Wir haben mal Theodosius Harnack aus Dorpat in Estland ein paar Fragen zur Kirche gestellt, die wir euch nicht vorenthalten wollten:
Herr Harnack, was ist den der eigentliche Grund allen Übels in der Kirche ist?
„Die Hauptquelle unsres Notstandes (…) liegt darin, dass die Krone unsrer Kirche, die Einheit und Reinheit ihres Bekenntnisses, nicht mehr für genügend gehalten, oder überhaupt für gering geachtet wird, weil man sich durch Scheinkronen theologischer Wissenschaft oder auch menschlicher kirchlicher Mittel und Institute hat blenden und irreleiten lassen. Die Knechtsgestalt der Kirche, die ist von jeher der Anstoß gewesen, auch für den Glauben. Und es waren nicht die Schlechtesten, die oft bemüht gewesen sind, diesen Anstoß wegzuräumen. Aber auch von der Kirche Christi gilt: ›selig, wer sich nicht an mir ärgert‹!“
Relevanzverlust, Mitgliederschwund, Nachwuchsmangel. Die Kirche fühlt sich nicht gut und beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, wie sie sich fit für die Zukunft machen kann. Was kann die Kirche tun, oder was muss die Kirche tun? Helfen Strukturreformen und organisatorische Änderungen weiter?
„Die Kirche ist auf das Bekenntnis gegründet (Matth. 16, 18ff.). Dies ist ihre Signatur und bleibt es unveränderlich, auch wenn sie sich als Gemeinschaftsverband konstituiert. Auch als diese verfasste Gemeinschaft hat sie nicht die Wahl, Kirche des Bekenntnisses oder der Verfassung zu sein, d.h. den Schwerpunkt ihrer Einheit in jenes oder in diese zu legen. Sie kann und darf nur Kirche des Bekenntnisses sein wollen, wenn sie bleiben will, was sie ist, Kirche Christi, Kirche des Evangeliums und nicht des Gesetzes, überhaupt ein Reich, das nicht von dieser Welt ist. Es beruht darum auch die Einheit der Kirche durch alle Jahrhunderte und ihr Zusammenhang mit der apostolischen Urkirche nicht in der Identität einer Verfassungsform oder in der Sukzession der Bischöfe, sondern in der Kontinuität des Bekenntnisses. Es gibt keine seligmachende Verfassung der Kirche; Glaube und Bekenntnis sind dagegen seligmachend (Matth. 16,17; Röm 10,10). Letzteres darf deshalb nicht nur, sondern muss den Anspruch erheben, das alleinige und ausreichende Einheitsband der Kirche in ihrer Erscheinung zu bilden.“
Statt Strukturreform also Bekenntnispredigt?
Der lutherische Katechismus ist die lutherische Kirche; er setzt sie sich voraus und zieht sie nach sich mit ihrem ganzen Bekenntnis und dem Anspruch, den sie im Namen desselben zu erheben hat.“
Bedeutet das, für alle anstehenden Fragen passende Antworten aus dem Kleinen Katechismus hervorzukramen? Liegt unser Heil im Bekenntnis?
„Es darf unsere Kirche und Theologie nicht abermals vergessen wollen, dass ihr Bekenntnis den göttlichen Schatz in einem menschlichen, gebrechlichen Gefäße trägt, und dass es nicht das Licht selbst ist, sondern nur der irdische Leuchter desselben. Noch weniger darf sie sich durch das unwahre und unedle Geschrei ihrer Gegner dazu verleiten lassen, sich aus ihrem Symbol eine Herrlichkeitskrone zu flechten und aus diesem ihr teuer werten Kennzeichen ihrer Errettung und Erwählung, das ihr zugleich ihre Erhaltung verbürgt, auch nur den Schatten eines Abgotts neben dem eifersüchtigen Wort Gottes zu machen, wenn es ihr nicht mit den Formeln ihres Bekenntnisses ergehen soll, wie einst Israel mit der ehernen Schlange, die Hiskia zerstören musste, damit das Volk ihr nicht mehr räuchere. (2Kön 18,4) Wohl ist die Kirche auf das Bekenntnis gegründet und die unsrige steht und fällt mit ihrem Gesammtbekenntnis, von dem sie nichts dran geben kann oder sich abmarkten lassen darf. Aber diese unsre kirchliche Bekenntnisposition lässt sich nie ungestraft bloß äußerlich behaupten und geltend machen. So muss es sich immer wieder erweisen als persönliche Tat, als neu aus dem Wort und Glauben, der Erfahrung und Anfechtung geboren, dem überhaupt das Bekenntnis seinen Ursprung und seine große Verheißung verdankt.“
Vielen Dank für Ihre Gedanken, Herr Harnack!
Zitate aus: Theodosius Harnack, Die Kirche, ihr Amt, ihr Regiment; Theodosius Harnack, Die freie lutherische Volkskirche
Passend zum Interview noch zwei Antworten, eine negative und eine positive, zur Frage, was die Kirche ausmacht, aus dem Großen Katechismus:
Antwort 1:
Es ist keine christliche Kirche wo man nicht von Christo predigt, denn da ist kein Heiliger Geist, welcher die christliche Kirche macht, beruft und zusammenbringt, ausser welcher niemand zu dem Hern Christo kommen kann.
Antwort 2, Über die Bedeutung der Wortgruppe „Gemeinschaft der Heiligen“ im Glaubensbekenntnis:
Ich glaube, daß da sei ein heiliges Häuflein und Gemeinde auf Erden eitler Heiligen, unter einem Haupt, Christo, durch den Heiligen Geist zusammenberufen in einem Glauben, Sinn und Verstand, mit mancherlei Gabe, doch einträchtig in der Liebe, ohne Rotten und Spaltung. Derselben bin ich auch ein Stück und Glied, aller Güter, so sie hat, teilhaftig und Mitgenosse, durch den Heiligen Geist dahin gebracht und eingeleibt dadurch, daß ich Gottes Wort gehört habe und noch höre, welches ist der Anfang hineinzukommen. Denn vorhin, ehe wir dazugekommen sind, sind wir ganz des Teufels gewesen, als die von Gott und von Christo nichts gewusst haben. So bleibt der Heilige Geist bei der heiligen Gemeinde oder Christenheit bis auf den Jüngsten Tag, dadurch er uns holt, und gebraucht sie dazu, das Wort zu führen und zu treiben, durch das er die Heiligung macht und mehrt, dass sie täglich zunehme und stark werde im Glauben und seinen Früchten, die er schafft.