Eine Torte ist ein „feiner flacher Kuchen aus Zuckerteig“, sagt zumindest das Grimmsche Wörterbuch, eine absichtlich nicht schmackhaft gebackene Torte gibt es nicht. Aber natürlich sind die Geschmäcker verschieden und – de gustibus non est disputandum – es lohnt sich auch nicht, darüber zu streiten. Fragt man drei Menschen, welches ihre Lieblingstorte sei, so sind drei unterschiedliche Antworten völlig normal. Ob Frucht oder keine Frucht, ob süßer oder herber – zwischen der fünfstöckigen Sahnetorte mit Fondantbelegung und der schlichten Apfeltorte gibt es viele Möglichkeiten. Und ähnlich variantenreich ist das auch bei Christen mit Gesetz und Evangelium: Manche Fragen sich, ob da überhaupt ein großer Unterschied bestehe, schließlich sei beides Gottes Wort. Manche stehen einfach nur auf Evangelium, die reine Erdbeerfüllung ohne alles. Und manche schwören auf das Gesetz, die herbe Stachelbeere. Manche erzählen sogar öffentlich, dass sie auf die Evangeliumstorte stehen, aber was sie sich dann beim Büfett auf den Teller laden ist doch mehr Gesetzesstachelbeere. Oder andersherum. Und das alles wäre vielleicht gar nicht so schlimm – ein netter Geschmack, über den man eben streiten kann – aber immerhin ist es doch ärgerlich, wenn ich beim Bäcker Erdbeertorte bestelle und stattdessen Stachelbeere erhalte. Und damit verlassen wir dieses Bild. Was nämlich bei einem Luxusartikel wie Torte ein wenig ärgerlich sein mag, sich aber ohne Probleme überleben lässt, ist im Glauben nicht so einfach beiseitezuschieben. Gesetz und Evangelium, oder Gesetz oder Evangelium? Soll der Prediger nur davon reden, dass wir alle schon irgendwie erlöst sind und in den Himmel kommen, oder soll er der Gemeinde richtig einheizen, alle Sünden vorhalten und die Pforte zum Himmel schmaler als ein Nadelöhr machen? Das ist vielleicht die eine, auffälligste, und bekannteste Seite von Gesetz und Evangelium. Denn solche (Zerr?)Bilder von Predigern kennt und hat jeder, selbst Kirchenferne. Das entscheidende ist ja, was ich selbst glaube. Bin ich, einfach weil ich bin, von Gott geliebt, weil Gott sowieso nur Liebe ist, oder muss ich täglich rackern und zittern, und werde doch in die Hölle kommen? Wäre doch gut, in dieser Frage Orientierung zu erhalten.
Wie gut, dass sich der fünfte Artikel der Konkordienformel genau damit beschäftigt, nämlich mit „Gesetz und Evangelium“. Und das schöne ist: Er tut es nicht als irgendeine akademische Diskussion, sondern bezieht sich ganz konkret auf die Verkündigung in der Gemeinde. Die Frage, die im Artikel behandelt wird, lautet nämlich: Ob die Predigt des Evangeliums allein eine Gnadenpredigt sein soll, die allein Vergebung der Sünden verkündigt, oder ob sie auch eine Bußpredigt sein soll, welche den Unglauben zurechtweist.
Was lehrt nun die Konkordienformel, und mit ihr die lutherische Kirche?
1. Die Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium soll in der Kirche deutlich gelehrt werden. Denn diese Unterscheidung teilt das Wort Gottes nach Paulus richtig auf.
2. Das Gesetz ist eine göttliche Lehre, welche lehrt, was recht und gottgefällig ist, und alles verurteilt, was Sünde und Gottes Willen zuwider ist.
3. Deshalb gehört alles, was die Sünde verurteilt, zur Predigt des Gesetzes.
4. Das Evangelium lehrt, was der Mensch glauben soll, der das Gesetz nicht gehalten hat und durch dasselbe verdammt wird. Er soll nämlich glauben, dass Christus alle Sünden gebüßt und bezahlt hat und dem Glaubenden ohne alle sein Verdienste Vergebung der Sünden, Gerechtigkeit, die vor Gott gilt und das ewige Leben erlangt und erworben hat.
Das Wort „Evangelium“ kann aber in unterschiedlicher Weise gebraucht werden.
5. Unter dem Wort „Evangelium“ kann die ganze Lehre Christi, die er in seinem Lehramt geführt und die seine Apostel gebraucht haben, verstanden werden. Dann ist es richtig, wenn gesagt wird, dass das Evangelium eine Predigt von der Buße und Vergebung der Sünden ist. So wird „Evangelium“ in Mk 1 und Apg 20 gebraucht.
6. Es können aber auch Gesetz und Evangelium, oder Moses als Gesetzeslehrer und Christus als ein Prediger des Evangeliums gegeneinander gehalten werden. Dann ist es richtig, wenn gesagt wird, dass das Evangelium keine Bußpredigt, sondern nichts anderes als eine Trostpredigt und fröhliche Botschaft ist. Diese weist nicht zurecht und schreckt nicht, sondern tröstet wider den Schrecken des Gesetzes die Gewissen. Sie weist allein auf das Verdienst Christi hin und richtet mit der Predigt von der Gnade und Huld Gottes, wieder auf.
7. Das Gesetz offenbart die Sünde. Das geschieht aber erst durch die geistliche Auslegung des Gesetzes durch Christus (Mt 5, Röm 7). Dadurch wird Gottes Zorn vom Himmel herab über alle Sünder geoffenbart. Christus zeigt, wie groß derselbe ist. Er weist uns in das Gesetz. Aus demselben lernen wir erst recht unsere Sünde zu erkennen. Diese Erkenntnis ist ohne Christus (nur mit dem Alten Testament) nicht möglich.
Somit ist die Predigt vom Leiden und Sterben Christi, des Sohnes Gottes, eine ernste und schreckliche Predigt. Sie zeigt uns Gottes Zorns an. Dadurch werden die Hörer der Predigt erst recht in das Gesetz geführtund sie erkennen erst recht, welch große Dinge Gott im Gesetz von uns verlangt. Wir erkennen, dass wir keine davon halten können und deshalb alle unsere Gerechtigkeit in Christus suchen müssen:
8. Solange aber die Rede von Christi Leiden und Sterben den Zorn Gottes predigt und den Menschen erschreckt, ist es noch nicht die eigentliche Predigt des Evangeliums. Es ist stattdessen eine Gesetzespredigt und somit ein fremdes Werk Christi, durch das er zu seinem eigentlichen Amt kommt. Dieses eigentliche Amt ist es, Gnade zu predigen, zu trösten und lebendig zu machen. Das ist die eigentliche Evangeliumspredigt.
Das ist das Richtige. Wie geht man aber falsch mit Gesetz und Evangelium um?
9. Die Verwerfung lautet: Es ist unrecht und schädlich, wenn gelehrt wird, dass das Evangelium eigentlich eine Bußpredigt sein muss und nicht allein eine Gnadenpredigt ist. Denn dadurch wird das Evangelium wieder zu einer Gesetzeslehre gemacht und das Verdienst Christi und die Heilige Schrift verdunkelt. Die Christen werden ihres Trostes beraubt und schließlich: Dadurch wird dem Papsttum die Tür wieder aufgemacht.
Es ist also beides nötig. Die Gesetzespredigt, die uns lehrt, „was recht und gottgefällig ist, und alles verurteilt, was Sünde und Gottes Willen zuwider ist“. Und damit immer, dass das Gute wirklich gut ist und das Schlechte wirklich schlecht, wir selbst aber diese tödliche Tendenz zum Schlechten haben und all unsere eigenen Anstrengungen dagegen nichts ausrichten. Und die Evangeliumspredigt, die uns zeigt, dass wir es gar nicht schaffen müssen und allein auf Christus vertrauen dürfen und dieses Vertrauen auf Christus, sein Werk und seine Versprechen, nicht enttäuscht wird.
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