Wir haben wiedermal fleißig mitgeschrieben, was Prof. von Harleß über die Gnadenmittel (Abendmahl und Taufe) zu sagen hat:
Den Hauptpunkt, an welchem festzuhalten ist, bezeichnen in einer für die weichlichen Ohren unserer Zeit vielleicht zu herben, nichtsdestoweniger wahren Weise die Schmalkaldischen Artikel, wenn sie sagen (paß. 333): „Darum sollen und müssen wir darauf beharren, daß Gott nicht will mit uns Menschen handeln denn durch sein äusserlich Wort und Sakrament. Alles aber, was ohne solch Wort und Sakrament vom Geist gerühmt wird, das ist der Teufel.“ In diesem Satze spricht sich das aus, was jedes evangelisch gesinnte Herz als die Ordnung des Heils, d. h. als die Art und Weise festzuhalten hat, in welcher ein Christ sich die von Gott gewollte Vermittlung und Bewahrung der Gnadengemeinschaft auf Erden zu denken habe.
Ist nun der Inhalt der reinen Lehre von den Gnadenmitteln der, daß eine Gnadenwirkung Grund des Daseins der sichtbaren Kirche, Gnadenvermittlung Absicht ihres Bestandes, Gnadenverheißung die Garantie ihrer Dauer sei, so ist die Existenz der Kirche und die Theilnahme an ihr ihrem Wesen nach nicht ein historisches Faktum äußerlicher Vereinigung oder das Werk und die That des Gehorsams gegen eine göttlich-gesetzliche Notwendigkeit, sondern die Kirche ist ihrem Wesen nach die Erscheinung jenes Lebens der Freiheit, welches in dem Glauben an die Wahrheit und Wirksamkeit der Gnadenverheißungen sein Charakteristikum hat.
Aber so gewiß es ist, daß den Segen des Werkes Gottes an uns nur der hat, in welchem jenes neue Leben ist, das zu seinem Kennzeichen den die Gnade Gottes ergreifenden Glauben hat, so gewiß ist, daß wir den Besitz dieses Lebens nicht danken sollen einem Glauben, der unseres Geistes Produkt wäre, sondern einer That Gottes an unserem Herzen, deren Frucht der rechtfertigende Glaube ist.
Um solche Erkenntniß, in der allein die Gnade Gnade bleibt, nämlich freie umsonst gewonnene Gnade Gottes, um solche Erkenntniß sicher zu schirmen und zu wahren, hat Gott der Kirche Jesu Christi die äußern Gnadenmittel gesetzt, an deren Empfang und Hinnahme wir das Unterpfand haben mögen, daß Gottes Gnadengemeinschaft uns zu Theil geworden sei. Wir sollen nicht ein Tagebuch selbsterfundener Erweckungsstunden führen und uns ab quälen, einen Gradmesser für die Kämpfe und Wehen der neuen Geburt aus Gott zu ersinnen, an dem uns gewiß werde, daß nach unserem Zustande zu urtheilen, Gottes Gnade unser Besitz sei. Statt all‘ der täuschungvollen Arten der Selbstschau, da wir uns selbst bespiegeln und unsere heiligen Empfindungen zergliedern und uns nach unserem Seelenbefund in das Buch des Lebens einregistriren, heißt Gott in der kirchlichen Darbietung der Gnadenmittel uns unsere thörichten Gedanken von uns ab- und hinkehren auf die Wege Gottes, da jeder Einzelne sich solcher That Gottes an ihm bewußt sein darf, in welcher die allgemeine Gnade Gottes sich ihm nicht nur äußerlich dargeboten, sondern ihn geistig also ergriffen hat, daß auch ein jeglicher von uns in seiner Weise mit Johannes vom Worte des Lebens reden darf, das wir gehöret haben, das wir gesehen haben mit unsern Augen, das wir beschauet und unsere Hände betastet haben.
Denn in jeder Bezeugung des verkündeten und vernommenen Wortes der Gnade, in jedem sakramentlichen Empfange ist uns ein sinnlich-sichtliches, zeitlich-wirkliches, geistig-wirksames Unterpfand gegeben, daß der Herr zu jedem Einzelnen von uns gekommen sei, und daß sich der wolle uns zu eigen geben, ja zu eigen gegeben habe, der für Gottlose sich dahingab, der uns zuvor geliebt hat, ehe wir ihn liebten, und dessen That allein unsere Rettung ist. Nur in und mit dieser Lehre von den Gnadenmitteln bleibt unsere Kirche, was sie ist, die Kirche der freien, Alle umfassenden, an Alle sich wirklich dahingehenden Gnade Gottes in Iesu Christo.
[…] Wer Kirche bloß oder vorzugsweise je nach Maß und Art ihrer ordnungsmäßigen Verfassung, nach der Schönheit ihrer Gottesdienste, oder nach der dem kirchlichen Glauben analogen Bethätigungsform ihrer jeweiligen Glieder und Diener schätzt, der liebt an ihr nur das zufallende, nicht das wesentliche Gut, das Gewand ihrer Erscheinung, nicht den Kern ihres Wesens, und haftet und hängt im besten Fall an dem Wohlgeschmack der Früchte, nicht aber an dem Marke der Wurzel.
Wo aber ein falscher Geist sich der Kirche bemächtigt und die Glieder derselben die Grundkraft ihrer Liebe zur Kirche in den zufallenden Erquickungen suchen, da wendet man sich vom ungeschaffenen Licht zu den geschaffenen Lichtern, vom göttlichen Grund- und Eckstein zu dem menschlichen Aufbau, vom Brunnquell des Lebens zu den abgeleiteten Bächlein, sucht in Gesetz und Ordnung, was von dem freimachenden Geist des Herrn in seinem Evangelium zu erwarten steht, getröstet sich des jeweiligen Gemeinschaftsgeistes, statt auf den Geist Gottes in Gottes Wort zu bauen, erhöht die Werke menschlichen Thuns über das Werk des Herrn, das gewirkte Leben über die wirkende Lebensmacht, das anstaltliche Gerüst der Kirche über die schaffenden Kräfte des Reiches Gottes, vergottet was an der Kirche menschlich ist, und vermenschlicht was an und in ihr aus Gott stammt, und geräth auf jenen Abweg, da man dem kreatürlich-menschlichen Selbstthun, wenn auch immerhin innerhalb des Kirchenkreises, die Ehre gibt, welche allein dem in der Kirche wirksamen Herrn gilt und gebührt.
Von solcher Irrung aber macht sich die Kirche nur dann frei, wenn sie für sich nichts sein und haben, Alles aber, was wahrhaft kirchliche Gemeinschaft in göttlicher Macht gründet und auf göttlichem Grunde erhält, nur in Demjenigen besitzen will, was sie nicht als kirchlich geschaffen, wohl aber als die von Gott dem Herrn der kirchlichen Gemeinschaft anvertrauten, von ihr rein zu haltenden und rein zu gebrauchenden und darzubietenden Gnadenmittel kennt.