Reformationstag ist von vorgestern, aber früher war ja nicht alles schlecht

Im Jahr eins nach dem großartigen Jubiläum wurde auch gestern wieder in mancher Kirche Luthers Vertonung von Psalm 46 gesungen. Abgesehen davon war die Botschaft wohl leider recht dünn. Dem Ratsvorsitzenden ging es um Werte und Traditionen – also genau das, wovon der Reformationstag eben nicht handelt. Auch der leitende Bischof der VELKD schaffte es nur, zu moralisieren. Und außerdem ging es natürlich um Freiheit, also dass Freiheit irgendwie mit Verantwortung zusammenhänge und so. Wo es doch bei Luthers Freiheit darum ging, „daß die Knechtschaft des Gesetzes nicht nötig ist zur Rechtfertigung“ (hier ein paar Gedanken dazu).  Tja, schade drum, dass die Reden lediglich ein neuerlicher Aufguss der 150 Jahre alten Rhetorik von der Verchristlichung des Staatswesens waren. Das ist ja nun wirklich überholt. Aber wie gesagt, „Ein feste Burg“ haben wohl die meisten gesungen. Wovon wir im Rückblick nochmal ein paar Gedanken aufgreifen wollen, um Aspekte des Reformationstags zu verdeutlichen.

Wo alle vier Strophen gesungen wurden und der Pfarrer nicht gerade das Lied ausgelegt hat, dürften evtl. in der vierten Strophe dann doch Fragen aufgekommen sein. Dort heißt es am Anfang:

Das Wort sie sollen lassen stahn
und kein’ Dank dazu haben;

Hier fehlt im Gesangbuch, dem so etwas ja an anderer Stelle durchaus gelingt, eine Erklärung, was „Dank“ an dieser Stelle bedeutet. Denn mit ‚Dank‘ ist nicht „danken“ gemeint. Zu Luthers Zeiten konnte ‚Dank‘ auch „Gedanke“, „Wille“, „Erhebung der Seele“, „Tätigkeit des Geistes“ bedeuten. Danken und Denken hängen sprachgeschichtlich zusammen. Unser heutiges Danken ist sozusagen eine willentliche Erhebung der Seele zugunsten eines Anderen. Insofern meint die Zeile, dass das Wort Gottes wirkt, egal, was Leute darüber denken, wie sie es drehen oder wenden und wo sie es verschweigen wollen. Im Zusammenhang mit Strophe drei handelt das Lied ja davon, dass die Anhänger des Fürsten dieser Welt oder die Teufel dieser Welt uns verschlingen wollen:

Und wenn die Welt voll Teufel wär
und wollt uns gar verschlingen,
so fürchten wir uns nicht so sehr,
es soll uns doch gelingen.
Der Fürst dieser Welt,
wie sau’r er sich stellt,
tut er uns doch nicht;
das macht, er ist gericht’:
ein Wörtlein kann ihn fällen.

Dieses eine Wörtlein ist das Wort Christus. Wenn nämlich diese Welt oder diese Kirche uns unsere Sünde vorhält, wenn der Teufel uns anklagt ob unserer Verfehlungen, unserer vorschnellen Urteile, unserer Unmoral, all dem, wo wir nicht dem Gesetz entsprochen haben, und wir dann all unsere Hoffnung auf Christus werfen, dann ist der Teufel und seine Anklage gerichtet.

Mit unsrer Macht ist nichts getan,
wir sind gar bald verloren;
es streit’ für uns der rechte Mann,
den Gott hat selbst erkoren.
Fragst du, wer der ist?
Er heißt Jesus Christ,
der Herr Zebaoth,
und ist kein andrer Gott,
das Feld muss er behalten.

Christus ist Mensch und Gott selbst. In ihm zeigt Gott, dass er uns liebt, so sehr, dass er sich selbst für uns gibt, so dass unsere Sünde uns nicht mehr verdammt, im zeitlichen und ewiglichen Sinn, weil er sie durch sein Blut weggewaschen, weil er sie gesühnt hat. Wenn wir uns dagegen nur auf unsere wertvollen Werte und Traditionen berufen, sind wir erledigt. Ein Wörtlein kann nicht nur, ein Wörtlein richtet alles zugrunde, was Menschen selbstbezogen erreichen wollen oder meinen, erreicht zu haben. Appelle hieven den Teufel aufs Podest. Die Versprechungen der Sünde sind listig. Sie nehmen den, der sich ob seiner guten Taten und dessen, was er erreicht hat, sicher fühlt ebenso gefangen wie sie ihre Stricke um die ziehen, die sich vor lauter Angst, dass ihr Gute-Werke-Konto noch nicht gefüllt ist, bis zum Umfallen abmühen. Für beide, aber, und für alle anderen gibt es in Christus Gute Neuigkeiten.

Ein feste Burg ist unser Gott,
ein gute Wehr und Waffen.
Er hilft uns frei aus aller Not,
die uns jetzt hat betroffen.
Der alt böse Feind
mit Ernst er’s jetzt meint,
groß Macht und viel List
sein grausam Rüstung ist,
auf Erd ist nicht seinsgleichen.

 

Klar, so lässt sich keine staatstragende Rolle des Christentums behaupten. Es ist aber eben die Botschaft der Reformation und des Luthertums, dass allein Christus der ist, der uns gerecht vor Gott macht, der uns Gott nahe bringt. Alles andere ist der Versuch, auf eigenen Beinen stehend zu Gott zu kommen, sich seinen eigenen Turm in den Himmel zu erschaffen. Und deswegen eben Strophe vier:

Das Wort sie sollen lassen stahn
und kein’ Dank dazu haben;
er ist bei uns wohl auf dem Plan
mit seinem Geist und Gaben.
Nehmen sie den Leib,
Gut, Ehr, Kind und Weib:
lass fahren dahin,
sie haben’s kein’ Gewinn,
das Reich muss uns doch bleiben.

Egal, welche Normen Menschen für wichtig erklären, woran sie festmachen, dass jemand Christ sei. Das Wort vom Kreuz, also die Botschaft, dass Christus für uns schon alles getan hat, damit wir Gottes Kinder sind, dieses Wort bleibt bestehen, dieses Wort schafft den Glauben. Im Grunde ist diese Liedzeile eine poetische Form von CA 5 (auch wenn das Lied vorher geschrieben worden ist):

„Solchen Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, Evangelium und Sakramente gegeben, dadurch er, als durch Mittel, den Heiligen Geist gibt, welcher den Glauben, wo und wann er will, in denen, so das Evangelium hören, wirkt, welches da lehret, daß wir durch Christus‘ Verdienst, nicht durch unser Verdienst, einen gnädigen Gott haben, so wir solches glauben.“

 

Und werden verdammt die Wiedertäufer und andere, so lehren, daß wir ohne das leibliche Wort des Evangeliums den Heiligen Geist durch eigene Bereitung, Gedanken und Werke erlangen.“

Gottes Gaben, durch die uns der Glaube vermittelt wird, sind Predigtamt, Taufe und Abendmahl. In diesen Werkzeugen Gottes ist sein Geist anwesend. Wer auf die Kanzel steigt und das, was er dort tut, Predigt nennt (oder auch vor der Kanzel stehen bleibt, darauf kommt es nicht an), der muss wissen, dass er nicht darüber reden soll, wie sich der Bibeltext anfühlt und auch nicht darüber, was zum gesellschaftlichen Zusammenhalt notwendig ist. Das kann – je nach Kontext – Teil einer Predigt sein, wobei man sich als Predigender dabei stets im Klaren sein sollte, dass man in diesen Punkten nur persönliche Meinung wiedergibt. Aber das ist nicht die gute Botschaft, die das Predigtamt laut CA 5 verkündet und zu verkünden hat. Predigen ist ein Auftrag, den die Kirche von Gott hat, und für den sie Menschen beruft. Und so sind auch Taufe und Abendmahl nicht schöne Zeichen der Bejahung des Lebens oder der Gemeinschaft, sondern sie sind sinnliche Predigt und tatsächliche ganzheitliche Aneignung des Evangeliums von Christus: Allein Christus ist Mittler zwischen Menschen und Gott, allein der Glaube an Christus rettet, allein durch die Schrift wird dieser Glaube definiert und kritisiert, allein aus Gnade sind wir Kinder Gottes. Und das ist keine nette Idee Luthers, die er eben, neben vielen anderen, gehabt hat. Sondern das ist die Lehre des lutherischen Bekenntnisses, wo es heißt:

„Weiter wird gelehrt, daß wir Vergebung der Sünden und Gerechtigkeit vor Gott nicht erlangen mögen durch unser Verdienst, Werk und Genugtun, sondern daß wir Vergebung der Sünden bekommen und vor Gott gerecht werden aus Gnaden um Christus willen durch den Glauben, so wir glauben, daß Christus für uns gelitten hat, und daß uns um seinetwillen die Sünden vergeben, Gerechtigkeit und ewiges Leben geschenkt wird. Denn diesen Glauben will Gott für Gerechtigkeit vor ihm halten und zurechnen, wie St. Paulus sagt zu den Römern im 3. und 4. Kapitel.“

 

 

2 thoughts on “Reformationstag ist von vorgestern, aber früher war ja nicht alles schlecht

  1. Stephan

    Nun, nicht in jeder Kirche wird so lasch gepredigt. In unserer Dorfkirche gab es eine Schwarzbrotpredigt zu Röm 9,16. Genauer gesagt ging es um Erasumus von Rotterdam und sein Buch „Vom freien Willen“ und Luthers Replik „Vom geknechteten Willen“. Letztendlich war es lehrreich bzgl. des Willens, und zeigte auch deutlich die Notwendigkeit einer Reformation, und auch die theologischen Unterschiede zwischen den Parteien.
    Schade, dass nur ca. 10 Besucher in diesem Gottesdienst waren.

    • studiosus theologicus

      Schade, dass es nur so wenige gehört haben, aber klar, nicht überall war der Reformationstag vergebene Liebesmüh. Das haben wir im Beitrag nicht extra gesagt, ist uns aber natürlich bewusst, dass es da auch viele Predigten gab, die das Evangelium gepredigt haben. Schön, dass es auch in Ihrem Fall so war!

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