Es wird Weihnachten, zum sechsten Mal für unseren Blog. Einiges gibt es hier schon zu dem Thema und weil man im Homeoffice schlecht Podcasten kann, heute ein paar Gedanken schriftlich dahingeschludert. Viel hört man heute von Weihnachten, obwohl man an Weihnachten recht wenig hören wird. In einem bischöflichen Grußwort las ich heute von nach oben gerichteten Hälsen und Köpfen, von persönlicher Berührung bei den Worten „Euch ist heute der Heiland geboren“ und, da der Bischof eher dem frommen Lager zuzuordnen ist, war auf drei Seiten tatsächlich auch eine kurze Erwähnung des Faktes, dass „Gott Mensch geworden ist“. Schnell, schnell weg, jedoch, von allen übernatürlichen, weltendurchbrechenden Ideen, hin zu dem: er kam zu uns und macht es für uns netter, um zu zeigen wie dolle lieb er uns hat. Ganz so wie wir sind, der gute Gottibär.
Ich überflog es nur und hatte trotzdem schon das Gefühl, den Mund voller nichtssagender, geschmack– und kraftloser Wolle zu haben.
Ebenfalls, wenn auch kurz, war Adolph von Harless ein Bischof. Zuvor predigte er – ebenso kurz – an der Nikolaikirche in Leipzig. Seine Predigt am 3. Advent 1849 hatte Kolosser 1, 12-15 zur Grundlage:
„Danksagt dem Vater, der uns tüchtig gemacht hat zu dem Erbteil der Heiligen im Licht; welcher uns errettet hat von der Obrigkeit der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines lieben Sohnes, an welchem wir haben die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden; welcher ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor allen Kreaturen.[1]“
Harless‘ Predigt hieß „Die rechte Vorbereitung auf das Fest der Geburt Christi“. Diese rechte Vorbereitung sei, nach den Worten des Apostels, folgendes:
- Die Anbetung dessen, welcher das Ebenbild des unsichtbaren Gottes und der Erstgeborene vor aller Kreatur ist
- Freude unter schmerzlichem Gedenken an den Tod dessen, welcher zum Heil der Welt ein Mensch geboren ward
- Danksagung gegen den, welcher uns durch Geburt und Auferstehung das Reich des göttlichen Lichtes erworben hat.
Hmmmm, irgendwie fehlt der Bezug zum Menschen, oder? Wo ist das warme „Weil Gott in tiefster Nacht erschienen“, das mir sagt, ich muss nicht traurig sein? Doch Gegenwartsbezug hat v. Harless schon, nur etwas anderen:
„[Gedanken der Neugeburt aller Welt durch den Messias, durch göttliches, übernatürliches Handeln sind die rechten Gedanken zum Christfest] und wo sie nicht sind, da ist keine Adventsstimmung, sondern faules, in sich selbst verliebtes, markloses Wesen, ohne Segen der Vergangenheit, ohne Kraft der Gegenwart, ohne Hoffnung der Zukunft. […] Weg mit allen Gedanken der Neugeburt, so sie nicht zugleich sind Anbetung dessen, welcher das Ebenbild des unsichtbaren Gottes und der Erstgeborene vor aller Kreatur ist. O welch eine Nacht liegt in dieser Beziehung auf unseren Tagen der Gegenwart! Alles redet und singt von Neugeburt [oder Fortschritt, Besserung, Gleichberechtigung, Revolution], aber nicht im Namen des Herrn Jesu Christi und in der Anbetung dieses Namens! Neugeboren soll alles werden um uns her, nur nicht zuerst und vor Allem unser eigenes Herz! Gemurrt wird von Allen wider Alles, nur nicht vor Allem wider die eigene Sünde! […] An der Krippe bleiben sie stehen, wie die lastbaren Tiere, deren Zufluchtsstätte der Schauplatz der Geburt Christi war, und sehen in Christo nichts, als den vom Weibe geborenen. Aber auch, wenn sie mit den Weisen des Morgenlandes Gold, Weihrauch und Myrrhen vor die Krippe niederlegten; wenn sie nur an die Geburt eines Erdenkindes dächten, es wäre vergebene Mühe. Und wenn sie allen Lehren des zum Manne gereiften „Meisters“ lauschten und überhörten doch sein Zeugniss: „Ehe Abraham ward, bin ich (Joh. 8,58), so wäre ihr Gehorsam ein vergebliches Werk. […] Er ist der, von welchem es heißt „Durch ihn ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und Unsichtbare – es ist Alles durch ihn und zu ihm geschaffen, und er ist vor Allem und es besteht Alles in ihm“. Weil dem so ist, kann Christus ohne Gotteslästerung zu Philippus sprechen: Philippus, wer mich sieht, der sieht den Vater; und kann an einem anderen Ort verlangen, dass alle ihn ehren sollen, wie sie den Vater ehren; und lässt durch seinen Apostel Paulus uns verkündigen, dass im Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind. Wenn dem so ist, Geliebte, wie wollt ihr gesegnete Adventsgedanken haben, christliche Gedanken der Neugeburt, so sie nicht zugleich sind Anbetung vor dem Erstgeborenen vor allen Kreaturen? Unser Christenname ist nichtig und eine Beleidigung unserer Gotteskindschaft, wenn unser heiliger Name sich nicht gründet auf das Recht der Anbetung des göttlichen Erlösers; unsere Gedanken der Neugeburt sind totgeborene Gedanken, wenn wir uns nicht beugen vor dem alleinigen Erneuerer aller Dinge; unser Festjubel ist Totengeläut für uns, wenn wir wollen entweder gottvergessen unsere Knie vor dem Menschen Jesus beugen, oder unsere Hoffnungen und Freuden ohne Christus abschließen, während Christus spricht: Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, der Erste und der Letzte; Niemand kommt zum Vater, denn durch mich; wer mich hat, der hat den Vater, wer mich nicht hat, der hat auch den Vater nicht. – Ist nun nicht richtig, was ich sagte: Kein Adventsgedanke, kein christlicher Gedanke an Neugeburt, ohne Anbetung Christi des Erstgeborenen vor allen Kreaturen?
II.
Auf diesen Grund hin, den Gottes Wort gelegt hat, kann ich nun auch getrost weiter fortfahren und unseren Textworten gemäß sagen: Die rechte Vorbereitung auf das Fest der Geburt Christi ist ferner nur da, wo sie Freude ist unter schmerzlichem Angedenken; Angedenken an den Tod dessen, welcher zum Heil der Welt ein Mensch geworden ward. Denn daran erinnert uns unser Text, wenn es von Christus heißt: An welchem wir haben die Erlösung durch sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden.
Ich sage also, es ist auch da keine rechte Festzubereitung, wo nicht Freude zugleich ist mit schmerzlichen Angedenken. Denn schon im Allgemeinen, Geliebte, ist ein geheimnisvoll gesegneter Zusammenhang zwischen Gedanken des Leides und der Freude, des Todes und des Lebens, des Untergehens und der Neugeburt. Die Seligkeit aus Gott zieht ja nirgends ein, ohne jene „göttliche Traurigkeit, die zur Seligkeit wirkt eine Reue, die Niemand reut“ (2. Kor 7, 10). Alle Auferstehung Geistes und Leibes findet nicht statt, ohne dass zuvor der alte Mensch in den Tod gegeben werde; und nirgends wird neues Leben aus Gott geboren, das alte sterbe denn zuvor. Das Geheimnis des Lebens versteht darum Niemand, es sei denn, er bedenkt auch den geheimnisvollen Ernst des Todes, wir denn auch das Gebet des Psalms (91) uns lehrt Lebensweisheit aus Todesgedanken schöpfen, wenn es heißt: Herr lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.
Aber noch in ganz anderm Sinne, als in diesem, sage ich, es bereite Niemand in echter Adventsfreude sich auf das Fest des Herrn vor, es sei denn, er bleibe nicht bloß bei der Krippe stehen, sondern trete auch im Geist an das Kreuz des Erstgebornen vor aller Kreatur. Das ist das Geheimnis, welches Juden ein Ärgernis, Helenen eine Torheit ist. Denn wenn wir unsern Tod bedenken, so lernen wir allenfalls mit Moses den Grund verstehen und sprechen zu Gott: Das macht dein Zorn, dass wir so vergehen, und dein Grimm, dass wir so plötzlich dahin müssen; denn unsere Missetat stellst du vor dich, unsere unerkannte Sünde ins Licht vor deinem Angesicht (PS 91, 7f). Aber wie der, durch welchen Alles geschaffen ward, starb uns sündigen Menschen gleich; wie des Todes Bande den umfangen konnten, welchem der Vater gegeben hatte, das Leben zu haben in ihm selber (Jes 5, 26); wie der Sohn, ein Herr und König aller Welt, ein Ende nehmen musste als „den Übeltätern gleich gerechnet“ (Jes 53, 12; Mk 15, 28) – das ist ein Gedanke, der uns entweder wie ein unlösbares Rätsel scheint oder wie ein Rätsel, mit dessen Lösung wir die Fülle der Gottheit dessen leugnen, an dessen Krippe und Kreuz wir anbetend die Knie beugen sollen!
All‘ unsers Unverstands Grund ist aber der, dass wir des Rätsels Lösung in Christus und Gott suchen, statt sie in uns und in der Art und Geschichte des Menschengechlechts zu suchen. Der Menschen Gottentfremdung – sie löst das Rätsel des Kreuzes Christi! Denn mehr als alle Todesgestalt stellt das Kreuz Christi unsere Missetat vor Gott, unsere unerkannte Sünde ins Licht vor Gottes Angesicht und vor unsere eigenen Augen. „Welcher ist um unserer Sünde Willen dahingegeben“ sagt Paulus von Christus (Röm 4, 25). Und wahrlich, wäre die Welt nicht so überaus sündig, es hätte nicht des Opfers bedurft, dass Gott selbst seines eingebornen Sohnes nicht verschonte, um mit diesem Gericht des Kreuzes Christi wider alle Welt zugleich die Welt zu retten. Aber auf dass die unerkannte Sünde aller Welt ins Licht gestellt werde, ließ Gott es geschehen, dass der Hass der Welt den eingebornen Sohn ans Kreuz schlug. Und eben darum, weil Gott mit diesem Kreuz zugleich aller Welt Sünde richten und offenbaren will, so sind bloß wir Toren und Ärgerlichem wenn uns dieses Kreuz eine Torheit oder ein Ärgernis ist; und so lange es so ist, lasst uns auch aufhören, mit Jubel an der Krippe Christi Ehren in seinem Kreuzestod zu schänden. Treten wir aber weg von seiner Krippe an sein Kreuz und weinen um unsere Sünde, dann hat die Adventsfreude heiliges Salz – dann sind unsre Gedanken Gedanken wahrer Neugeburt aus Gott, Gedanken der Freude, wenn auch unter Schmerzen.
III.
Denn es sind Gedanken des Schmerzes zur Genesung, des Leibes zu heiliger Freude der Selbstanklage zum Dankesjubel über Gottes zuvorkommende, erbarmende, gnadenreiche Liebe in Christus. Und darum sind alle Adventsgedanken der Neugeburt wesentlich und vor allem zugleich Gedanken des Dankes, der Danksagung gegen den Herrn, welcher uns durch Geburt, Tod und Auferstehung erworben hat das Reich des göttlichen Lichts. Das auch ist die Meinung fes Apostels, wenn er in unseren Textworten uns zuruft: Danksagt dem Vater, der uns tüchtig gemacht hat zu dem Erbteil der Heiligen im Licht, welcher uns errettet hat von der Obrigkeit der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines lieben Sohnes. Denn solches Alles hat der Vater dadurch gewirkt, dass er, wie derselbe Apostel anderwärts sagt, Christus von den Toten auferweckt hat und hat ihn gesetzt zu seiner Rechten im Himmel und gemacht zum Haupt der Gemeinde auf Erden, deren Glieder auch Ihr seid, einverleibt durch die heilige Taufe, berufen zur Erbschaft der Herrlichkeit aus Gnaden, zur Gemeinschaft des Todes und der Auferstehung Christi, so Ihr bleibt bei dem Kleinod Eurer Berufung in einem Glauben und Anbetung des Einen Herrn, in reuigem Schmerz über Euch und in freudiger Danksagung für das, was Gott in Christus für uns getan hat und tun zu wollen fortwährend bereit ist.
Das rechte Adventslied, das ist jenes alte, auf Gottes Wort gegründete Lied des Paul Speratus, das mit den Worten beginnt: Es ist das Heil uns kommen her aus lauter Güt und Gnade! Wer das weiß, dessen Freude fängt dann allezeit und auch in der Feier dieser Tage an mit lauter Danksagung! Nicht seine Opfer und seine Heiligung rühmt ein solcher, sondern das Opfer, zu welchem Christus sich selbst geheiligt hat durch seine Geburt, und Knechtsgestalt und Erfüllung des Gesetzes, und durch sein Blut, vergossen zu unserer Versöhnung! Nicht unsere Macht preisen wir, die uns errettet habe von der Macht der Finsternis, sondern Christus preisen wir, dass er gekommen ist die Werke des Teufels zu zerstören! Nicht uns nennen wir als Eroberer des Reiches Christi, sondern dem Vater danken wir, dass er aus Gnaden uns versetzt hat in dieses Reich und will aus Gnaden uns durch seine Treue in demselben bewahren! Das sind Adventsgedanken, mit welchen Freude, Friede, Mut und Zuversicht einzieht, da wir gedenken der Neugeburt aus Gott, in welcher er uns tüchtig gemacht hat zum Erbteil der Heiligen im Licht, und sprechen fröhlich und demütig mit den Worten des Psalms 115: Nicht uns, Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre um deiner Gnade und Wahrheit!
Nun, Geliebte, Adventszeit ist auch über uns wieder aufgegangen; vielleicht noch in einem ganz anderen und umfassenderen Sinn des Wortes, als wir etwa zu denken Lust oder Vermögen haben. Doch es ist gleich, was hiervon unseren Gedanken fern oder verborgen sei. Aber was sich unseren Gedanken weder entziehen kann noch darf, das ist die Frage: Ist denn mit der festlichen Zeit auch eine festliche Bewegung der Geister unter den christlichen Völkern? Regen sich unter uns die rechten Adventsgedanken, die Gedanken göttlicher Neugeburt, da wir niederfallen zu den Füßen Jesu und beten an, schlagen an unsere Brust und tun Buße am Kreuz Jesu Christi, stehen auf mit Freuden, und bringen Danksagung gegen die Gaben der Macht und Gnade des Auferstandenen? Meine Geliebten, mir scheint dem nicht so; ich sehe nur hier und da solche Gedanken verstreut wie Lichtblitze an einem nächtlichen Himmel. Und eben darum werde ich gemahnt an einen andern Advent, an die Zukunft eines Andern, von welchem auch die Weissagung der Schrift redet. Und das ist der, welcher kommen wird in der Zeit des Abfalls, und die Schrift nennt ihn den Mensch der Sünden und das Kind des Verderbens, der da ist ein Widerwärtiger, und überhebt sich über alles, das Gott oder Gottesdienst heißt, also, dass er sich setze in den Tempel Gottes, als ein Gott, und gibt vor, er sei Gott (2. Thess 1, 3.4). Der Geist dieses Widerwärtigen ists, der Geist der Selbsterhebung und Selbsterhöhung, der gegenwärtig die Mehrzahl der Geschlechter treibt und bewegt. Aber auch dieses soll uns nicht irremachen in der rechten Adventsfreude. Denn eben von diesem boshaften Geist wird gesagt, dass ihn der Herr ein Ende machen werde durch die Erscheinung seiner Zukunft. So bleiben Adventsgedanken Gedanken der Neugeburt, nur mit dem Unterschied, dass sie den Einen kommen mit Schrecken des Verderbens und Untergangs, den Anderen mit Auferstehungsschauern zu völliger Erlösung. Wohl uns da, Geliebte, so wir zu denen gehören, welche die Erscheinugn des Herrn Christi lieb haben. Denn wer da anbetet den Erstgebornen vor aller Kreatur, wider den vermag keine Kreatur etwas, das Bitt- und Dankgebet zu Jesu Christus, dem Erlöser und Richter der Welt, ist die Arche, die uns wohl tragen mag, wenn die Wasser einer neuen Sintflut hereinbrechen. Darum Geliebte, so danksagt auch ihr am heutigen Tag dem Vater, welcher uns tüchtig gemacht hat zum Erbteil der Heiligen im Licht, welcher uns errettet hat von der Obrigkeit der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines lieben Sohnes, an welchem wir haben die Versöhnung durch sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden, welcher ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Kreatur, dem auch von uns Preis und Ehre gebracht werde von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“
[1] Luther, M. (2001). Die Heilige Schrift nach der deutschen Übersetzung Martin Luthers (Kol 1,12–15). Oak Harbor, WA: Logos Research Systems, Inc.