Heinrich Bedford-Strohm (HBS) erzählt natürlich gern und viel, wie es eben das Amt eines Ratsvorsitzenden der EKD ist. In einem Vortrag am 28.09.2019 in Kassel tat er dies zum Thema „Kirche als Change Agent und Hoffnungsträger?“ Dieser Vortrag ist uns aufgefallen, weil er Dinge vermischt, die nicht zusammengehören und so zu Irrlehre führt, die Herrn HBS – er wurde in einer verfassungsrechtlich lutherischen Kirche ordiniert – nicht hätten unterlaufen dürfen. Aber fangen wir in Ruhe an.
Los geht das Ganze mit Bemerkungen zur gegenwärtigen gesellschaftlichen Lage. HBS bezieht sich auf zugängliche Informationen aus Gesellschaft & Wissenschaft, wenn er einsteigt mit Worten über die Herausforderungen des Klimawandels. Das ist nicht grundsätzlich falsch. Die äußere Gestalt der Kirche lebt innerhalb sich ändernder gesellschaftlicher Gegebenheiten und sollte somit dieses Gebiet nicht ignorieren, besonders bei möglicherweise großen Veränderungen, die die Gesellschaft betreffen. Je nach Art dieser Veränderung muss sie sich diesen nämlich in den Weg stellen oder nicht. Die Debatte über wirtschaftlich-soziale Reaktionen auf den Klimawandel dürfte jedenfalls nicht grundsätzlich an der Möglichkeit der Kirche, das Evangelium frei zu verkünden, rühren, weshalb anders zu reagieren ist, als z.B. auf die Einführung einer Diktatur.
Wichtig ist: auch wenn die gesellschaftlichen Entwicklungen Änderungen im Verhalten der Kirche nach sich ziehen können – eines dürfen sie nie nach sich ziehen: dass die Kirche sich praktisch und inhaltlich versucht, anders zu definieren, als die von Gott eingesetzte Verwalterin der Heilsmittel: als Verkünderin seines Wortes in Gesetz und Evangelium und Verwalterin seiner Sakramente in Taufe & Mahl. Das wäre jedenfalls eine Forderung, die den Bekenntnisschriften und damit auch der Heiligen Schrift komplett widerspräche, die aber zB auch Luthers Einsicht in das Verhältnis von Glaube und Werke (die Werke fließen notwendig aus dem Glauben, aber ohne ihn sind sie nichts) entgegenstände.
Textauslegung ohne Kontext und der Vers als Feigenblatt der eigenen Ideen
Wie beackert nun HBS dieses Feld? Im dritten Teil des Vortrags kommt er auf die Frage zusprechen:
In 2. Kor 5,19 steht ein Satz, der zwar spröde klingt, es aber in Wirklichkeit in sich hat: „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“ Was Paulus hier sagt, ist für das Verhältnis von Kirche und Welt von zentraler Bedeutung. Hier steht nämlich nicht, dass Gott die Kirche oder die Christenheit mit sich versöhnt hat, sondern hier ist von der Welt die Rede – „ton kosmon“, vom ganzen Kosmos. Wenn das stimmt, dann muss eine Auffassung überwunden werden, nach der Gottesdienst und Seelsorge als kirchliche Kernaktivität zu sehen sind, dem das Engagement für die Welt dann in irgendeiner Weise nachgeordnet werden müsste. Wenn Gott die Welt mit sich versöhnt hat, dann nehmen Christinnen und Christen die Welt als einen Ort wahr, in dem sie auch in aller Säkularität Gott begegnen. Der Theologe, der das am besten verstanden hat, war Dietrich Bonhoeffer. Er gründet sein ganzes Wirklichkeitsverständnis darauf:
„Die Wirklichkeit Gottes erschließt sich nicht anders als indem sie mich ganz in die Weltwirklichkeit hineinstellt, die Weltwirklichkeit aber finde ich immer schon getragen, angenommen, versöhnt in der Wirklichkeit Gottes vor. Das ist das Geheimnis der Offenbarung Gottes in dem Menschen Jesus Christus.“[1]Was das für unser Verhältnis zur säkularen Welt bedeutet, macht Bonhoeffer mit Worten klar, deren Tragweite wir in der Kirche noch lange nicht begriffen haben: „Es gibt kein Stück Welt und sei es noch so verloren, noch so gottlos, das nicht in Jesus Christus von Gott angenommen, mit Gott versöhnt wäre.“[2]
Wenn das stimmt, was Bonhoeffer, ausgehend von 2. Kor. 5 sagt, dann ist die Quartiersarbeit von Kirchengemeinden, der Einsatz für die Menschen in den sozialen Räumen, in denen wir leben, aber auch ihr öffentliches Engagement in Politik und Zivilgesellschaft, in ganz elementarem Sinne Nachfolge Christi. Dann kann die Kirche nur wirklich authentisch sein, wenn sie öffentliche Kirche ist.
Nun ist man bei solch Bischofsworten ja zunächst einmal überrascht, das der Grundsatz, dass ein Textausschnitt in seinem Kontext gelesen werden sollte, der ja für jede Literatur gilt (vom kirchlichen Auslegungsgrundsatz, dass die Heilige Schrift sich selbst auslegt, also eine unklare Stelle von den klaren her gelesen werden muss, einmal abgesehen), für salbungsvolle Kirchenreden offenbar nicht gilt. Naja, zugegebenermaßen, so ganz überrascht das natürlich nicht. Man kennt das Prinzip von Kirchentagen, Synoden und überhaupt: Eine Kirchenrede unter einem Bibelwort – das bedeutet oft nur lose Assoziation ausgehend von einem Wort im Satz. Was zB alles unter Freiheit verstanden werden kann! Natürlich hat man das im Kulturprotestantismus nicht erfunden – beheimatet ist das Sprungbrettpredigen auch im charismatisch-evangelikalen Bereich, und überall dort, wo sich die Themen über die Worte stellen wollen.
HBS hätte jedenfalls gut daran getan, zuerst die gesamte Bibelstelle zu lesen, denn dort heißt es: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Aber das alles ist von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.“
Also: HBS sagt: Gottesdienst und Seelsorge sind nicht die Hauptaufgabe der Kirche, denen andere Aufgaben nachgeordnet sind. Die Bibelstelle, die er bemüht sagt: Gott hat uns, der Kirche, das Amt, also die Berufung gegeben, das den Menschen predigen soll, dass sie sich versöhnen lassen mit Gott, also: Gottesdienst und Seelsorge sind die entscheidenden und göttlich autorisierten Folgen, die der Versöhnung, die die Welt durch Gott erfahren hat, entspringt. HBS sagt: Wir können Gott irgendwie in der ganzen Welt begegnen. Die Bibelstelle sagt: Wir begegnen dem Gott, der sich mit uns versöhnt hat, in Christus. HBS sagt: Dass Gott die ganze Welt mit sich versöhnt hat, bedeutet, dass wir uns schön um die Welt kümmern sollen. Die Bibelstelle sagt: Dass Gott die ganze Welt mit sich versöhnt hat, bedeutet, dass wir die ganze Welt auf ihn weisen sollen, sie muss gebeten werden, sich mit Gott versöhnen zu lassen.
Nebenbemerkung: Bezüglich Bonhoeffer denken wir doch, dass a) Paulus diesen noch immer übertrumpft und b) dass erst noch dargelegt werden muss, dass er wirklich im Sinne von HBS sprach und hier nicht auch ähnlich wie mit Paulus verfahren wurde.
Befreiungstheologie 4.0 – Erlösung ist so passiv – wer sich selbst rettet fühlt sich besser!
Bedford-Strohm hat die Entscheidung der Kirche, sich für Flüchtlinge einzusetzen, verteidigt, und somit auch einen Kurs, in dem die Kirche gesellschaftliche Aufgaben übernimmt. Das ist nicht grundsätzlich falsch, im Gegenteil! Niemand hat gesagt, gute Werke seien verboten. Natürlich darf die Kirche Gutes tun und tut dies nicht erst heute. Natürlich fließen gute Werke aus der Erkenntnis, dass Gott sich mit uns in Christus versöhnt hat. Gute Werke sind ein Zeichen, dass wir Gottes Gnadenangebot angenommen haben, und sie sind natürlich auch ein Werben um die Menschen, eine Weitergabe des göttlichen Geschenkes, ein Bejahen der Gebote Gottes, z.B. eben der Nächsten- vor der Selbstliebe usw.
Aber diese Idee, das Tun des Guten wäre der Predigt des Evangeliums gleichzusetzen oder gar vorzuziehen, ist Irrlehre. Nicht, weil das Gute unwichtig wäre (so skizziert HBS – falsch – die Alternative). Nachgeordnet, aus dem Glauben entstehend, das bedeutet nicht: unwichtig. Aber die Reihenfolge ebenso wie die Ordnung muss man einhalten. Zumindest macht das den guten Theologen aus, dass er Gesetz und Evangelium, Glaube und Werke differenzieren kann. Was HBS hier sagt, ist deshalb Irrlehre, weil es die Identität der Kirche auf den Kopf stellt und nicht nur sie, sondern auch Christus und alles was er getan hat. Und das alles, wie oben beschrieben, anhand einer jedem Leser offensichtlichen Fehlauslegung eines einzigen Paulusverses. In der hier vertretenen Form erinnert diese Fehllehre stark an die (ursprünglich katholische) Befreiungstheologie, die wir hier schon einmal grob eingeordnet hatten.
Doch was ist ihr orthodoxes Gegenstück? Die Kirche – das heißt die Gemeinschaft derer, die an Christus als den Gott-Menschen und Erlöser der Welt durch sein Sterben und an seine Wiederkunft zum Gericht glauben – soll das, was sie glaubt, verkündigen und diese gute Botschaft, das Euangelion, verkündigen und – da wo es die Sakramente betrifft – verwalten und auspenden. Ohne Evangelium kann es keine (vor Gott) Guten Werke geben. Dann gibt es zwar ein Handeln, das gesellschaftlich als richtig wahrgenommen werden kann (oder auch nicht). Vor Gott aber ist es schlicht Sünde. HBS verführt damit zu jener wohlbekannten falschen Alternative, dass die Werke den Gnadenmitteln (Predigt und Sakramente) ebenbürtig oder eigentlich wichtiger als diese sein können. Das gab es schon im vorreformatorischen Katholizismus und der Großteil des Pietismus fand das auch. HBS definiert die „Werke der Großen Transformation“ lediglich nicht durch die Schrift als gut, sondern eben durch die Erkenntnisse der Kultur, deren Teil die Wissenschaft ist.
Zwar gilt, dass vor Gott jedes Werk gut sein kann, egal, ob es Gebet ist oder Fensterputzen. Aber alle diese Werke sind nichts ohne den Glauben. So ist auch die „Quartiersarbeit von Kirchengemeinden, der Einsatz für die Menschen in den sozialen Räumen, in denen wir leben, aber auch ihr öffentliches Engagement in Politik und Zivilgesellschaft“ wichtig und richtig, entspricht dem diakonischen Handeln der Kirche, welches dieselbe immer schon (zu einem Teil) ausgemacht hat. Aber das ist alles nichtig, wenn die Kirche nicht predigt, Sakramente spendet und seelsorgt.
HBS hätte übrigens, wenn er die Sachen richtig eingeordnet hätte, weite Teile seines Vortrags genauso halten können: Natürlich kann die Kirche ein Akteur sein, doch ist sie stets ein Rufer aus einer anderen Welt, der in eine andere Welt hinweist. Bei gesellschaftlichen Debatten darf sie natürlich auf ethische Dimensionen hinweisen, die ja wohl kaum vom Automobilverband geäußert werden dürften. Was die Kirche hier für ein Alleinstellungsmerkmal hat: sie sieht alle Menschen sowohl als Sünder, die zuerst Christus und dann der Besserung bedürfen, als auch als Kinder Gottes. So wird sie hier die Mächtigen auf ihre Verantwortung für die Armen, die Armen auf die Menschlichkeit und Menschenrechte der Reichen verweisen. Nein, wenn jemand viel Geld hat, gehört es noch lange nicht Dir! Und nein, auch wenn jemand selbst arm ist, ist er immer noch Dein Nächster, und Dein Reichtum ist auch für ihn da! Die Kirche, die weiß, dass Gott den Menschen als Sünder und Gerechtfertigten betrachtet, kann die Menschen ganz anders wahrnehmen, sozusagen von außen.
Natürlich kann die Kirche hinterfragen, ob gesellschaftliche Narrative richtig sind, oder neue Maßstäbe angelegt werden. Doch ihr Narrativ ist immer ein vollkommen anderer, als alle politischen: die eschatologische Rettung der Menschheit ordnet sie stets demjenigen, der mir jetzt Nächster ist, unter. Die Kirche kann in dieser Hinsicht ein Wächter sein, der sich um den Nächsten sorgt, und der Hoffnung hat, dass Gott diese Welt in seiner Hand hält. Das ist alles nicht falsch.
Aber die Hoffnung, wie auch alles andere, sie folgt doch eben der Predigt des Evangeliums. Sie ist nicht einfach da, weil sie gut klingt. Wir hoffen als Kirche auf die Wiederkunft Christi. Wir hoffen eben nicht darauf, dass die Welt irgendwann bessere Zeiten erleben wird, obwohl wir das weder ausschließen noch unangenehm finden würden. Wir wissen, dass diese Welt zutiefst geprägt ist von der Sünde, die jede noch so gute Tat korrumpiert oder in ihr Gegenteil umkehren kann. Deswegen hoffen wir nicht darauf, dass es irgendwann eine ideale Staatsform, Gerechtigkeit und Wohlstand für alle, eine wunderbare Welt ohne jedes Problem geben wird, wie sehr wir uns auch dafür einsetzen sollen, dass es unseren Nächsten gut geht. Wir hoffen auf die neue Welt Gottes, der sich mit uns durch Christus versöhnt hat. Deshalb „bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.„
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Vränderung
Danke!
Ich habe den Artikel mit großem Interesse gelesen, es sind immer die selben Diskussionen in den Bibelkreisen und ähnlichen Versammlungen. Jede Gemeinde hat mindestens einen HBS, aber sie werden erkannt.