Gott und die Krankheit – Wie umgehen mit Krankheit, Leid und Tod?

[Mit einem kritischen Nachtrag: Zum Wort der Kirchen zur Corona-Krise am Ende des Artikels]

Dieses Kratzen im Hals, der trockene Husten und die triefende Nase – ist das vielleicht Corona?! Nein, vermutlich nicht. Nur eine saisonale Grippe oder Erkältung. Was aber, wenn doch? Was, wenn ich gar einer von denen bin, bei denen die Krankheit eine schwere Verlaufsform nimmt? Wie habe ich mich als Christ dazu zu verhalten? Soll ich mich gottergeben in mein Schicksal fügen oder bis zuletzt gegen die gottfeindliche Macht der Krankheit anbeten und anglauben? Die Antwort auf diese Fragen hängt davon ab, wie man die Phänomene Krankheit und Tod im Gesamtgefüge der Schöpfung verortet.

Makroperspektive: Warum Krankheit und Tod?

„Und Gott sah, dass es gut war“, so heißt es refrainartig immer wieder im ersten Schöpfungsbericht der Genesis. Die Vorstellung dahinter: Ein guter und heiliger Schöpfer, der selbst Liebe und Licht ohne Finsternis ist, ist uns und aller Kreatur zur Quelle des Lebens geworden (Ps 36,10). Durch sein mächtiges Schöpferwort hat er uns ins Werk gesetzt und zur Gemeinschaft mit sich bestimmt. Der urständliche Mensch: Dazu geschaffen, als Priester und Gottesbild im Tempel der Schöpfung Dienst zu tun, als „angewinkelter Spiegel“ (N.T. Wright) die Herrlichkeit Gottes in die Schöpfung zu projizieren und das Lob aller Kreatur beständig zu ihm zurückzuwerfen (vgl. Ps 148). Solange der Mensch in dieser Lebens- und Liebesgemeinschaft mit Gott, „der allein Unsterblichkeit hat“ (1 Tim 6,16), verblieb, hatte er Anteil an der Unvergänglichkeit des Schöpfers. Krankheit und Tod – zumindest in dem Sinne, wie wir sie heute zu erleiden haben –, waren ihm fremd. „Denn“, so heißt es im apokryphen Buch der Weisheit, „Gott hat den Tod nicht gemacht und hat kein Gefallen am Untergang der Lebenden; sondern er hat alles geschaffen, dass es Bestand haben sollte“ (Weish 1,13).

Wie genau es war, dieses der Sünde und dem Tod vorausliegende paradiesische Vorher? Wir wissen es nicht. Der lutherische Theologe Hermann Sasse schreibt: „Kein menschliches Gedächtnis geht zurück in die geheimnisvollen Anfänge vor dem Fall. Keine Prähistorie, keine Paläontologie kann jemals Ort und Zeit entdecken, wo Gott den Menschen schuf und dieser Mensch gegen seinen Schöpfer revoltierte. Wir kennen den Menschen nur nach dem Fall.“ Und eben dieser Sündenfall ist die katastrophale Wende: „Aber durch des Teufels Neid ist der Tod in die Welt gekommen, und es müssen ihn erfahren, die ihm angehören“ (Weish 2,24.25). Von nun an gilt: Die Menschen sind „Kinder des Zorns von Natur“ (Eph 2,3), „tot durch (…) Übertretungen und Sünden“ (Eph 2,1) und – weil der Tod der Sünde Sold ist! (Röm 6,23) – eben auch dem Todes- und Krankheitsschicksal verfallen. Es ist dies der Fluch, die göttlich verhängte Strafe über die Schöpfung (vgl. Röm 8,20). Ihr gottesebenbildlicher Repräsentant, der Mensch, ist gefallen – und mit ihm der gesamte Kosmos.

Natürlich steht hier sofort die Frage im Raum: Wie konnte es dazu kommen? Wie konnte in einer guten Schöpfung das Böse entstehen, wie konnten Lüge, Neid und Sünde in einer vollkommenen Welt ihre Häupter erheben? Zumal es doch heißt, dass Gott „alles wirkt, nach dem Ratschluss seines Willens“ (Eph 1,11) und sich nichts seiner Kontrolle entzieht. Der Genfer Reformator Johannes Calvin zieht diese Linie der göttlichen Souveränität zu Ende aus und kommt in seiner Institutio zu folgendem Ergebnis: „Gott hat den Fall des ersten Menschen und in ihm das Verderben seiner Nachfahren nicht bloß vorhergesehen, sondern auch nach seinem Gutdünken angeordnet.“ Das lutherische Bekenntnis ist hier vorsichtiger, schreckt gewissermaßen bewusst vor der letzten logischen Konsequenz aus der All- und Alleinwirksamkeit Gottes zurück. In der Confessio Augustana heißt es über die Ursache der Sünde:

„[W]iewohl Gott der Allmächtige die ganze Natur geschaffen hat und erhält, so bewirkt doch der verkehrte Wille in allen Bösen und Verächtern Gottes die Sünde, wie es denn der Wille des Teufels und aller Gottlosen ist, der sich, sobald Gott seine Hand abzog, von Gott weg dem Argen zugewandt hat.“ (Artikel 19)

Woher er kommt, dieser „verkehrte Wille“, dazu schweigt das Bekenntnis. Man mag dieses Schweigen für inkonsequent, ja feige halten – aber letztlich entspricht diese selbstauferlegte Stille dem Schweigen der Heiligen Schrift. Dietrich Bonhoeffer schreibt in seiner Auslegung der ersten vier Kapitel der Genesis: „Die Bibel will nicht über den Ursprung des Bösen Auskunft geben, sondern von seinem Charakter als Schuld und als unendliche Belastung des Menschen zeugen.“ Damit sollen der Sündenfall, die Erbsünde und der böse Widersacher freilich weder geleugnet noch verharmlost werden. Wir sollten uns nur eingestehen, dass wir im Letzten nicht wissen, wie ein ursprünglich gutes Geschöpf zum Durcheinanderwerfer der Schöpfung Gottes pervertieren konnte (übrigens auch dann nicht, wenn wir die Verse Jesaja 14,12-14 mit der mittelalterlichen Tradition als Beschreibung des Engelfalls deuten). Das Wie dieser Vorgänge entzieht sich uns. Dass es sich hingegen so verhält, das lehren uns Schrift und Erfahrung. Denn Krankheit und Tod sitzen uns seit diesem großen, prähistorischen Durcheinandergewerfe im Nacken. Oder kosmisch gesprochen: „Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit“ (Röm 8,20). Wie wir mit dieser Vergänglichkeit und unserer Anfälligkeit für Krankheiten als Christenmenschen umzugehen haben, das wollen wir im nächsten Schritt betrachten.

Mikroperspektive: Wie umgehen mit Krankheit und Tod im eigenen Leben?

In seinem Roman Nemesis beschreibt der amerikanischen Schriftsteller Philip Roth (gest. 2018) das Auftreten einer Polioepidemie im Newark der 40er Jahre. Er lässt darin seinen Protagonisten, den Lehrer Mr. Cantor, an der jüdischen Totenklage für einen verstorbenen Schüler teilnehmen. Dabei heißt es:

„Sie beteten mit dem Rabbi die Totenklage, wobei sie Gott wiederholt für Seine Allmacht priesen. Sie sparten nicht mit Lob für einen Gott, der dem Tod erlaubte, alles – auch Kinder – zu zerstören. Zwischen dem Tod von Alan Michaels und dem gemeinsam zum Preis Gottes gesprochenen Kaddisch hatte Alans Familie kaum mehr als vierundzwanzig Stunden Zeit gehabt, Gott für das, was Er getan hatte, zu hassen und zu verabscheuen. Doch vermutlich waren sie gar nicht auf den Gedanken gekommen, sie dürften derlei tun, jedenfalls nicht ohne Gottes Zorn und als Strafe den Tod ihrer anderen beiden Söhne herabzubeschwören.“

Das, was Er getan hatte. Ist es theologisch korrekt, Gott solchermaßen für individuell erfahrenes Leid, für Krankheit und Tod verantwortlich zu machen? Gewissermaßen schon. Auch Hiob sagt ja nach dem Verlust seines Besitzes und dem Tod seiner Kinder: „Der HERR hat’s gegeben, der HERR hat’s genommen; der Name des HERRN sei gelobt!“ Und wie um einem Einwand zuvor zukommen, fügt der Autor des inspirierten Textes sofort hinzu: „In diesem allen sündigte Hiob nicht und tat nichts Törichtes wider Gott“ (Hiob 1,21.22; vgl. 2,10). Und in anderem Kontext lässt Gott seinen Propheten Amos ausrufen: „Geschieht etwa ein Unglück in der Stadt, und der HERR hat es nicht getan?“ (Am 3,6). Es handelt sich um eine rhetorische Frage. Die Antwort darauf können wir uns vom Propheten Jesaja geben lassen: „Ich bin der HERR, und sonst keiner mehr, der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe Unheil. Ich bin der HERR, der dies alles tut“ (Jes 45,6.7). Mit anderen Worten: Uns stößt nichts zu – auch keine Krankheit! –, es sei denn, Gott will es. So gesehen lautet die Antwort auf unsere Frage: Ja, es ist korrekt: Er hat es getan.

Aber dann gibt es da noch die andere Perspektive, die oben bereits anklang und die Dietrich Bonhoeffer 1941 in einem „Aufsatz für die Bädermission“ einmal so ins Wort brachte:

„Mitten in der herrlichen Natur sehen wir, wie ein gelähmtes Kind im Rollstuhl gefahren wird. Wer noch ein Herz hat, das nicht völlig stumpf geworden ist für den Nächsten, dem wird es im Augenblick klar, daß hier etwas in unserer Welt nicht in Ordnung ist, daß die Welt, in der dieses Bild der Qual und der Trauer möglich ist, nicht die ursprüngliche Schöpfung Gottes ist. Hier ist etwas Widergöttliches in die Welt eingebrochen. Die Welt ist von ihrem Ursprung abgefallen, zerstörende Mächte haben in ihr Gewalt gewonnen.“

Was denn nun?! Gott oder widergöttliche Mächte? Gott oder der Teufel? Wer schlägt uns nun mit Krankheit und Tod? Die überraschende Antwort der Schrift: Beide zugleich! Oder besser: Gott durch den Teufel! Das mutet zunächst blasphemisch an, ist es aber keineswegs. Denn während der Satan zuschlägt, um zu zerstören, Verzweiflung zu verbreiten und die Ehre Gottes zu schmälern, lässt Gott ihn soweit gewähren, wie es seinen guten Absichten entspricht. Gott, der die Sünde hasst und die Krankheit und den Tod ursprünglich nicht gewollt hat, verwendet in dieser fallsgestaltigen Welt – sozusagen sub conditione lapsus – auch Sünde, Krankheit und Tod, um mit seinen heiligen und makellosen Plänen zum Ziele zu kommen. Hierfür ein Beispiel. Der Apostel Paulus berichtet der Gemeinde in Korinth:

„[D]amit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche. Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne.“ (2 Kor 12,7-9)

Wir wissen nicht, mit was für einem Leiden der Apostel zu kämpfen hatte. Viel faszinierender, als über die Art der Anfechtung zu spekulieren, ist jedoch zu betrachten, wie der Apostel damit umging. Zum einen ist klar: Paulus führt sein Leiden auf das direkte Wirken böser Mächte zurück (Satans Engel; vgl. Lk 13,16). Zugleich spricht er aber davon, dass ihm dieser Pfahl ins Fleisch gegeben sei, und zwar, damit er sich ob der empfangenen Offenbarungen nicht überhebe. Mit anderen Worten: Dass der Satansengel ihn schlägt und ihn so von Zeit zu Zeit an seine eigene Schwachheit erinnert, ist der gute Wille Gottes! Gott und der Teufel wollen dasselbe – jedoch aus grundverschiedenen Motiven. Der Teufel will den Apostel zerstören, ihn dazu bringen, sein Apostelamt hinzuschmeißen und Gott zu verfluchen. Aber Gott benutzt den Teufel für sein fremdes Werk (opus alienum), um dadurch seine eigentliche Absicht, das seinem Wesen gemäße Werk (opus proprium) zu verwirklichen. Dieses eigentliche Werk ist das Heil des Paulus, das Heil des Menschen.

Natürlich kann dieses fremde, uneigentliche Werk Gottes auch eine vorherrschende Gerichtsdimension haben: Gott schickt dann Krankheit, Plage, Krieg und Tod, um Sünde und Gottlosigkeit zu strafen (vgl. Dtn 28,21.22; Hab 1,5ff.). Aber selbst solch schreckliches Gerichtshandeln Gottes ist immer auch als Bußruf zu verstehen, heißt es doch: „So wahr ich lebe, spricht Gott der HERR: Ich habe kein Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern dass der Gottlose umkehre von seinem Wege und lebe“ (Hes 33,11). Allein, wer sich diesen und anderen Bußrufen dauerhaft verschließt, der wird ewiglich unter dem Zorn dessen bleiben, der eigentlich die Liebe ist (vgl. 1 Joh 4,8).

Was folgt aus alledem für uns und unseren persönlichen Umgang mit Krankheit, Leid und Tod?

1.) Weil wir wissen, dass Krankheit und Tod nicht dem ursprünglichen Schöpferwillen Gottes entspringen, darum ist es unsere Pflicht, um Heilung zu bitten und um Genesung zu kämpfen. Es gibt das, was der lutherische Theologe Adolf Köberle den „heiligen Protest gegen die Krankheit“ genannt hat. Weil Krankheit und Tod letztlich auf widergöttliches Verhalten am Anfang der Welt zurückzuführen sind, sollen wir den, der spricht „Ich bin der HERR, dein Arzt“ (Ex 15,26), anflehen, uns zu heilen. Und wir dürfen getrost Gebrauch machen von den innerweltlichen Mitteln, die er uns bereitstellt. Im apokryphen Weisheitsbuch Jesus Sirach heißt es: „Mein Kind, wenn du krank bist, sieh nicht darüber hinweg, sondern bitte den Herrn, dann wird er dich gesund machen. (…) Danach lass den Arzt zu dir, denn der Herr hat auch ihn geschaffen; und weise ihn nicht von dir, denn du brauchst ihn“ (Sir 38,9.12). Vergessen wir nicht: Auch Jesus hat zum Zeichen der hereinbrechenden Gottesherrschaft Kranke geheilt. Und der Tod wird uns in der Schrift keineswegs als Freund oder Fährmann präsentiert, sondern als der letzte Feind, der vernichtet werden wird (vgl. 1 Kor 15,26).

2.) Weil wir wissen, dass uns keine Krankheit und kein Unheil widerfährt, es sei denn, Gott will es, darum dürfen wir sie aus seiner Hand entgegennehmen und in seinem Willen zur Ruhe kommen. Dieser Punkt scheint dem unter (1.) Gesagten stracks zu widersprechen. Wie soll ich gegen die Krankheit anbeten und ankämpfen und mich zugleich mit ihr als gottverhängtem Schicksal abfinden? Nun, als Nachfolger Jesu haben wir den zum Vorbild, der im Garten Gethsemane gebetet hat: „Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ (Lk 22,42). Wir können also sehr wohl entsprechend beten: „Vater, mach mich gesund! Aber wenn es dein Wille ist, dass ich krank bin, dann lass mich die Krankheit aus deiner guten Hand entgegennehmen, und hilf, dass sie mir zum Guten dient.“ Zudem ist dem reformierten Theologen Karl Barth Recht zu geben: Auch wenn wir die Krankheit aus Gottes Hand annehmen, „geht [es] nicht um die Kapitulation vor der Krankheit, wohl aber um die Kapitulation vor Gott, der der Herr auch über die Krankheit ist, der dem Menschen auch darin gnädig ist, daß er ihn krank werden läßt.“

3.) Weil wir wissen, dass Gott auch mit dem Verhängen von Krankheit letztlich gute Ziele verfolgt und immer unser Heil im Blick hat, darum dürfen wir auch inmitten von Krankheit und Tod getröstet sein. Der Apostel Paulus schreibt: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind“ (Röm 8,28). Es ist dies ein Vers, der – zu Recht! – mitunter als hart und anspruchsvoll empfunden wird, verlangt er uns Christen doch die Einsicht ab, dass wirklich alles – vom schönsten Augenblick unseres Lebens bis zum schrecklichsten, röchelnden Krebstod unserer Lieben – uns letztlich zum Besten dient. Dabei dürfen wir freilich nicht vergessen, dass es Gott ist, der definiert und weiß, was das Beste für uns ist – und das unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit (sub specie aeternitatis). Natürlich sehnen wir uns nach innerweltlichem Frieden und Gesundheit. Wir sündigen also nicht, wenn wir hier, im Augenblick des unmittelbaren Leidens mit Noomi sagen: „Der Allmächtige hat mir viel Bitteres angetan!“ (Rut 1,20). Davon legen ja auch die vielen Klagepsalmen beredtes Zeugnis ab (z.B. die Psalmen 77 und 88). Nichtsdestotrotz sollten wir früher oder später auch zu der tröstlichen Erkenntnis durchbrechen, dass uns auch das Bittere und Schwere zum Guten dient – nämlich zur Erlangung der ewigen Seligkeit. Denn dann wird es endgültig heißen: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen“ (Offb 21,4).

Nun könnte man all das als tote theologische Theorie abtun. Nützt uns das wirklich etwas, wenn Krankheit uns befällt oder der Sensenmann zum finalen Schlag ansetzt?! Zum Glück ist die Kirchengeschichte voll von Zeugnissen, die beweisen, dass wir es hier nicht bloß mit Theaterdonner zu tun haben. Denken wir z.B. an einen Dietrich Bonhoeffer, der, in Gestapo-Haft sitzend, in seiner Zelle die Verse dichten konnte:

Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern,
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.

Oder an Martin Luther, der, als ihn 1527 schwere Krankheit und Anfechtung niederwarfen, beten konnte:

„Willst Du es so haben, so will ich gerne sterben, allein daß dein heiliger Name gelobt und gepriesen werde, es sei durch mein Leben oder Tod. Wenn’s aber, lieber Gott, möglich wäre, möchte ich noch gern länger leben um Deiner Gottseligen und Auserwählten willen. Ist aber das Stündlein gekommen, so mache es, wie Dir’s gefällt; Du bist ein Herr über Leben und Tod.“

Die Liste beeindruckender Zeugnisse ließe sich beliebig fortsetzen. Aber eines dürfen wir auch dabei nie vergessen: Alle diese Väter und Mütter im Glauben, deren Leben und Sterben wir bewundern, erhielten ihre Kraft nur von dem Einen. Sie alle waren Reben an dem Weinstock, der Jesus Christus heißt. Von ihm sagt die Schrift: „Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit“ (Jes 53,3). Er hätte es nicht sein müssen. Als ewiger Gottessohn hätte er in der Herrlichkeit des Vaters verbleiben können – leib- und leidlos. Aber er wurde Mensch, kam in unser Fleisch, ging in „unser arm Gestalt“. Für uns: „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen“ (Jes 53,4). Nur weil er am Kreuz unseren Tod durchlitt und so den Sold unserer Sünde bezahlt hat, nur darum konnten Paulus, Luther, Bonhoeffer und die vielen großen und kleinen Christenmenschen der vergangenen Jahrhunderte in der Zuversicht leben und sterben, schlussendlich heimzugehen in das ewige und unvergängliche Leben Gottes. Tun wir es ihnen gleich.


Nachtrag: Zum Wort der Kirchen zur Corona-Krise

Am 20.03.2020 veröffentlichten die EKD und die katholische Bischofskonferenz (DBK) ein Gemeinsames Wort der Kirchen zur Corona-Krise, in dem es u.a. heißt:

„Als Christen sind wir der festen Überzeugung: Krankheit ist keine Strafe Gottes – weder für Einzelne, noch für ganze Gesellschaften, Nationen, Kontinente oder gar die ganze Menschheit. Krankheiten gehören zu unserer menschlichen Natur als verwundbare und zerbrechliche Wesen. Dennoch können Krankheiten und Krisen sehr wohl den Glauben an die Weisheit und Güte Gottes und auch an ihn selbst erschüttern. Krankheiten und Krisen stellen uns Menschen vor Fragen, über die wir nicht leicht hinweggehen können. Auch wir Christen sind mit diesen Fragen nach dem Sinn menschlichen Leids konfrontiert und haben keine einfachen Antworten darauf. Die biblische Botschaft und der christliche Erlösungsglaube sagen uns Menschen jedenfalls zu: Gott ist ein Freund des Lebens. Er liebt uns Menschen und leidet mit uns. Gott will das Unheil nicht. Nicht das Unheil hat darum das letzte Wort, sondern das Heil, das uns von Gott verheißen ist.“

Hierzu folgende kritische Anmerkungen:

  • Krankheit kann eine Strafe Gottes sein. Das ist biblisch klar bezeugt. Denken wir z.B. an die Moseschwester und Prophetin Mirjam, die zur Strafe mit temporärem Aussatz belegt wird (Num 12,9.10); oder an Herodes Agrippa, von dem es in der neutestamentlichen Apostelgeschichte heißt: „Alsbald schlug ihn der Engel des Herrn, weil er Gott nicht die Ehre gab. Und von Würmern zerfressen, gab er den Geist auf“ (Apg 12,23). Freilich darf daraus umgekehrt auch nicht geschlossen werden, dass jedwede Erkrankung ihre Ursache immer in einer besonders schweren Sünde des Erkrankten habe (vgl. Joh 9,1-3; Lk 13,1-5).
  • Krankheiten gehören zu unserer gefallenen menschlichen Natur, sie sind also nicht Teil der ursprünglichen, guten Schöpfung Gottes, sondern – wie der Tod – der Sünde Sold. Zu behaupten, ein vollkommen guter Gott habe den urständlichen Menschen krankheitsanfällig und todesverfallen erschaffen, ohne ihn zu bewahren, stellt den Glauben an die Güte und Anteilnahme Gottes auf eine härtere Probe als die biblische Lehre der göttlichen Souveränität. „Siehe, des HERRN Arm ist nicht zu kurz, dass er nicht helfen könnte, und seine Ohren sind nicht taub geworden, sodass er nicht hören könnte, sondern eure Verschuldungen scheiden euch von eurem Gott, und eure Sünden verbergen sein Angesicht vor euch“ (Jes 59,1.2).
  • Gott ist nicht nur ein Freund des Lebens, sondern Herr über Leben und Tod. Im Lobgesang der Hanna heißt es: „Der HERR tötet und macht lebendig, führt ins Totenreich und wieder herauf“ (1 Sam 2,6). Und auch im Buch Deuteronomium lesen wir: „Sehet nun, dass ich’s allein bin und ist kein Gott neben mir! Ich kann töten und lebendig machen, ich kann schlagen und kann heilen, und niemand kann aus meiner Hand reißen“ (Dtn 32,39).
  • Gott will das Unheil nicht um seiner selbst willen, wohl aber als Mittel zum Zweck in einer gefallenen Welt. Deshalb heißt es im Buch des Propheten Jesaja: „Ich bin der HERR, und sonst keiner mehr, der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe Unheil. Ich bin der HERR, der dies alles tut“ (Jes 45,6.7). Die Vorstellung, Gott verhalte sich zum Unheil in der Welt lediglich als mitleidender Beobachter oder solidarischer Teilnehmer ist nicht biblisch. Auch Jesus hat nicht einfach nur mit uns mitgelitten – er hat vielmehr durch sein stellvertretendes Leiden und Sterben den Sold unserer Sünde bezahlt und durch seine Auferstehung „dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht“ (2 Tim 1,10).

Kurzum: Die Stellungnahme der großen Kirchen zur Corona-Krise fällt denkbar einseitig aus. Fast hat es den Eindruck, den unterzeichnenden Kirchenoberen sei mehr daran gelegen, den „lieben Gott“ gegen etwaige Vorwürfe nichtgläubiger Zeitgenossen in Schutz zu nehmen, als daran, den lebendigen Gott zu verkünden und die Menschen in seinem Namen zu Buße und Glauben zu rufen. Hier wird eine echte Gelegenheit zu authentischer evangelischer Verkündigung fahrlässig vertan. Schlimmer noch: Das angebotene Surrogat wird letztlich weder retten noch trösten.

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