismus bzw. dem davon nicht ganz sauber abzugrenzenden Panentheismus zusammenfassen.
Ein gemeinsamer Aspekt dieser verschiedenen Denkweisen ist, dass dabei Gott bzw. die eine höchste Kraft etwas völlig nebelhaftes bleibt. Es ist unklar, was das ist und in welcher Beziehung wir zu diesem Etwas stehen. Es ist zwar da, aber es hat keine Relevanz. Ein solcher Gott ist ein Gott, den es gibt und gerade deshalb nicht gibt. Er lässt sich erkennen und begreifen – doch nur soweit, dass daraus nichts folgt, außer eventuell einige moralische Impulse, für die die Vorstellung eines solchen Wesens aber nicht notwendig ist (die Natur bewahren, weil sie für uns Gott ist, können wir genauso auch dann, wenn wir lediglich erkennen, dass sie für unser Leben und das Leben unserer Kinder wichtig ist). Der so gefundene Gott ist irrelevant: Ich bilde ihn mir, nach meinen Überlegungen, nach meiner Vorstellungskraft, gerne auch als Etwas, was nichts ist. Habe ich dieses Gottesbild, so wird es nichts an meinem Leben ändern; verwerfe ich es, so wird auch das nichts an meinem Leben ändern. Er ist ein Paradebeispiel des von Menschenhand gemachten Götzens des alten Testaments.
Das lutherische (sprich das christliche) Gottesbild ist ein anderes: Es spricht wie die gesamte Kirche von einer Gottperson, ohne jedoch einzuschränken. Es redet von einem „Vater“ im Wissen darum, dass diese Bezeichnung zwar jenem unaussprechlichen göttliches Wesen nicht vollkommen gerecht werden kann, jedoch von ihm selbst in seiner Selbstoffenbarung wieder und wieder gewählt wurde und darum die richtigste ist, die sich unseren begrenzten Möglichkeiten eröffnet. Doch es wendet den Blick von der Spekulation um diesen Gott, seine Gestalt, sein „Sein“, hin zur Beziehung zu uns: „Ich glaube an Gott“ sagt aus, dass Gott uns geschaffen hat. Die Beziehung zu uns ist das Entscheidende, und hier kommt es auf das Konkrete und Feste an:
Was ist ein Gott? Antwort: Einen Gott nennt man das, wovon man alles Gute erwarten soll und wozu man Zuflucht nehmen soll in allen Nöten, also daß einen Gott haben nichts anders bedeutet, als ihm von Herzen zu vertrauen und zu glauben; dass allein das Vertrauen und Glauben des Herzens beide macht, Gott und Abgott. […] Also verstehst du nun leicht, was und wieviel dies Gebot fordert, nämlich das ganze Herz des Menschen und alle Zuversicht auf Gott allein und niemand anders zu setzen. Denn du kannst wohl annehmen, dass man ihn nicht mit Fingern ergreifen und fassen, noch in Beutel stecken oder in einen Kasten schließen kann. Das heißt ihn aber gefasst zu haben, wenn ihn das Herz ergreift und an ihm hängt. Mit dem Herzen aber an ihm hangen ist nichts anderes, als sich gänzlich auf ihn zu verlassen. Darum will er uns von allem anderen abwenden, was außer ihm noch ist, und zu sich ziehen, weil er das einzige ewige Gut ist. Als wollte er sagen: Was du bei anderen Religionen gesucht oder auf Geld und sonst vertraut hast, dessen erwarte alles von mir und halte mich für den, der dir helfen und mit allem Guten reichlich überschütten will.
Martin Luther, Großer Katechismus, Zum 1. Gebot, sprachlich angepasst.
Das lutherische Bekenntnis ergründet nicht das Aussehen und die Gestalt Gottes. Wer nach dem Wesen Gottes fragt, wird auf Christus verwiesen (Joh 14,7). Wer nach Gott fragt, wird auf das verwiesen, was Gott für uns tut. Gott wird von uns an seinem Handeln für uns erkannt. Dieses Handeln ist, dass er zu uns gekommen ist. Christus ist der, von dem das Bekenntnis sagt: hier ist Gott Mensch und Mensch ist Gott. Christus zeigt, wie Gott sich ganz und gar ausgeschüttet hat und nichts behalten hat, was er nicht uns gegeben habe. Christus ist der, der uns vom Tod zum Leben, vom Teufel zu Gott gebracht hat. Wortwörtlich ist er der Immanuel, der ‚Gott mit uns‘ (Mt 1, 23). Gott wird erkannt, wenn Christus sich uns zuwendet, wenn wir in Beziehung zu ihm stehen. Wollen wir wissen, wer Gott ist, so müssen wir danach fragen, wer Christus ist. Diese Frage stellt uns der Heilige Geist und beantwortet sie uns auch.
Denn weder Du noch ich könnten je etwas von Christus wissen noch an ihn glauben und ihn zum Herrn haben, wo es nicht durch die Predigt des Evangeliums von dem Heiligen Geist angetragen und uns in das Herz geschenkt würde . Das Werk ist geschehen und ausgerichtet; denn Christus hat uns den Schatz erworben und gewonnen durch sein Leiden, Sterben und Auferstehen usw. Aber wenn das Werk verborgen bliebe, sodass es niemand wüsste, so wäre es umsonst und verloren. Dass nun solcher Schatz nicht begraben bleibe, sondern angelegt und genossen würde, dazu hat Gott das Wort ausgehen und verkündigen lassen, darin den Heiligen Geist gegeben, uns solchen Schatz und Erlösung heimzubringen und zuzueignen.
Martin Luther, Großer Katechismus, Zum 3. Artikel des apostolischen Glaubensbekenntnises, sprachlich angepasst
Gott wird erkannt in seinem Wort, der Heiligen Schrift. Dort offenbart er sich, dort ist er zu finden:
Gott ist in Creaturen unbegreiflich, doch kann man ihn in seinem Wort fühlen und betasten; wiewol ers nicht macht, wie wir gern wollten, denn er hält nicht unsere Geometriam, Messe- und Rechenkunst.
Martin Luther, WA TR 4, 4309, S. 210, 1-7
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