Wir verwerfen und halten es für unrecht und schädlich, wenn gelehrt wird, daß das Evangelium eigentlich eine Bußpredigt und nicht allein eine Gnadenpredigt sei, dadurch das Evangelium wiederum zu einer Gesetzeslehre gemacht, das Verdienst Christi und die Heilige Schrift verdunkelt, die Christen des rechten Trosts beraubt und dem Papsttum die Tür wiederum aufgetan wird.
FC Epitome V, Von Gesetz und Evangelium
Gesetz und Evangelium zu unterscheiden, was das praktisch bedeutet und wie es geht, darüber hatten wir schon mehrfach geschrieben (hier, und vor allem hier). Warum aber ist es so wichtig? In Ihrem Verwerfungsabsatz schreibt die Konkordienformel, wie oben zu lesen ist, dass ein Missachten des Unterschieds das Handeln Gottes (in Christus) an uns verdunkelt, die Schrift unverständlich macht, uns allen Trostes beraubt. Ein Nichtbeachten der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ist keine dogmatische Spitzfindigkeit, sondern führt uns in die Arme derjenigen Werkgerechtigkeit, die zwar Hoffnung noch Trost verspricht, aber nicht geben kann, weil sie nur papiernen Ablass verkauft. Wenn in der Auslegung Gesetz und Evangelium nicht beachtet werden, dann ist es egal, wie sich die Kirche oder der Prediger nennt, dann ist er im schlechten Sinne Papist, nämlich in dem Sinne, dass er statt auf Christus zu weisen, auf menschliche Kräfte verweist.
Warum ist das so? Ist nicht jedes Wort der Schrift, Evangelium und Gesetz, Gottes Wort, und ist es nicht schon genug, dass Gott uns überhaupt anspricht? Ist nicht auch schon sein Gesetzeswort, weil göttliches Wort, ein Wort der Gnade, göttliche Barmherzigkeit und Herablassung – egal was er spricht, er spricht mit uns! (so ungefähr Karl Barth)
Nun, hier ist zu differenzieren, und zwar in zwei Punkten: Der erste ist die implizierte Annahme, mit der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium wird eines weniger wichtig als das andere – und damit weniger zu Gottes Wort, weniger heilsentscheidend. Der zweite ist die These, dass es egal sei, was Gott sage, wenn er überhaupt mit uns rede.
Was ist das Gesetz? – „Wir glauben, lehren und bekennen, daß das Gesetz eigentlich sei eine göttliche Lehre, welche lehrt, was recht und Gott gefällig, und straft alles, was Sünde und Gottes Willen zuwider ist.“
Das Gesetz ist also volles Wort Gottes, es drückt (positiv) aus, was Gott möchte und ihm gefällt. Es ist keine Defizitbeschreibung. Die Apostel haben daraus gepredigt, ja, „es haben Johannes, Christus und die Apostel ihre Predigt von der Buße angefangen und also nicht alIein die gnadenreiche Verheißung von Vergebung der Sünden, sondern auch das Gesetz Gottes ausgelegt und getrieben.“ (FC SD V) Der Beginn der Verkündigung Christi war Gesetzespredigt: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“
Anders geht es auch gar nicht. Es kann keine Evangeliumspredigt ohne Gesetz geben: „Denn das Evangelium predigt Vergebung der Sünden nicht den rohen, sicheren Herzen, sondern den Zerschlagenen oder Bußfertigen (Luk 4). Und damit aus der Reue oder Schrecken des Gesetzes nicht Verzweiflung werde, muß die Predigt des Evangelii dazukommen, damit es eine Reue zur Seligkeit wird(2 Kor. 7).
Ohne Gesetz kein Evangelium, ohne Gesetz kein Glauben, beides geht nur zusammen, nicht eines ohne das andere – damit ist auch beides gleichwichtig. Soweit so gut. Aber ist es nun schön göttliche Gnade, wenn uns nur das Gesetz gepredigt wird? Was passiert denn, wenn nur Gesetz gepredigt wird? – „die bloße Predigt des Gesetzes ohne Christus macht entweder vermessene Leute, die sich dafürhalten, dass sie das Gesetz mit äußerlichen Werken erfüllen können, oder [Leute, die] ganz und gar in Verzweiflung geraten.“ Beide Male führt die bloße Predigt des Gesetzes also direkt in die Verdammnis. Deswegen predigt Christus so auch nicht, nein: „Das neue Testament behält und treibt das Amt des Gesetzes, das die Sünde und Gottes Zorn offenbart; aber zu solchem Amt tut es flugs die Verheißung der Gnade durchs Evangelium.“ (Schmalkaldischen Artikel)
„Durch die Predigt des Gesetzes und desselben Drohen im Amt des neuen Testaments werden die Herzen der unbußfertigen Menschen geschreckt und zur Erkenntnis ihrer Sünden und zur Buße gebracht; aber nicht also, daß sie darin verzagen und verzweifeln. Sondern weil das Gesetz ein Zuchtmeister auf Christus ist, dass wir durch den Glauben gerecht werden (Gal. 3), und also nicht von Christus, sondern auf Christus, der „des Gesetzes Ende“ ist, weist und führt (Röm. 10), werden sie durch die Predigt des heiligen Evangelii von unserm Hern Christo wiederum getröstet und gestärkt.“ (FC SD V)
Die bloße Predigt des Gesetzes mag zwar Gottes Wort sein, aber es ist ein verdammendes Wort. Es ist ein Wort, das tötet, und nicht wieder lebendig macht. Es führt den Menschen nicht zum Glauben, sondern in die Verzweiflung. Im Gesetz findet der Mensch den abwesenden Gott, den Gott, der verurteilt. Das ganze Gesetz lässt die Gerechtigkeit Gottes hell leuchten – aber sie brennt so hell, dass wir darin vergehen. Also nein, dass Gott im Gesetz zu uns spricht, ist noch kein Evangelium.
Aber auch ein Evangelium ohne Gesetz ist falsch: Indem es selbstsicher macht, wendet es den Blick von Christus weg auf mich hin – und ist so eigentlich wieder Gesetz (insofern die Selbstsicherheit mich ebenso verdammt). Daraus dürfte klar werden, warum beide zu trennen sind: Wird nur eines von beiden gepredigt, so führt es nicht zum Glauben, sondern so oder so zum Unglauben, entweder zum selbstsicheren oder zum verzweifelten. Wird im Gesetz Evangelium gepredigt, so führt das nicht zur Sündenerkenntnis, sonderrn zu Eigensicherheit. Wird im Evangelium Gesetz gepredigt, so tröstet uns das Evangelium nicht, sondern wird zur Verzweiflungspredigt, zu einer Predigt, die uns sagt, was wir tun müssen – aber wenn wir es getan haben, stehen wir da und sagen: „Wir sind unnütze Knechte; wir haben nicht einmal alles das getan, was wir zu tun schuldig waren.“
So muss mit allem Fleiß der wahre, eigentliche Unterschied zwischen dem Gesetz und Evangelium betrieben und erhalten werden, und was zur Konfussion zwischen Gesetz und Evangelium Ursache geben möchte, fleißig verhütet werden.