Die Aneignung, Auslegung und Aufbereitung des Bekenntnisses für die Gemeinde ist eine der wichtigsten Aufgaben der lutherischen Kirche, sind die Bekenntnisse doch norma normata, also die (nur) durch die Heilige Schrift normierte Norm der Kirche, weil sie verbindliche und sachgemäße Auslegung der Heiligen Schrift sind. Als solche wollen sie „die eigenen Grundeinsichten an der Schrift bewähren und wiederum zum Verständnis der Schrift anleiten“ (S. 16).
Diese also für die „Interpretationsgemeinschaft“ Kirche (S. 19) grundlegenden Schriften auch heute zugänglich zu machen und ein „Gespräch zwischen uns und den lutherischen Bekennern des 16. Jahrhunders“ (S. 14) zu eröffnen, ist das Ziel des Buches Werner Kläns, emeritierter Professor für Systematische Theologie an der Lutherischen Theologischen Hochschule Oberursel und als solcher u.a. mit der Vermittlung des Lutherischen Bekenntnisses beauftragt.
Dabei sollen die jeweiligen Grund-Sätze, also die zentralen Aussagen, anhand derer die Bekenntnisse erschlossen werden können, in den Mittelpunkt gestellt werden. Klän legt Artikel 1-17 der Confessio Augustana (CA) zugrunde, um dem Leser in 17 Kapiteln „das lutherische Bekenntnis in der Weite und Fülle seiner Gedanken“ (S. 9) nahezubringen. Durch die Kapitelüberschriften sollen sowohl die der CA z. T. zugrundliegenden systematischen Strukturen herausgestrichen werden, als auch, wo nötig, klassische dogmatische Loci (De Deo, De Homine, De Filio Deo etc.) integriert werden. Auch die Prolegomena sind unter der Nummerierung 0 vertreten. In diesem einführenden Kapitel werden das Verhältnis von Schrift und Bekenntnis, sowie dessen seelsorgerliche, lehrhafte, kirchenverbindliche und existenzielle Dimension allgemeinverständlich dargestellt. Abgeschlossen wird das Buch im 18. Kapitel mit einem geschichtlichen Überblick der Entstehung des lutherischen Bekenntnisses von Luthers Katechismen 1529 bis zum Konkordienbuch 1580, der auch noch einmal theologische Dimensionen aufnimmt, also nicht einfach in einer historischen Darstellung stecken bleibt. Zusätzlich bietet ein Geleitwort von Robert Kolb eine allgemeine historische Einführung in die Entstehungsgeschichte der lutherischen Bekenntnisse sowie in den Aufbau des Buches.
Die einzelnen Kapitel des Hauptteils sind in jeweils zwei bis fünf Einheiten untergliedert, die das jeweilige Thema sowohl entfalten, als auch Exkurse zu zentralen theologischen Aspekten lutherischer Theologie, die sich der Gliederung der CA entziehen (wie zum Beispiel Gesetz und Evangelium) darstellen. Sie bieten zunächst eine kurze (maximal eine Seite lange) einführende Erläuterung, die sowohl historische als auch theologische Aspekte beleuchtet und u.a. auf Luthers Kleinen Katechismus bezieht. Anschließend werden Auszüge aus den übrigen Bekenntnissen des Konkordienbuches zugeordnet. Daraufhin erfolgt auf einer halben Buchseite eine „nachsinnende Betrachtung“( S. 10) der Texte, die durch die drei Fragen „1. Wo kommst du darin vor? – 2. Was sagt das über mich? – 3. Was macht das mit uns?“ (S. 10) gegliedert wird. Die sehr direkt gehaltenen Antworten in der dritten, zweiten oder ersten Person regen dabei eher zum Nachdenken an, als dass sie sich als auswendig zu lernende Antworten verstehen, versuchen also eher eine meditative als eine klassische Katechese. Klän regt dabei an, über die Texte in Gemeinschaft (Gemeindeseminar, Hauskreis) nachzusinnen. Seine Absicht damit ist, dass die Texte übergehen von einer allgemeinen Aussage des Glaubens hin ins persönliche Leben, um so „ein Gespräch mit unserem Gott“ zu eröffnen (S. 14). Denn nach Überzeugung Kläns sind die lutherischen Bekenntnisschriften „nicht einfach »Lehre über« [oder] bloß eine »Einführung in« das Evangelium“, sondern „Anwendung des Evangeliums“ auf die Not des Menschen (S. 17). Natürlich sind allgemeine Glaubensaussagen per se stets auch existenziell persönlich und man wünscht dem Werk, dass es diese Wahrheit durch seine gewählte Form gut zu vermitteln mag. Zum Schluss eines jeden Kapitels bietet der Autor Literaturhinweise, die durchaus theologisch-wissenschaftliches Lesevermögen bzw. kritische Auseinandersetzung erfordern. Sicherlich sollen diese das jeweilige Thema vertiefen, dennoch ist nach dem Sinn der inhaltlich zum Teil wenig bekenntnisgebundenen Auswahl von Autoren in einem Buch zu fragen, welches einführenden Charakter hinsichtlich des spezifisch lutherischen Glaubensinhalts haben will.
Insgesamt sind die Abschnitte kurz gehalten und sprachlich-inhaltlich sowie aufgrund ihrer klaren Untergliederung als allgemeinverständlich einzuschätzen. Es ist sehr zu begrüßen, dass nicht vor der Darstellung der offensichtlichen Grundannahmen des christlichen Paradigmas zurückgeschreckt wurde. Allerdings muss dennoch so manches Mal die mangelnde Prägnanz des Ausgeführten beklagt werden. Nicht immer können die Kraft und Klarheit der Zitate in die Betrachtungen hinüber genommen werden, stattdessen entsteht die Gefahr, dass das fremde Evangelium in Sätzen der Selbstannahme verschwimmt. Gerade die Formulierung der drei wiederkehrenden Fragen bleiben schwammig und können nicht als drei klar zu unterscheidende Inhalte wahrgenommen werden. Sie verstärken, sicher ungewollt, die Gefahr der Eisegese. Ein anderer Blickwinkel hätte dieser grundsätzlich sehr lohnenswerten Kategorie des Buches sehr gut getan und das Potential gehabt, den Leser stets wieder aus sich heraus zu treiben und in Beziehung zu dem ihm außenstehenden Wort und Gott zu setzen. Trotzdem kann die klare Absicht, Laien kurz und verständlich ihr Bekenntnis näherzubringen nicht hoch genug anerkannt und gelobt werden. Die klare Untergliederung der einzelnen Kapitel sowie das ausführliche Stichwortregister im Anhang erleichtern die Nutzung als einführender Leitfaden hinsichtlich des Abgleichs der Themen des Bekenntnisses mit denen des eigenen Lebens oder der jew. Gesprächsgruppe. Somit kann das Buch im Großen und Ganzen – auf die Einschränkungen wurde bereits verwiesen – zur eigenen Bildung oder Erbauung ebenso gelesen werden wie zur Vorbereitung für Predigten oder Vorträge und auch gemeinsam mit anderen.
Bei den Ausschnitten aus den Bekenntnisschriften zeigt Klän durchaus Vorlieben. So wird die CA mit Abstand am häufigsten zitiert, Texte aus dem Großen Katechismus und der Solida Declaratio der Konkordienformel halten sich in der Menge (etwa ein Drittel weniger als die CA) ungefähr die Waage. Etwa halb so oft wie jeweils diese beiden kommen – wieder ungefähr gleich oft – die Apologie der CA und die Schmalkaldischen Artikel vor. Schlusslicht bilden die Epitome der Konkordienformel und mit einer Erwähnung der Traktat über die Gewalt und Macht des Papstes. Dennoch gelingt es Klän somit, alle Schriften des Konkordienbuches (außer dem Kleinen Katechismus) aufzunehmen.
Auch in anderer Hinsicht ist die Gliederung als gelungen zu bewerten: Durch die strenge Orientierung am Aufbau der CA wird den dogmatischen Themen schon formal eine überragende Rolle zugewiesen. Der Versuchung, auf ethische Themen auszuweichen, um so an vermeintlicher Aktualität zu gewinnen, wie sie heutzutage im Raum steht, erliegt der Autor aber auch inhaltlich nicht. Im Gegenteil wird die Abhängigkeit christlicher Heiligung vom Glauben gerade im sechsten Kapitel („Das neue Leben“) in aller Deutlichkeit herausgearbeitet: „Auch wenn wir ernsthaft Christen sein wollen, fehlt es im wirklichen Leben doch an Vielem. […] Und doch ist von Gott her wahr: Von Christus und seiner Gerechtigkeit eingehüllt, sind wir schon ganz und heil in Gottes Augen. […]“ (S. 85). Die Aktualität der Aussagen des Bekenntnisses gerade auch für den Einzelnen wird bei Klän nicht durch eine Wendung weg von den angeblich trockenen dogmatischen Aussagen gewonnen, sondern im Betrachtungsteil jedes Kapitels durch eine ausgesprochene „Predigt“ derselben. Das soll ein Ausschnitt aus dem 15. Kapitel („Kirchliche Ordnungen“) zeigen: Im dritten Abschnitt wird die Frage behandelt, „Welche Grenzen kirchlichen Ordnungen gesetzt sind“. Dieses Thema wird auf den ersten Blick wohl kaum etwas mit dem alltäglichen christlichen Leben zu tun haben, sondern ist besonderen Notsituationen oder dem Aufgabengebiet der Kirchenleitung zugeordnet, könnte man annehmen. Nicht jedoch bei Klän, wie der Abschnitt zeigt:
„Wo kommst du darin vor? – Du bist mit deinem Glauben eingebunden in ein größeres Ganzes; dein Glaube ist dein eigener, aber immer auch der Glaube der Christenheit. Auch du hast deshalb darauf zu achten, dass der christliche Glaube nicht gehindert, verdächtigt und beschädigt, die christliche Freiheit nicht beeinträchtigt und durch menschliche Bestimmungen unnötig beschränkt und der innere Zusammenhalt der Gläubigen nicht gefährdet wird.
Was sagt das über mich? – Ich weiß mich gerufen, Zeuge christlichen Glaubens zu sein. In Gemeinde und Kirche weiß ich mich mitverantwortlich, diesen Glauben zu vertreten und zu verteidigen. An meinem Teil will ich auch Sorge tragen, dass das Evangelium uneingeschränkt laut werden kann […].
Was macht das mit uns? – Wir stehen nicht nur für uns selbst, sondern für den Glauben der Kirche ein. Wir sind zur Verantwortung gerufen, über die Reinheit der Verkündigung und die Einheit unter uns Gläubigen zu wachen. Wir werden also selbst immer gefragt sein, inwieweit wir selbst und unsere Gemeinden den göttlichen Maßstäben entsprechen, von denen die christliche Verkündigung zu sprechen hat. […].“ (S. 177)
Auf solch theologisch-inhaltliche Weise einfach und dennoch kompetent in das Lutherische Bekenntnis einzuführen und zum geistlichen Gebrauch desselben anzuleiten, ist das Verdienst des vorliegenden Buches, welches deshalb zur Lektüre nur empfohlen werden kann.
Werner Klän, Robert Kolb: Grund-Sätze aus den evangelisch-lutherischen Bekenntnisschriften. Göttingen 2018, Edition Ruprecht, ISBN: 978-3-8469-0204-2, 224 Seiten, Paperback/ E-Book 17,90€.