Dieser Text wurde von beiden Autoren gemeinsam verfasst.
Die VELKD und ihre Gliedkirchen beanspruchen für sich, lutherisch zu sein. So heißt es in ihrer Verfassung: „Die Grundlage der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche ist das Evangelium von Jesus Christus, wie es in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments gegeben und in den Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche, vornehmlich in der ungeänderten Augsburgischen Konfession von 1530 und im Kleinen Katechismus Martin Luthers bezeugt ist.“
In aller Defizität, die die Formulierung des Gesetzes hier aufweist, bleibt doch klar die Beziehung jeder Entscheidung der VELKD auf das Bekenntnis der lutherischen Kirche gewahrt. Juristisch gesehen scheint – trotz aller möglichen Einwände aus der Praxis – also die VELKD all jenen eine Heimat bieten zu können, die ihren Glauben nach Heiliger Schrift und Lutherischem Konkordienbuch bekennen. Dies unterscheidet sie von der EKD, die als ein Bund verschiedener Bekenntniskirchen gegründet wurde. Dass die EKD schon immer mehr sein wollte als das, war z. B. Herrmann Sasse schon zur Zeit ihrer Gründung klar. Es ist im Zuge des letzten EKD-Reformprozesses aber auch eindeutig von den EKD-Vertretern formuliert worden, dass diese die EKD theologisch als Kirche bewerten.
Dass die VELKD bei so etwas mitmacht, ja, dass ihr theologischer Ausschuss „maßgeblich“ daran mitarbeitet, wäre selbst den lutherischen Gründervätern des Bundes unvorstellbar gewesen. Man scheint sich nicht mehr sicher zu sein, wozu man eigentlich da ist. Und es zu jeder Gelegenheit bei öffentlichen Bekanntmachungen der Leitung der EKD bewenden zu lassen und kaum eine Notwendigkeit zu eigener Stellungnahme zu sehen, ist nicht das einzige und nicht das älteste Zeugnis für diese scheinbar verlorengegangene Überzeugung des eigenen Daseinssinns.
Dieser Verlust seitens der VELKD hat nun zu der auf der letzten Synode beschlossenen weiteren Integration des VELKD-Amtes in die Arbeitsstruktur des EKD-Amtes geführt. Strukturell gesehen ist mit diesem Beschluss das Ende der VELKD als lutherischer Kirche vollzogen. Inwiefern? Das Amt der VELKD ist nun – personell und formal – eine Einheit mit dem Amt der EKD eingegangen. Das heißt, dass es keine eigenen Mitarbeiter mehr hat, sondern, dass nun Mitarbeiter des Amtes der EKD auch für alle Aufgaben der VELKD zuständig sind. Angestellt sind sie aber bei ersterem Amt.
Wem das zu kompliziert war, der stelle sich folgendes Szenario zur Verbildlichung vor: Die SPD hat auf ihrem letzten Parteitag festgestellt, dass man Geld einsparen könne, wenn man keine eignen Mitarbeiter habe und auch keine eignes Büro mehr vorhalten würde. So oder so sind die Umfragewerte schlecht und in der öffentlichen Wahrnehmung – und auch mehr und mehr der Praxis – ist man mit den Grünen immer einiger. Daher wird nun das Willy-Brandt-Haus aufgelöst und man zieht in die – zugegebenermaßen weniger berauschend benannte – Bundesgeschäftsstelle der Grünen. Alle Aufgaben der Partei werden nunmehr von Angestellten der Grünen versehen. Was wäre nun aber, wenn man sich einmal nicht mehr …. Grün wäre? Die leitenden Organe der VELKD gibt es natürlich noch in ihrer – potentiellen – Unabhängigkeit und Eigenständigkeit. Genauso wie es auch König Lear noch gab, nachdem er seine Ländereien an zwei seiner Töchter abgegeben hatte. „’s ist Unser fester Schluß, Von Unserm Alter Sorg und Müh zu schütteln, Sie jüngrer Kraft vertrauend, während Wir Zum Grab entbürdet wanken.“
Nun ist die Sache bei Kirchen und deren Bünden natürlich noch etwas komplizierter. Nach dem Kirchenverständnis der CA müssten wir, um herauszufinden, ob die VELKD Kirche ist, natürlich nach ganz anderen Punkten sehen: nach den Inhalten ihrer Predigt und ihrer Sakramentslehre und –praxis. Wenden wir uns für dieses Mal – fröstelnd – davon ab, ohne genauer hinzusehen. Grundlegend ist aber, dass eine lutherische Kirche nur an diese beiden Inhalte gebunden sein darf und zugleich frei sein muss, gemäß dieser beiden zu handeln. Einer diesem Bekenntnis neutral bis skeptisch gegenüberstehenden Bundesorganisation fleischgewordenen Gemeinschaftseigenschaft einer Gruppe von Gliedkirchen[i] seine eigene praktische Handlungsfähigkeit zu überlassen, lässt das Handeln Lears wie eine erfolgversprechende Idee aussehen. Doch nocheinmal: Wenn es hier nicht einmal mehr Gegenwehr gegen die Kirchwerdung der EKD gibt, dann ist das eben zitierte Wanken zum Grab nicht das eines seiner Lasten müde werdenden Königs, sondern das Schlurfen eines bereits leblosen Körpers, der sich nur noch danach sehnt, die unerträgliche Diskrepanz zwischen Lebendscheinend und Herzenstod in der kühlen Erde endlich aufzuheben.
Was ist in dieser Situation zu tun? Es ist klar, dass bekennende Lutheraner nun nicht mehr die Augen verschließen können. Sie können nicht einfach beten, dass es besser wird, und sonst abwarten. Wenn sie das tun, wird es nicht mehr lang dauern, bis wirklich auch in aller Formalität der Weg zur Union und damit schließlich zur Auflösung aller Bedeutung des Bekenntnisses für die Kirche eingeschlagen ist. Nicht, weil beten falsch wäre. Untätiges Beten aber heißt, das Bekenntnis nicht zu bekennen. Wenn die lutherischen Gliedkirchen der VELKD lutherisch bleiben wollen, braucht es mehr als das. Es braucht die aktive Gegenarbeit im System (mit allen Mitteln, die möglich sind: Klagen, Gutachten, „Bekenntnisinitiativen“, …) und zugleich lutherisches kirchenleitendes Handeln. Gerade in Verantwortung um die Gemeindeglieder braucht es die Schaffung einer Kirche nach CA VII, die frei handeln kann. Das Argument kann nicht lauten, dass Gott, wenn er will, auch durch die VELKD wirken kann. Das ist unbenommen. Verantwortung und Aufrichtigkeit aber zwingen dazu, kirchliche Körper außerhalb einer VELKD zu bauen und zu bestärken. Denn diese ist, was den lutherischen Glauben angeht, ein wandelnder Leichnam.
Das mag illusorisch klingen. Es ist jedoch auch klar, dass der kampflose Übertritt einiger Pfarrer und Laien in eine andere lutherische Kirche dem Obengenannten in potenzieller Wirkmacht nachstehen muss. Erstens, weil damit die grundsätzliche Situation nicht geändert wird. Zweitens, weil alle anderen lutherischen Kirchen in Deutschland ebenfalls untereinander zerstritten sich gegenseitig die Bekenntnisgemäßheit absprechen, zugleich jedoch auch gegenüber der VELKD nicht das klar aussprechen wollen, was gerade ihnen offensichtlich sein sollte: dass sie nicht das ist, was sie zu sein vorgibt.
Sie stehen also scheinbar (noch) nicht bereit, um in christlicher Nächstenliebe da zu sein für die, die suchen und jenen unzweifelhaft beizustehen, die kämpfen. Wer einmal die Geschichte der Entstehung der EKD etwas genauer angeschaut hat, weiß, dass es keine zwangsläufigen Wege gibt. Er weiß, dass immer auch persönliches Fehlverhalten eine Rolle spielt, mangelnder Mut, mangelnde Aufmerksamkeit. Aber er weiß auch, dass die Idee einer nationalen Kirche (nichts anderes ist die EKD gerade in unseren Tagen) weder in Stein gemeißelt noch ein Ausdruck des Evangeliums ist. Sie ist ein politisch gewolltes Konstrukt, in ihrer Form von Königen, Diktatoren und befriedenden Besatzungsmächten entworfen. Dem lutherischen Kirchenverständnis ist nationales Denken jedoch genauso fremd wie dem Neuen Testament. Es ist inhaltlich und vom aus dem Evangelium entspringenden Geschehen bestimmt. Es ist also allein entscheidend, ob das Evangelium rein gepredigt und die Sakramente laut des Evangeliums gereicht werden. Lutherische Kirche steht damit im Gegensatz zur Idee der EKD. Dieser Gegensatz kann – nach Jahren des Säuselns und Vertuschens – gerade in diesen Tagen nicht offensichtlich genug sein.
[i] Die Grundordnung der EKD bezeichnet sich selbst als „die Gemeinschaft ihrer lutherischen, reformierten und unierten Gliedkirchen“, nicht als „eine Gemeinschaft von“.
Liebe Brüder,
als Glied der SELK und Konvertit aus einer Landeskirche bin ich irritiert und habe ein paar Fragen an Euch bzw. primär an den Verfasser des Artikels:
1. Verstehe ich es richtig, dass in diesem Beitrag zur Formation eines lutherischen Kirchenkörpers außerhalb von VELKD, SELK, ELFK, unabhängigen lutherischen Gemeinden, etc. ähnlich der in Nordamerika gegründeten NALC aufgerufen wird? Wenn dem so ist, hätte es sich bei einem so weit reichenden Aufruf nicht empfohlen mit Klarnamen zu unterzeichnen?
2. Ist das ernst gemeint, dass sich Gemeinden und Einzelpersonen nicht bestehenden konfessionellen lutherischen Kirchen anschließen sollen, weil es in diesen Kirchenkörpern auch theologischen Streit gibt? Solange die Kirche in dieser Welt existiert ist die Kirche ecclesia militans, wichtig ist dabei, dass die offzielle Lehre nicht häretisch unterwandert wird und sie aufhört Kirche zu sein, wie es in der VELKD der Fall ist. Dazu kommt, dass es gerade eine Spendenaktion in der SELK gibt, um mehr konfessionell-lutherische Pfarrer aus Landeskirchen in denn Pfarrdienst der SELK zu übernehmen. Die Initiatoren dieser Aktion werden mit dem obigen Aufruf natürlich vor den Kopf gestoßen.
In Christo
Felix
P.S. Vielleicht erledigen sich diese Anfragen auch durch die von Niklas Brandt bereits ergangenen Anfragen an Alex, dann soll es mir auch recht sein.
Lieber Bruder,
an dieser Stelle nur kurz: 1) Nein, einen neuen Kirchenkörper außerhalb alles Bestehenden zu gründen, dazu rufen wir nicht auf. Wir sehen selber, dass das keine Lösung sein kann. 2) Tatsächlich stehen die konfessionellen Freikirchen nicht im Fokus, sondern nur am Rande der Zielrichtung des Artikels. Es geht uns vor allem um die Mitglieder der VELKD-Kirchen, bzw. darum, sie über diese Fragen zum Nachdenken anzuregen. Aber unsere Kritik war auch nicht, dass es innerhalb dieser Freikirchen Streit gibt, sondern, dass es zwischen diesen Freikirchen Streit um die Bekenntnisgemäßheit gibt bzw. sie von einigen den anderen abgesprochen wird.
Herzliche und Brüderliche Grüße vom Lutherischen-Lärmen-Team.