Unser Gastautor Prof.Kandler bringt seinen Beitrag zur Leuenberger Konkrodie hier mit einem zweiten Teil zum Abschluss, indem er theologische Probleme auflistet und auch darauf hinweist, wie dieses, vielen kaum bekannte, Dokument doch praktisch unsere Gottesdienste tief beeinflusst.
War bereits im vorhergehenden Beitrag zur Leuenberger Konkordie im Grundsätzlichen aus lutherischer Sicht Stellung genommen worden, so soll nun noch auf einige inhaltliche Aspekte eingegangen werden.
Es empfiehlt sich, bei der Lektüre dieses Aufsatzes die Leuenberger Konkordie zum Vergleich zur Hand zu nehmen (Ev. Gesangbuch Nr. 811).
- Es ist – wie auch in der Theologischen Erklärung der Bekenntnissynode in Barmen (Nr. 810 im Gesangbuch) – von der „freien Gnade Gottes“ die Rede, so in Nr. 12. Sicher ist Gott frei, wem er seine Gnade schenkt, aber es wird nicht gesagt, dass er sich gebunden hat, diese Gnade in Wort und Sakrament zu geben. Es ist richtiger von der „gebundenen Gnade Gottes“ zu reden. Von der Beichte ist überhaupt nicht die Rede, reformierte Theologie kennt sie so nicht.
- In Nr. 13 (vgl. auch Nr. 21) heißt es, dass Jesus Christus in den Gnadenmitteln Wort und Sakramente „durch den Heiligen Geist gegenwärtig“ ist. Das klingt so, als ob Jesus Christus, Gottes Sohn, nicht selbst gegenwärtig sein könne. Er ist vielmehr selbst in seinem Wort und in den von ihm gestifteten Sakramenten gegenwärtig; der Heilige Geist lässt uns diese Gegenwart im Glauben erkennen. Christus ist also nicht Objekt, sondern Subjekt des göttlichen Handelns an uns. Christus ist nicht abwesend („im Himmel“), sondern unter uns gegenwärtig. Die Dreieinigkeit wirkt wohl als der eine Gott, aber wir können die Werke der trinitarischen Personen ihnen auch einzeln zuordnen. Das trinitarische Handeln Gottes wird hier gar nicht thematisiert.
- Im Entwurf der Konkordie war zunächst nicht gesagt worden, dass die hl. Taufe mit Wasser vollzogen wird. Das entsprach der Theologie von Karl Barth. Im endgültigen Text wurde das mit Recht geändert. Aber auch jetzt ist (Nr. 14) nicht von der Wiedergeburt die Rede (Joh. 3,5; Tit. 3, 5), immerhin aber von der „neuen Kreatur“. Von der Kindertaufe wird überhaupt nicht gesprochen.
- Zur Christologie (Nr. 21f.) ist zu sagen, dass es sich bei den Unterschieden zwischen reformierter und lutherischer Theologie doch nicht nur um „geschichtliche Bedingtheiten“ handelt. Zweifellos ist hier das, was reformierte Theologie sagt (Christus nach seiner Himmelfahrt „nur“ im Himmel, nicht auf Erden) gar nicht angesprochen. Lutherischer Theologie geht es darum, dass Christus ganz Gott und ganz Mensch und überall gegenwärtig ist (Joh. 1, 14; Matth. 28, 20).
- In den Aussagen zur Prädestination ist aufgenommen, was lutherischer Theologie immer wichtig war, nämlich Gottes bedingungslose Liebe zum sündigen Menschen. Vom Gericht Gottes am Ende der Zeit wird nicht gesprochen.
- Der in Nr. 27 genannten Folgerung, dass die Verwerfungen der reformatorischen Bekenntnisse nicht mehr zutreffen, können wir aus Treue zur Heiligen Schrift und zu unseren Bekenntnissen nicht zustimmen. Es heißt ja auch ausdrücklich, dass „die von den Vätern vollzogenen Verwerfungen nicht als unsachgemäß bezeichnet“ werden können. Wenn sie also sachgemäß waren, so sind sie es auch heute noch. Nicht der Zeitgeist entscheidet darüber, was sachgemäß ist.
- Die Aussage von Nr. 28 ist an sich richtig, doch die in der Gestaltung des Gottesdienstes empfundenen Unterschiede sind ja Folgen von Lehrunterschieden. Das wird hier völlig bagatellisiert. In Nr. 29 (u. a.) wird eine „gewonnene Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums“ behauptet. Wir können jedoch nicht von einer Übereinstimmung reden. Darum ist Kirchengemeinschaft noch nicht möglich, weil es eben keine Übereinstimmung in der Wahrheit (Nr. 36) gibt.
- Im Gesangbuch sind die folgenden Sätze (3-5; 30-34, 36 ff.) nicht abgedruckt. Hier geht es um weitere Probleme, die zwischen den lutherischen und reformierten Kirchen bestehen (Amt, Ordination, Zwei-Reiche-Lehre). Sie seien in weiteren Lehrgesprächen zu behandeln. Solche haben inzwischen stattgefunden. Ob diese zu einer Übereinstimmung geführt haben, wird unterschiedlich gewertet.
- Gegen Ende der Konkordie wird (Nr. 37-39) behauptet, die reformatorischen Bekenntnisse stünden weiterhin in Kraft. Wie können sie das aber, wenn sie sich – eben auch in ihrem Wortlaut – gegenseitig ausschließen? Es bleibt die Frage: Was ist Wahrheit? Es ist uns Lutheranern häufig der Vorwurf gemacht worden, wir hingen an einem statischen Bekenntnisbegriff. Das Gegenteil ist der Fall! Wir bekennen in den Bekenntnisschriften unserer Kirche heute unseren Glauben!
Nun noch einmal speziell zum Abendmahl:
In unseren Bekenntnissen heißt es, „dass der wahre Leib und das wahre Blut Christi wirklich unter der Gestalt des Brotes und des Weines im Abendmahl gegenwärtig ist und dort ausgeteilt und empfangen wird“. Das ist für reformierte Christen so nicht annehmbar. Für sie sind Brot und Wein „gewisse Wahrzeichen des Leibes und Blutes“, also Wahrzeichen, aber nicht selbst Leib und Blut Christi. In der Konkordie heißt es nun: „Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein. So gibt er sich selbst vorbehaltlos allen, die Brot und Wein empfangen.“ Es ist also nicht die Rede davon, dass wir in/unter Brot und Wein wirklich Leib und Blut Christi empfangen. Es steht auch nicht da, dass diese reale Gegenwart von Leib und Blut Christi durch sein wirkendes Wort geschieht. Es ist nur von seinem verheißenden Wort die Rede. Die wirkliche Gegenwart (Realpräsenz) wird nicht gelehrt, sondern durch eine personale Gegenwart Christi durch den Heiligen Geist ersetzt („In Verkündigung, Taufe und Abendmahl ist Jesus Christus durch den Heiligen Geist gegenwärtig“). Sicher ist Christus personal im Abendmahl gegenwärtig, er ist der Herr des Mahles, aber die Gabe des Abendmahles ist nicht eindeutig beschrieben. Im Evangelischen Gesangbuch steht (Nr. 530, 6*): „Ich habe Jesu Leib gegessen,/ ich hab sein Blut getrunken hier;/ nun kannst du meiner nicht vergessen,/ ich bleib in ihm und er in mir.“ Das ist unser Glaube, in dem wir leben und mit dem wir sterben wollen. Das ist eine klare Aussage, wie sie mit der Heiligen Schrift übereinstimmt. Daran wollen wir festhalten. Wir erleben es jetzt andauernd, dass nur noch davon gesprochen wird, dass wir im Abendmahl Brot und Wein (oder gar Saft) empfangen. Häufig werden heute die Einsetzungsworte nicht mehr über Brot und Wein auf dem Altar gesprochen, sondern nur noch der Gemeinde zugewandt bestenfalls über einem Hostienteller und über einem Kelch. In manchen Gemeinden wird bei der Ausspendung nicht mehr gesagt: „Christi Leib, für dich gegeben, Christi Blut für dich vergossen“, sondern nur noch: „Das Brot des Lebens: für dich; der Kelch des Heils: für dich“. So ist es auch in der „Erneuerten Agende“ als Möglichkeit vorgesehen. Die Leuenberger Konkordie hat also Konsequenzen, die wir in unseren Gottesdiensten erleben.
In diesem Jahr 2017 wird daran erinnert, dass vor zweihundert Jahren der preußische König Friedrich Wilhelm III in seinem Herrschaftsgebiet die Union zwischen lutherischen und reformierten Gemeinden/Kirchen eingeführt hat. Diese Einführung war verbunden mit Gewaltmaßnahmen (bis hin zu Gefängnisstrafen!) gegen diejenigen, die sich der Union verweigerten. In anderen deutschen Ländern – wie Baden, Hessen, Pfalz – war es nicht anders. Wir können nicht erkennen, dass auf solchen Unionen ein Segen gelegen hat. Bekenntnisbewusste Lutheraner haben sich damals von ihrer Landeskirche trennen müssen, es entstanden lutherische Freikirchen (heute vor allem in der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche – SELK – vereinigt). Das Lutherische Einigungswerk ist mit ihnen eng verbunden, möchte aber ebenso das bekenntnisbewusste Luthertum in den Landeskirchen stärken. Darum halten wir die Leuenberger Konkordie nicht als für eine Kirchengemeinschaft bekenntnisverschiedener Kirchen ausreichend. Wir bejahen sicher, wenn sich diese einander durch Lehrgespräche annähern, aber es muss bei der Wahrheit des Evangeliums bleiben. Vor allem müssen wir widersprechen, wenn heute – wie öfters geschehen – gesagt wird, wer die Leuenberger Konkordie nicht anerkenne, könne nicht Pfarrer in der jeweiligen Landeskirche sein. Da wird die Konkordie über das Bekenntnis gestellt. Pfarrer werden aber auf die Bekenntnisschriften bei der Ordination verpflichtet, diese gelten also vor jeder Konkordie!
Prof. Dr. Karl-Hermann Kandler, stellv. Vorsitzender des Lutherischen Einigungswerkes
*Verfasser Ämilie Juliane Gräfin von SChwarzburg-Rudolstadt (1637-1706) – es handelt sich um die ökumenisch umgearbeitete Version. Das Original bekennt Christi „Fleisch“ zu essen.
Prof. Kandler schreibt: „Der in Nr. 27 genannten Folgerung, dass die Verwerfungen der reformatorischen Bekenntnisse nicht mehr zutreffen, können wir aus Treue zur Heiligen Schrift und zu unseren Bekenntnissen nicht zustimmen. Es heißt ja auch ausdrücklich, dass „die von den Vätern vollzogenen Verwerfungen nicht als unsachgemäß bezeichnet“ werden können. Wenn sie also sachgemäß waren, so sind sie es auch heute noch. Nicht der Zeitgeist entscheidet darüber, was sachgemäß ist.“
Mit scheint, man muss die Leuenberger Konkordie an dieser zentralen Stelle mehrperspektivisch verstehen: Ja, die von den Vätern vollzogenen Verwerfungen sind nicht unsachgemäß! Jedoch wenn der theologische Punkt, z.B. die doppelte Prädestination, von den Reformierten gar nicht mehr vertreten wird, genau dann sind die alten Verwerfungen nicht mehr treffend, weil dort, wo sie hintreffen, gar niemand ist. Leider gibt es meines Wissens keinen eingehenden Kommentar, der dieses mehrspektivische Denken Punkt für Punkt durchprüft, wie weit man damit kommt, bzw. wo es eben doch nicht hinhaut.
Prof. Kandler meint in dieser Sache folgendes: würden die Verwerfungen der Reformierten nicht mehr gelten, hieße das, dass die Lutheraner sich von der Lehre der Bekenntnisse entfernt hätten. Dem widersprechen allerdings die lutherischen Kirchen insofern sie die unveränderte Fortgeltung der gesamten Bekenntnisschriften bis heute betonen. Wenn nun Leuenberg behauptet, die Verwerfungen träfen nicht mehr zu, wird somit eine Lehrveränderung vorgenommen. Gegen die erkläre Vorangeltung der Bekenntnisschriften vor Leuenberg wird praktisch Leuenberg entscheidend und die Bekenntnisschriften werden nachgerückt. Damit verlässt Leuenberg den Boden der Verfassungen lutherischer Kirchen, weshalb Leuenberg nicht anerkannt werden kann.