Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst.
Kaum ein Vers ist so bekannt unter evangelikal geprägten Christen wie Jak 1, 22, wenn es um die Frage geht, wie Glaube und Werke zusammenhängen. Und gern wird der Vers als Gegenargument gegen Luthers „sola gratia“ angebracht. Nun, manchmal nicht direkt gegen Luther, den ja doch irgendwie alle gut finden, aber gegen die Lehre der Lutherischen Kirche, Nur Glauben, nur die Predigt hören, das reiche auf keinen Fall aus. Die Betonung von Röm. 3, 28, „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“, nun, das habe Luther predigen müssen, weil die Menschen noch durch die Werkgerechtigkeit der römischen Kirche geprägt gewesen seien. Aber heute hätten sich die Zeichen umgedreht. Das viele Gerede von „allein Glauben“ hätte alle ganz seicht und lau gemacht. Jetzt sei nicht mehr so wichtig, das Gewicht auf den Glauben zu legen, das wüssten eh alle Kirchgänger – sondern auf die Werke.
Wie gut, dass die Konkordienformel in ihrem vierten Artikel, „Von den Guten Werken“, genau dieses Problem thematisiert. Sie zeigt damit erstens, dass diese Fragen, die angeblich ein Problem ‚“unserer Zeit“ wären, gar nicht so jung sind. Und sie bringt zweitens die Dinge in eine Ordnung, hilft zum Beispiel, das Verhältnis von Jak 1 und Röm 3 besser zu verstehen.
Die Ausgangsfragen in der Konkordienformel klingen deshalb auch merkwürdig vertraut:
- Ein Streit sei in zwei Positionen zu skizzieren. Meinung 1 laute: „Gute Werke sind nötig zur Seligkeit; es ist unmöglich, ohne gute Werke selig zu werden“; Meinung 2 dagegen: „Gute Werke sind schädlich zur Seligkeit.“
- Der zweite Streit sei entstanden über die Frage, ob der neue Gehorsam der wiedergeborenen Christen aus Not und Zwang, oder aus freiwilligem Geist herausfließe.
- Daraus folgend sei die Frage entstanden, ob man unter Christen das Gesetz nicht predigen, sondern nur mit dem Evangelium die Leute ermahnen solle, oder nicht.
Wie wir feststellen, sind die Fragen, auch wenn die Formulierungen etwas ungewohnt erscheinen mögen, genau dieselben, wie in den oben skizzierten Verhältnissen: Soll die Predigt allein von der Gnade Gottes handeln, oder soll sie den Leuten die Hölle heiß machen? Wie gehören Rechtfertigung und Heiligung zusammen?
Was lehrt nun die Konkordienformel und mit ihr die lutherische Kirche zu diesen Fragen?
- Gute Werke folgen einem wahrhaftigen Glauben nach. Daran gibt es keinen Zweifel. Es ist wie in dem biblischen Bild (Jer 17,8; Mt 7,17): Ein guter Baum bekommt auch gute Früchte – ist der Baum nicht krank, sind auch die Früchte nicht krank.
- Dennoch sind die guten Werke, wenn man nach Seligkeit und Rechtfertigung vor Gott fragt, völlig irrelevant (Röm 4,6-8). Allein aus Gnade sind wir selig geworden. Es ist allein das Handeln Gottes. Wir haben daran gar keinen Anteil (Eph 2, 8.9).
- Allerdings sind alle Menschen und besonders die im Glauben wiedergeborenen dazu aufgefordert, gute Werke zu tun. Der neue Gehorsam des Glaubens ist nötig (Lk 17,10). Er ist allerdings nichts, was aus Zwang getan wird, sondern entsteht aus Freiwilligkeit (Röm 7 & 8).
- Freiwilligkeit bedeutet nicht Willkür. Christen tun gute Werke nicht nach Belieben. Der Glaube wird nicht behalten, wenn man vorsätzlich in Sünden verharrt. Denn der Freigewordene tut das Gute nicht aus Furcht vor Strafe (dann wäre er ein Knecht), sondern aus Liebe zur Gerechtigkeit (wie ein Kind) – Röm 8, 14ff.
- Doch bleibt das Kindsein der Christen ein unvollständiges, schwaches, fehlerhaftes (Röm 7; Gal 5)
- Doch diese Schwachheit wird uns Gott nicht vorwerfen, weil Christus unsere Schwachheit getragen hat (Röm 8, 1).
- Denn nicht unsere Werke, sondern allein der Geist Gottes erhält den Glauben und die Seligkeit in uns durch den Glauben. Die Guten Werke bezeugen nur, dass der Geist gegenwärtig ist.
So viel zur Grundlegung. Was heißt das im Umkehrschluss? Was ist ein falsches Verständnis von den Guten Werken?
- Falsch ist die Behauptung, Gute Werke seien zur Erlangung der Seligkeit nötig und kein Mensch sei jemals ohne gute Werke selig geworden und es sei unmöglich, ohne gute Werke selig zu werden.
- Falsch ist aber auch die Behauptung, dass Gute Werke schädlich für die Seligkeit wären. Denn es ist besonders in diesen Zeiten nötig, dass man die Gläubigen zu einem christlichen Verhalten ermahnt und an die Mahnungen der Schrift erinnert. Auch ist es nötig, dass Christen sich in den guten Werken üben, womit sie Dankbarkeit gegen Gott zeigen. Gleichzeitig ist es besonders in diesen Zeiten nötig, dass man nicht Werke und Rechtfertigung vermengt. Denn sonst werden die Gläubigen dazu verleitet, auf ihre eigenen Werke und Verdienste zu vertrauen.
- Falsch ist auch die Behauptung, dass die Gläubigen, egal wie sie leben, ihren Glauben niemals verlieren könnten, auch wenn sie mutwillig weiter in Sünde leben.
Soweit die Konkordienformel. Interessant, dass die beiden Punkte, die als „besonders in diesen Zeiten nötig“ auch heute noch die Punkte der Auseinandersetzung innerhalb christlicher Gemeinden sind. Der Zwiespalt zwischen der Einsicht, dass allein Gott uns erlöst, allein durch das, was Christus für uns getan hat, und der Einsicht, dass der Glaube das Leben verändert, ist im täglichen Leben auch knapp 450 Jahre später nicht vom Tisch gewischt. So habe wir auch hier wieder die Situation, dass die lutherische Lehre uns komplexe Fragen nicht künstlich vereinfacht. Wenn etwas gleichzeitig wahr ist, was gegensätzlich scheint, dann wird das nicht glattgebügelt. Sollen also Gute Werke, also das Gesetz, gepredigt werden? Ja. Soll auch die Gnade ohne alle Werke gepredigt werden? Jawohl!
Bildquelle: By Lucas Cranach the Younger and workshop – Metropolitan Museum of Art, online collection (The Met object ID 436034), Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=30716980