Für den anstehenden vierten Advent hat uns Ägidius Hunnius den Wochenspruch ausgelegt. Er lautet:
Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Eure Güte lasst kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe! Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden!Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren.
Hunnius schreibt dazu:
„Dieser Abschnitt ist zwar an Worten kurz, aber an Inhalt, Lehre, Ermahnung sehr reich. Denn es wird erstens gelehrt, wie die Christen voller Zuversicht an Gott hängen, und deshalb Freude und Wonne haben. Zweitens wird gelehrt, wie sie mit Sanftmut und Güte allen Menschen begegnen sollen. Schließlich drittens, nach welcher Art sie alle Sorgen dem Allmächtigen durch das Gebet anbefehlen sollen, damit der Friede Gottes sie in ihrem Herzen regiere.
Zum Ersten Teil.
Wenn der Apostel Paulus „freut euch allezeit“ sagt, so möchte wohl schnell jemandem einfallen: Wie soll sich das vereinbaren lassen mit dem Spruch aus dem Prediger (3. Kapitel): „Ein Jegliches hat seine Zeit und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde“? Denn dort erzählt er von den menschlichen Tätigkeiten, von denen jede ihre Zeit habe, darunter auch von der Fröhlichkeit, und sagt: Weinen hat seine Zeit, Lachen hat seine Zeit. Paulus aber will nun, dass wir allezeit fröhlich sind und die ganze Lebenszeit in solcher Freude zubringen. Wie lässt sich das vereinbaren? Hier ist zu Bedenken, dass die Schrift von drei Arten der Freude spricht: Weltliche Freude, Leibliche Freude und Geistliche Freude.
Weltliche Freude ist es, Gefallen zu haben an den nichtigen Dingen, dem vergänglichen Reichtum, Silber und Gold. An fleischlicher Lust, Fressen und Saufen und so weiter und so fort. Diese Freude soll sich bei Christen nicht finden (1. Joh 2): Habt nicht lieb die Welt und was in ihr ist. Wenn jemand die Welt lieb hat, so ist in ihm nicht die Liebe des Vaters. Die Welt vergeht mit ihrer Lust, wer aber den Willen des Vaters tut, bleibt in Ewigkeit. So lehrt es auch Christus im Gleichnis vom reichen Mann.
Leibliche Freude ist zwar auch eine Freude an dem, was Gott dem Menschen auf Erden gönnt, aber sie vollzieht sich in gebührlichem Maß. Man freut sich über Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Frau und Kinder. Darüber, dass Gott Nahrung gibt, isst man mit fröhlichem Herzen, wie es in Pred. 9 heißt. Von dieser Freude nun sagt der Prediger Salomo, dass sie ihre Zeit habe.
Geistliche Freude aber rührt nicht von den zeitlichen Dingen her, sondern da hängt das Herz an Gott und hat seine Freude an dem Ewigen. Von dieser Freude will Paulus, dass sie herrsche und überhand nehme bei den Gläubigen. Deshalb sagt er: Freut euch in dem Herrn. So soll demnach sich ein jeder Christ in Gott freuen und darüber fröhlich sein, dass er einen gnädigen Gott durch Jesus Christus hat und ein Erbe der künstigen Seligkeit ist, wie Chritus seinen Jüngern in Lk 10 sagt.
Wo diese geistliche Freude im menschlichen Herzen emporschwebt, da schmeckt der Mensch die Kräfte der zukünftigen Seligkeit. Und wenn alle andere Freude verschwindet, fängt diese erst recht an. Sie währt ewigen im nächsten Leben. Denn weil Gott alles in allem sein wird, wird eine Freude entstehen, die kein Auge je gesehen und kein Ohr je gehört hat.
Weil aber der leidige missgünstige Teufel weiß, dass den Außerwählten solche Freude beschert ist, die er sich durch seinen Abfall verscherzt und verloren hat, ist er fleißig dabei, den Christen ihre Freude zu nehmen oder madig zu machen, damit sie dieselbe nur ja nicht nicht genießen. Dazu stellt er ihnen nach, dass er sie von Gott loßreißt. Kann er sie nicht zum Abfall bewegen, ficht er sie anders an, leiblich oder geistlich, zur Rechten oder zur Linken. Oder er hetzt die Welt auf und stiftet Verfolgung gegen sie, oder greift sie auf andere Art und Weise an.
Da ist es kein Wunder, dass auch bei den Außerwählten schwere Anfechtungen entstehen, und sie sich sorgen, dass Gott ihnen zuwider sei. Dagegen muss mit dem Gebet gestritten werden, dass sich Gott mit seinem himmlischen Trost zu uns setze und uns wieder sein väterliches Angesicht zeige. Wie im 80. Psalm dreimal wiederholt wird: „HERR, Gott Zebaoth, tröste uns wieder; lass leuchten dein Antlitz, so ist uns geholfen.“ Dann wird sich die Anfechtung legen und die Freude wieder aufgehen wie die Sonne nach dem Unwetter wieder scheint. So soll uns die Trübsal nicht in unserer Freude dämpfen: mitten in der Anfechtung freuen wir uns, weil sie Gedult bringt (Röm 5). Denn nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, nicht Trübsal, Angst, Verfolgung oder anders. Werden wir auch um seines willen den ganzen Tag getötet, so überwinden wir und um dessen willen, der uns geliebt hat. Denn weder Tod noch Leben, weder Engel noch Gewaltigkeiten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus unserem Herrn ist. Aus diesem Grund können wir also doch recht fröhliche Leute sein, die fröhlich sind in Gott dem Herrn, weil sie seiner Gnade und Barmherzigkeit gewiss sind.
Diese Freude entsteht, wenn ein Mensch sich mit aller Zuversicht auf Jesus Christus verlässt. Dann fühlt sein Herz die Versiegelung durch den Heiligen Geist. Wie Paulus Röm 8 sagt: Ihr habt nicht einen knechtigen Geist empfangen, dass ihreuch abermals fürchten solltet, sondern einen kindlichen Geist, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater! Dieser Geist gibt unserem Geist Zeugnis davon, dass wir Gottes Kinder sind. Durch diese Gnadengabe Gottes gibt es für uns keine Ursache, an der Seligkeit Zweifel zu üben, die uns Gott verliehen hat.
Zum zweiten Teil.
Mit den Worten „Eure Güte lasst kund sein allen Menschen“ befiehlt der heilige Paulus eine Tugend auszuüben, die aus der christlichen Liebe entspringt. Er nennt das Güte, wenn ein Mensch gegenüber dem anderen nicht all zu streng, nicht all zu genau ist, nicht in allem auf seinem eigenen Sinn besteht und seinem Nächsten nachzugeben weiß, ihm etwas zu Gute halten kann, verzeiht und zuweilen auf sein Recht verzichtet. Diese Güte sollen die Philipper allen Menschen zukommen lassen. Nicht sollen sie sich dessen rühmen, denn das tun die Heuchler. Aber sie sollen ihre Güte durch ihr Verhalten deutlich werden lassen, dass die Menschen diese Güte fühlen und dadurch gebessert werden. So sollen sie gegenüber allen Menschen sein, ob sie arm oder reich, klein oder groß, Freunde oder Feinde sind.
Damit erinnert uns Paulus daran, wie man sich unter den Menschen verhalten soll, damit diese nicht verärgert, sondern zum Guten erbaut werden. Denn ein Mensch, der eigensinnig ist und niemandem weichen will und will, dass sich jeder nach ihm richtet, taugt weder zu geistlichen noch zu weltlichen Ämter und wird im Leben nichts als Mühe und Arbeit stiften.
In der Kirche soll ein Lehrer zwar steif und fest an dem Wort der Wahrheit halten, damit die gute Beilage der reinen evangelischen Lehre unverrückt erhalten und auf die Nachkommen fortgebracht werde. Deshalb ist auch ein ernster Umgang mit den falschen Lehrern nötig, welche die Seelen ermorden, wie Paulus Titus und Timotheus ermahnt. Aber wer in diesem heiligen Amt mit den irrenden Personen gütig verfährt und alles dazu tut, dass sie gewonnen werden, richtet viel mehr aus als der, der mit unangebrachtem Eifer aus menschlichem Affekt heraus solche Leute vor den Kopf stößt und verbittert, die sonst hätten gelockt und wiedergebracht werden können. Ein Knecht des Herrn soll nicht zänckisch, sondern freundlich gegenüber jedermann sein. Er rüge die Widerspenstigen in der Hoffnung, dass ihnen Gott die Buße verleihe, dass sie die Wahrheit erkennen und aus den Stricken des Teufels befreit werden. Wir aber, die wir stark sind, sollen die Gebrechlichkeit der Schwachen tragen, und nicht an uns selbst Gefallen haben, wie auch Chritus nicht an sich Gefallen hatte.
In weltlichen Ämtern soll die Gerechtigkeit gefördert und die Boßheit gehindert werden, aber auch dazu ist Güte vonnöten. Das zeigt König David, dass er sich an den Feinden nicht zu hart rächt, obwohl er es gekonnt hätte (1. Sam 19).
Genauso ist es auch in den Familien, dass die Eltern ihre Kinder zwar erziehen und ermahnen müssen, aber auch nicht zum Zorn reizen und verbittern sollen. Das gilt auch für die Eheleute unter sich: „Ihr Männer, liebt eure Frauen, und seid nicht bitter gegen sie.“ Ebenso fordert es Gott auch von den Herrn gegenüber ihren Knechten.
Überall soll die Güte regieren. Im ganzen Leben will und soll diese Tugend unter den Christen praktiziert werden, wie uns Gott durch Paulus ermahnt (Kol 5). Deshalb sündigen die gegen die brüderliche Liebe, die alles zu genau nehmen und alles nur nach ihrem Kopf gehen lassen wollen und sich selbst zur Regel und richtschnur machen wollen. Hätte Gott nach der höchsten und äußersten Strenge seiner Gerechtigkeit verfahren wollen, dann lägen wir längst im Abgrund der höllischen Angst und Pein. Er hat aber an uns selbst seine göttliche Geduld und Güte leuchten lassen und handelte nicht nach unseren Sünden mit uns und vergalt uns nicht nach unserer Missetat. Er hat sich mit seiner Güte und Freundlichkeit an uns gewendet und seinen Sohn aus unermesslicher Liebe gesandt, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen. Hat Gott der Herr nun so gehandelt, obwohl er es nicht hätte tun müssen (denn wer hätte ihm das ewige Leben gegeben, dem er hätte vergelten müssen), wie viel mehr sollen wir diese holde Tugend unter uns regieren lassen. Die haben wir ohnehin nötig, weil wir selbst so schwach sind, dass wir hoffen müssen, dass man uns gegenüber gütig und geduldig sei.
Wir sollen aber nicht nur gegenüber denen gütig sein, die uns lieb haben, sondern gegenüber allen Menschen. Darin sollen wir vollkommener sein als die Unchristen. Wir sollen so viel wie möglich ist allen Menschen vergeben und verzeihen, die segnen, die uns verfluchen und denen wohl tun, die uns hassen, für die bitten, die uns beleidigen und verfolgen. Damit sind wir Kinder des Vaters, der seine Sonne aufgehen lässt über Bösen und Guten und es regnen lässt über Gerechten und Ungerechten.
Zum dritten Teil.
Mit den Worten „Der Herr ist nahe! Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden“ will Paulus seine Gemeinde zu Philippi trösten und stärken gegen alle Anstöße, Trübsal, Angst und Widerwärtigkeit, die denen, die sich Gott anvertrauen, begenet. Er zeigt ihnen, dass Gott nahe ist bei ihnen in aller Anfechtung. Darum sollen sie sich nicht mit vergeblichen Gedanken plagen, wie sie unter so vielen Nöten auskommen sollen, und stattdessen alle Sorge auf ihn werfen. Sie sollen ihm ihr Anliegen klagen und immer, wenn er ihnen hilft, ihm danken und loben. Wenn sie also auf Gott sehen, werde erfolgen, dass sie die Sorgen los sind und der Friede Gottes Raum in ihrem Herzen nehme.
Dieser letzte Teil ist also eine Anleitung, wie wir mit Kreuz, Leid, Trübsal und Angst umgehen sollen, damit wir sie ausstehen und ertragen können. Die Gottlosen können da nichts als murren und zürnen gegen Gott und Menschen. Damit häufen sie selber mit unnützen Sorgen ihre Angst und Qual auf. Damit ist aber nichts getan, weil die Sorge das Kreuz nicht verringert, sondern es immer schwerer macht. Es liegt zwar in der menschlichen Natur und kann auch ein wiedergeborener Christ sich nicht ganz seiner Angst und Sorge entledigen. Aber man muss einen anderen Umgang mit Kreuz und Jammer suchen, damit man Trost findet. Solchen Trost verschafft das gläubige Gebet, das dem Herrn die Not klagt und die Angst vor ihm ausgeschüttet wird. Denn es ist doch bei den Menschen so: Wenn man seine Angst mit einem anderen Menschen teilt, wird einem leichter ums Herz. Umso mehr sollen christen ihre Anliegen durch Gebet vor Gott dem Herrn kundtun und sie ihm zu Füßen legen. Denn die Schrift nennt ihn einen Vater aller Gnade und Barmherzigkeit, einen gewaltigen Schutz derer, die ihn suchen, einen Schirm, eine Hütte am heißen Mittag, eine Hut gegen das Straucheln, eine Erquickung für die Müden und Beladenen, Freude und Wonne den Betrübten, eine starke Zuflucht den Angefochtenen, einen, der da Recht schafft denen die Gewalt erleiden, der die Hungrigen speist und die Gefangenen befreit, die Niedergeschlagenen aufrichtet, die Fremden behütet, Witwen und Waisen erhält. Er ist einer, der den Weg der Gottlosen umkehrt und die kennt, die auf ihn vertrauen und sie aus der Versuchung errettet, er hört das Seufzen der Gefangenen. Auf diesen sollen wir sehen und ihm im Gebet anlaufen.
Zwar will das sündige Menschsein den Menschen bereden, dass Gott fern und weit weg von sei. aber das Wort des Apostels Paulus soll uns gewisser sein als unser Gefühl. Er sagt: Der Herr ist nahe, darum sorgt euch nicht. Und je betrübter und verlassener der Mensch ist, desto näher begibt sich Gott zu ihm. Denn ob er auch weit oben sitzt, so sieht er doch auf das Niedrige im Himmel und auf Erden (Jes 57). Deshalb sagen wir: Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte mich fürchten? Der Herr ist meine Lebenskraft, vor wem sollte es mich grauen? Ich fürchte mich nicht, liege und schlafe ganz im Frieden, denn allein du Herr, hilfst mir. Meine Seele ist still bei Gott, denn er ist mein Hort, meine hilfe, mein Schutz (Ps 3.31.62).
Solchen seligen Frieden im Gewissen hat uns der Friedefürst Jesus Christus erworben. Dieser Friede ist höher und stärker als alle Vernunft. Dieser Friede ist eine Frucht der Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt. Dieser Frieden ist ein immerwährendes Wohlleben, eine göttliche Pfingstweide, da die Selle in den Gütern Gottes grast. Wenn solcher Friede überhand hat, schaut die Seele selbst in das ewige Leben hinein und schmeckt und erfährt, wie freundlich der Herr ist.
Solchen Frieden, den die Welt nicht geben kann, verleihe uns der allmächtige Gott allezeit, damit in demselben unsere Herzen und Sinne bewahrt werden in Christus Jesus.“
(gekürzt und sprachlich angepasst) aus: Ägidius Hunnius, Postilla oder Auslegung der sonntäglichen Episteln von Advent bis auf Ostern. Wittenberg 1612
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