Martins Schatzkiste. Buchbesprechung: Martin Chemnitz, Handbuch der christlichen Lehre

Heute möchten wir ein Buchprojekt vorstellen, welches als Band 1 einer Reihe „lutherischer Klassiker“ Hoffnung weckt auf kommende Neuverfügbarmachung von Schätzen aus der Geschichte der Lutherischen Kirche.

Das Handbuch, ursprünglich von Martin Chemnitz für die Pfarrerausbildung in Braunschweig zum Ende des 16. Jh. verfasst, wurde in heutiges Deutsch übertragen. Es behandelt in Frage-Antwort-Schema die zentralen Probleme des christlichen Glaubens aus lutherischer Sicht und eignet sich so besonders als Nachschlagewerk und Kommentar zum Bekenntnis. Gerade auch für den Alltag ist es durch seine prägnante Gliederung gut geeignet. Zunächst werden Fragen nach dem Predigtamt erläutert, bevor es ungefähr entlang der Punkte der CA in 29 Punkten um Gott, Gesetz, Sünde, Freien Willen, Evangelium, Rechtfertigung, Gute Werke, Sakramente, Kirche und Jüngstes Gericht geht. Nun gut, die Abschnitte sind etwas ausdifferenzierter, als hier skizziert. Das Buch ist also kein Schmöker für den Nachttisch, von vorn nach hinten durchzulesen, sondern wirklich ein Handbuch: Lautet meine Frage „Soll man die Christen lehren […], dass sie […] den Sabbat halten?“ (48), so findet sich die Antwort – Nein, diese Gesetze sind aufgehoben.“, und wird dann begründet. Und von hier aus geht es weiter: Wie ist das mit dem Gesetz es ist doch von Gott, warum soll es nicht mehr gültig sein, was bedeutet das für Römer 7, was bedeutet das für Kirchenzeremonien usw., eben alle Fragen betreffend, die Bibelleser sich in Bezug auf das Gesetz stellen werden und die bis heute aus den Diskussionen (evangelikal geprägter) Christen nicht wegzudenken sind.  Mitten in der Mitte oder ganz am Ende kann das Buch aufgeschlagen werden, und immer wieder landet man bei ganz aktuellen Fragen, zum Beispiel auch: „Sollte denn nicht ein Jeder in seiner Religion und seinem Glauben – ohne das Wort Gottes – wenn er es gut meint, selig werden?“ (36) Und dann kann man sich als Leser ins Gespräch mit Chemnitz begeben, kann die Fragen selbst beantworten und mit dem, was Chemnitz schreibt, vergleichen. Auch wer also nicht alles teilt, wird doch viel lernen können. Ein Bibelstellen- und Namensregister geben zusätzlichen Überblick. Fester Einband und handliches Format erleichtern die Benutzung.

Was aber leistet das Buch inhaltlich? Chemnitz, vor allem als klarer Bekenner des Luthertums, Wegbereiter des Konkordienbuches und unermüdlicher Streitschlichter für die lutherische Sache in Erscheinung getreten, bietet in seinem Handbuch seinen Beitrag zur Ausbreitung der Reformation. Eng und dicht gefasst werden Glaubensfragen erläutert, sortiert und eingeordnet. Das Handbuch kann insofern als Kommentar zu den Bekenntnisschriften verstanden werden, der auch Fragen erläutert, die dort aus verschiedenen Gründen keinen direkten Platz gefunden haben. Dass dabei neben der Darlegung der Lehre dessen, was (biblisch begründet) in der jeweiligen Frage zu glauben sei, auch immer darauf verwiesen wird, was aus diesem Glauben hinsichtlich des Handelns des Menschen folgt, in klassischer Wortwahl also neben der Rechtfertigung also auch die Heiligung eine Rolle spielt, macht Chemnitz keineswegs zu einem „Wegbereiter des Pietismus“ (so Prof. Dr. Matthias Heesch in: Pfälzisches Pfarrerblatt Nr. 3, März 2019, S. 121), sondern verdeutlicht lediglich, dass die lutherische Theologie des konfessionellen Zeitalters entgegen aller pietistischer Propaganda sehr wohl um den „tertius usus legis“, den Gebrauch des Gesetzes für die Wiedergeborenen wusste, und keinen Glauben, aus dem keine Werke folgten, lehrte (vgl. nur die Konkordienformel). Chemnitz ordnet diese Werke lediglich – wie das Konkordienluthertum insgesamt – in ihrer richtigen Stellung dem Glauben zu: Sie sind nicht Geschwister, sondern immer Kinder des Glaubens. Noch einmal in Worten der Konkordienformel:

2. Wir glauben, lehren und bekennen, das die Predigt des Gesetzes nicht allein bei den Ungläubigen und Unbussfertigen, sondern auch bei den Rechtgläubigen [wahrhaftig Gläubigen], wahrhaftig Bekehrten, Wiedergebornen und durch den Glauben Gerechtfertigten mit Fleiß zu treiben sei.

3. Denn ob sie wohl wiedergeboren und in dem Geist ihres Gemüts erneuert sind, so ist doch solche Wiedergeburt und Erneurung in dieser Welt nicht vollkommen, sondern nur angefangen, und stehen die Gläubigen mit dem Geist ihres Gemüts in einem stetigen Kampf wider das Fleisch, das ist, wider die verderbte Natur und Art, so uns bis in [den] Tod anhängt; um welches alten Adams wiIlen, so im Verstande, WiIlen und alIen Kräften des Menschen noch steckt, damits sie nicht aus menschlicher Andacht eigenwilIige und [selbst] erwählte Gottesdienste vornehmen, ist vonnöten, daß ihnen das Gesetz des Hern immer vorleuchte, desgleichen, daß auch der alte Adam nicht seinen eigenen WiIlen gebrauche, sondern wider seinen WiIlen nicht allein durch Vermahnung und [Drohung] des Gesetzes, sondern auch mit den Strafen und Plagen gezwungen [werde], daß er dem Geist folge und sich gefangen gebe, 1 Kor. 9; Röm. 6. 7. 12; Gal. 5. 6; Ps. 119; Hebr. 13.

5. Früchte aber des Geistes sind die Werke, welche der Geist Gottes, so in den Gläubigen wohnt, wirkt durch die Wiedergebornen, und [die] von den Gläubigen geschehen, soviel sie wiedergeboren sind, als wenn sie von keinem Gebot Drohung oder Belohnung wußten … .

6. Also ist und bleibt das Gesetz beides bei den Bußfertigen und Unbußfertigen, bei wiedergebornen und nichtwiedergebornen Menschen ein einiges Gesetz, nämlich der Unwandelbare Wille Gottes, Und ist der Unterschied, soviel den Gehorsam belangt, aIlein an dem [an den] Menschen, da einer, so noch nicht wiedergeboren, dem Gesetz aus Zwang und unwiIlig (wie auch die Wiedergebornen nach dem Fleisch tut, was [es] von ihm erfordert, der Gläubige aber ohne Zwang mit wiIligem Geist, soviel er neugeboren, tut, das keine Dräuungen des Gesetzes aus ihm nimmermehr erzwingen könnten.

Der Anlass für Chemnitz, sein Handbuch zu schreiben, stellte die zweimal jährliche Prüfung der Pastoren im Fürstentum Braunschweig durch die Superintendenten dar. Das Werk sollte transparent machen, um welche Inhalte es bei der Prüfung gehen würde (Vorwort, 16f). Von hier aus erklärt sich einerseits der längere erste Teil, der sich mit der Rolle der Pastoren in der Kirche beschäftigt (und damit interessante amtstheologische Anregungen gibt). Zum anderen erklärt Chemnitz seine Vorgehensweise: Weil das Handbuch den Zweck habe, den Pastoren den „rechten Gerund der reinen Lehre“ (17) darzulegen, seien überall die entsprechenden Bibelstellenkapitel angefügt, damit die Pastoren selbst in der Schrift nachsuchen könnten. Dass das Buch auf deutsch geschrieben sei, solle einerseits dafür sorgen, dass die Pastoren wirklich verstehen, was sie lesen und nicht nur auswendig lernen, und andererseits, „dass es die Laien lesen und wissen können, was in den Examen behandelt wird“, könnten sie doch so auch erkennen, „ob ihre Pastoren der rechten Stimme des einzigen Erzhirten Christus folgten“ (17). Aufgabe des Buches wie der Pfarrer sei somit, „die Schafe [zu] nähren und dem Wolf [zu] wehren“ (19).

In seiner Darlegung bietet Chemnitz immer wieder Verweise auf die Kirchenväter und zeigt so, dass sein Bibelverständnis nicht aus der Luft gegriffen ist, sondern die lutherische Lehre christliche Lehre ist, wie sie im Lauf der Kirchengeschichte immer wieder zu Gehör kam. Daneben wird auch auf Mitreformatoren verwiesen, neben Luther und Melanchthon lassen sich im Personenregister auch einige unbekanntere Protagonisten finden. Vor allem aber wird wie im Vorwort angekündigt der Bezug zur Bibel nie aufgegeben, wie die zahlreichen Stellenvermerke (geradezu, als wollte er biblizistische Stellenpickerei vermeiden, führt Chemnitz nur ganze Kapitel an – womit sein Buch tatsächlich dazu anleitet, selber in der Schrift nachzulesen) unübersehbar deutlich machen und dem Untertitel tatsächlich entsprechen: „… aus Gottes Wort einfach und gründlich erklärt.“ Die Einfachheit de Buches  besteht dabei vor allem in der Greifbarkeit der kurzen Passagen. Sprachlich darf trotz Übertragung natürlich nicht erwartet werden, dass die Bild- und Begriffswelten des 16. Jahrhunderts vollständig verschwinden würden. Allerdings: wo wirklich Interesse an den aufgeworfenen Fragen besteht, werden diese Hürden leicht zu überwinden sein, besonders für die Leser, die biblisch bewandert sind. Ebenfalls zu empfehlen ist die Ausgabe Theologiestudierenden und PfarrerInnen, die natürlich einen noch leichteren Zugang finden dürften.

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Thomas Kothmann (Hrsg.), Martin Chemnitz, Handbuch der vornehmsten Hauptteile der christlichen Lehre. Band 1 der Reihe Bibliothek lutherischer Klassiker

http://webshop.freimund-verlag.de/produkt/handbuch-der-vornehmsten-hauptteile-der-christlichen-lehre-martin-chemnitz/

ISBN: 978-3-946083-32-0. Preis: € 14,80

204 Seiten, Hardcover mit farbigem Lesebändchen, Dezember 2018.

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