Sollen Christen Flüchtlinge retten und wenn ja wie viele?

In der Zeitung „Die Zeit“ ist vor Tagen ein Beitrag der Politikwissenschaftlerin Antje Schrupp erschienen, der die Frage nach der christlichen Ethik in Bezug auf Seenotrettung stellt. Ihre Beobachtung: Die Parteien, die das Christliche im Namen tragen, würden sich nicht christlich verhalten, weil christliche Nächstenliebe bedeute, alle Menschen retten zu sollen. Dagegen sei es nicht spezifisch christlich, viele Menschen retten zu wollen: „Man braucht keine christlichen Werte, um zu wissen, dass man in Moria helfen muss.“ Das besondere, der Eigenpunkt des christlichen Glaubens sei es vielmehr, bedingungslos helfen zu wollen: „Als Christinnen und Christen müssen wir nicht viele Menschen retten, oder solche, die in besonders schrecklichem Elend sind, sondern alle – sofern es uns irgend möglich ist.“ Zu dieser Überzeugung kommt sie mit Blick auf Mt 25. Denn niemand sage, dass die dort Verurteilten nicht anderen Menschen geholfen hätten, sie hätten nur nicht „jederzeit allen Bedürftigen geholfen – und das reicht schon für die Hölle, jedenfalls laut Matthäus.“ Mit diesen Worten endet dann dieser Argumentationsgang und es wird anschließend nett illustriert, dass solch eine Haltung weder pragmatisch, noch unbedingt vernünftig ist, sondern eben „den Griechen eine Torheit“ sei. Das ist bedauerlich. Denn Abgesehen von der Frage, warum hier die Hölle auf einmal eine Relevanz haben soll, wenn Personen wir Schrupp die Existenz derselben sonst doch als vorsintflutliche Idee ablehnen – die Ausführungen hören zu früh auf.

Was Schrupp schreibt, ist ja gar nicht mal so ganz falsch (wenn auch da schon ein wenig verkürzt und einseitig – geht es hier doch zum Beispiel nicht um die Entscheidung des Einzelnen, sondern um die Entscheidungen, die unser Gemeinwesen treffen muss) – es ist bloß wie eine Pizza, die zwar in den Ofen gestellt wird, dann aber statt bei 200° bei Licht „gebacken“ wird. Es bleibt unfertig. In dieser Lesart ist Gott nichts weiter als ein grausamer Buchhalter: Auf der Soll-Seite steht dann „jederzeit allen Bedürftigen helfen“; auf der Haben-Seite steht vielleicht, wenn es gut kommt: „hat sich stets bemüht“. Denn das ist ja die Realität! Wer ehrlich mit sich selbst ist, muss eingestehen, dass er Fehler macht, nachlässig, egoistisch oder einfach erschöpft ist. Nichts anderes sagt die Schrift. Die christliche Kirche ist sich dessen bewusst, ist diese Erkenntnis doch Inhalt des Bekenntnisartikels von der Erbsünde und einiger mehr, wir kommen noch darauf. Wer meint, diese Forderung sei erfüllbar, der meint, es sei ausreichend, den Punkt bei der Aufnahme aller Flüchtlinge zu setzen. Aber das stimmt ja nicht. Dann muss man sich nämlich um alle kümmern, alle Krankheiten, alle Einsamen, alle irgendwie Bedürftigen. Zugleich darf man dann nicht irgendwo negative Dinge unterstützen – also zum Beispiel keine Medikamente kaufen, die auf Kosten der Umwelt oder irgendwelcher Menschen gewonnen werden (und ebenso kein Essen, keine Kleidung,…). Nicht nur lässt sich das gar nicht prüfen, es ist hier auch noch nicht Schluss. Denn bis jetzt könnte man ja meinen, „dann ziehe ich eben in den Wald!“. Aber selbst im Wald verbraucht man a) Ressourcen und hilft b) nicht immer und uneingeschränkt. Denn das wäre ja die nächste Konsequenz: Wenn schon helfen, dann bitte keinen Übersehen. Und die letzte Konsequenz ist ebenfalls nicht erfüllbar: Bitte niemandem aus irgendeinem Grund helfen, denn dann ist die Hilfe nicht mehr selbstlos. Nein, das alles muss scheitern, weil wir eben begrenzt sind. Und noch dazu: Wir liegen, ob wir wollen oder nicht, immer Menschen zur Last. Das beginnt mit der Geburt. Und damit erfüllen wir dieses Gebot nicht. Denn, wenn wir zum Buchhalterbild zurückkommen, so gilt eben nicht, dass eine Menge an positiven die negativen aufwiegen könnte, wie bei einer Waage. Stattdessen lautet die Forderung ja: keinen Eintrag auf der negativen Seite haben. Und dann noch: Was gut und was schlecht ist, definiert nicht unser Verstand, sondern Gott. Also viel Spaß bei diesem Ansinnen.

Somit gibt es, das ist unstreitig, keinen Menschen, der die Forderung christlicher Ethik einhalten kann. In Worten des Artikels gesagt: Also ab in die Hölle mit uns. Und natürlich auch: Ab in die Hölle mit dir, Antje Schrupp. Und eben auch: Ab in die Hölle mit mir. Das ist die Konsequenz, das ist der Ausblick, den Schrupp ihren Leserinnen gibt. Zumindest, wenn man da aufhört. Dann muss man feststellen, dass wir es eben nicht leisten können, die Forderungen christlicher Ethik zu erfüllen, niemand. Kein Mensch. Es gibt dann überhaupt nur einen Menschen, der diese Forderungen je erfüllt hat: Jesus Christus. Und solange der im Beitrag nicht vorkommt, bleibt es unvollständig. Also Christus drauf, alles gut? – Nein, dann wäre, um beim Ofenbild zu bleiben, vllt. die Temperatur eingestellt, aber den Ofen immer noch nicht angeschaltet (obwohl wir natürlich betonen müssen, dass das Bild hier nicht besonders gut funktioniert!). Auch nach Christus darf noch nicht Schluss sein. Du hast Christus, jetzt kannst du dich zurücklehnen – das wäre auch unvollständig.

Was die vollständige Antwort ist, finden wir in der Schrift und im Bekenntnis, Thema: Gute Werke. Darum gehts ja hier. Also schauen wir doch in die Konkordienformel, Artikel Vier:

1. Es ist unsere Lehre, Glaube und Bekenntnis, dass gute Werke dem wahrhaftigen Glauben, wenn derselbe nicht ein toter, sondern ein lebendiger Glaube ist, gewiss und ungezweifelt folgen als Früchte eines guten Baumes.

2. Wir glauben, lehren und bekennen auch, dass die guten Werke gleich so wohl, wenn von der Seligkeit gefragt wird, als im Artikel der Rechtfertigung vor Gott gänzlich ausgeschlossen werden sollen, wie der Apostel mit klaren Worten bezeugt, da er geschrieben hat: „Nach welcher Weise auch David sagt, daß die Seligkeit sei allein des Menschen, welchem Gott zurechnet die Gerechtigkeit ohne Zutun der Werke, da er spricht: Selig sind die, welchen ihre Ungerechtigkeit nicht zugerechnet wird“, Röm. 4; und abermals: „Aus Gnaden seid ihr selig worden; Gottes Gabe ist es, nicht aus den Werken, auf daß sich nicht jemand rühme“, Eph. 2.

3. Wir glauben, lehren und bekennen auch, dass alle Menschen, besonders aber die durch den Heiligen Geist wiedergeboren und erneuert [sind], schuldig seien, gute Werke zu tun.

4. In welchem Verstande die Worte: „nötig“, „sollen“ und: „müssen“ recht und christlich auch von den Wiedergebornen gebraucht werden und keinesweges dem Vorbilde gesunder Worte und Reden zuwider sind.

5. Doch soll durch ermeldete Werke „Not“ und: „notwendig“, wenn von den Wiedergebornen geredet [wird], nicht ein Zwang, sondern allein der schuldige Gehorsam verstanden werden, welchen die wahrhaft Gläubigen, soweit sie wiedergeboren, nicht aus Zwang oder Treiben des Gesetzes, sondern aus freiwilligem Geiste leisten, weil sie nicht mehr unter dem Gesetze, sondern unter der Gnade sind, Röm. 7 und 8.

6. Demnach glauben, lehren und bekennen wir auch, wenn gesagt wird: Die Wiedergebornen tun gute Werke aus einem freien Geist, dass solches nicht verstanden werden soll, als ob es in des wiedergebornen Menschen Willkür stehe, Gutes zu tun oder zu lassen, wann er wolle, und gleichwohl den Glauben behalten möge, wenn er in Sünden vorsätzlich verharrt.

7. Welches doch anders nicht verstanden werden soll, denn wie es der Herr Christus und seine Apostel selbst erklären, nämlich von dem freigemachten Geist, das er solches nicht tue aus Furcht der Strafe, wie ein Knecht, sondern aus Liebe zur Gerechtigkeit, wie die Kinder, Röm. 8.

8. Wiewohl diese Freiwilligkeit in den Auserwählten Kindern Gottes nicht vollkommen, sondern mit großer Schwachheit beladen ist, wie St. Paulus über sich selbst klagt Röm. 7, Gal. 5.

9. Welche Schwachheit doch der Her seinen Auserwählten nicht zurechnet um des Hern Christi willen, wie geschrieben steht: „Es ist nun nichts Verdammliches in denen, so in Christo Jeu sind“, Röm. 8.

10. Wir glauben, lehren und bekennen auch, daß den Glauben und die Seligkeit in uns nicht die Werke, sondern allein der Geist Gottes durch den Glauben erhalte, des Gegenwärtigkeit und Einwohnung die guten Werke Zeugen sind.

Also: Die christliche Ethik ist umfassend. Gleichzeitig gilt: Ab in die Hölle, weil wir sie nicht umfassend erfüllt haben, dass ist falsch. Denn, so verwirft die Konkordienformel an selber Stelle:

1. Wir verwerfen und verdammen, wenn gelehrt und geschrieben wird, dass gute Werke zur Seligkeit nötig seien; dass niemand jemals ohne gute Werke selig geworden sei; dass es unmöglich sei, ohne gute Werke selig zu werden.

Ohne das Evangelium ist das Gesetz eben genau das: totbringend, Verzweiflung schaffend. Das Evangelium ist genau deshalb gute Botschaft. Und genau aus dieser guten Botschaft heraus, haben Christen durch Jahrtausende angefangen, zu versuchen dem Anspruch des Gesetzes nicht mehr abzulehnen und Gott von ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Verstand zu lieben und den Nächsten wie sich selbst.

 

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