Am 26. Februar 1890, in seinem Todesjahr und nur wenige Tage vor seinem Tod vollendete der Leipziger lutherische Theologe Franz Delitzsch sein Buch „Messianische Weissagungen in geschichtlicher Folge“. Darin analysierte er die messianischen Prophezeiungen des Alten Testaments und arbeitete so den engen Bezug desselben zu Christus heraus. Zum Andenken an seinen Todestag am 4. März deshalb daraus ein Ausschnitt aus dem Kapitel über Gen 3, die „Urverheißung“. Wir starten beim Urteilsspruch Gottes über Schlange, Frau und Mann (V. 14 folgende):
Gottes nach dem Sündenfalle vernehmlichen Schritte sind seine ersten Schritte zu dem Ziel der Offenbarung im Fleisch (1 Tim. 3,16), welche die Wiederherstellung und Vollendung der Immanenz göttlicher Liebe in der Welt ist.
§ 3. Die Urverheißung.
So sich vergegenwärtigend spricht Gott der Schlange, dem Weibe und Adam, diesen Dreien zusammen als solidarisch Beteiligten ihr Urteil. Die Schlange und in ihr das Geistwesen, dessen Larve sie geworden oder (wenn man die Erzählung mythisch faßt) dessen Bild sie ist, wird mit dem Fluche belegt als die Verführungsmacht, welche die Menschen in Sünde und Tod gestürzt. Und der Erdboden wird mit dem Fluche belegt um Adams willen, indem die Naturwelt, nachdem die Segensbestimmung des Menschen für sie vereitelt ist, in ein Zornmittel gegen ihn gewandelt wird. Adam selbst aber wird nicht verflucht, sondern mitten im Fluche über den Verführer geht dem Menschen die Hoffnung des Sieges in dem Kampfe mit der Macht des Bösen auf. Der Urteilsspruch über die Schlange lautet, nachdem sie zum Wurm im Staube erniedrigt ist, weiter (V. 15): Und Feindschaft werd‘ ich setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen deinem Samen und ihrem Samen. Das Weib als die Erstverführte und die Schlange, welche dem Verführer als Werkzeug gedient, sind hier Repräsentanten ihres ganzen Geschlechts, die göttliche Vergeltung setzt, d. i. begründet zwischen Schlangen- und Menschengeschlecht ein Verhältnis innerlicher und tätlicher Feindschaft.
§4 Die Urverheißung im Lichte der Erfüllung.
Es ist der ganze Erlösungsratschlus als dessen Abriss sich dieses Urverheißungswort gibt, sofern man nur festhält, dass die Schlange als Verführer gemeint ist und dass also der Fluch, der sie trifft, eine auf den Urheber der Verführung zielende Rückseite hat. Die Kopfzertretung und der Fersenstich sind nur Naturbilder dessen, was hinfort den zentralsten Inhalt der Weltgeschichte bildet, Naturbilder des blutigen Kampfes und Sieges der Menschheit über den Teufel und alle die ex tou disbolou (ponerou) sind; denn nachdem mittelst der Verheißung die Macht der Gnade in die Menschheit eingegangen, ist diese in den Fall einer zweiten Selbstentscheidung versetzt, welche dahin ausfallen wird, daß viele aus dem Weibessamen, der die Verheißung hat, sich ausscheiden und auf die Seite des Schlangensamens stellen.
Das Verheißene gilt zwar der Menschheit als Gattung. Da aber die Verheißung auf Sieg über diejenige Schlange lautet, von welcher die Verführung ausgegangen, also auf Sieg über den einen Verführer: so legt sich die Folgerung nahe, dass auch der Weibessame in Einem gipfeln werde, in welchem der Gegensatz sich zur äußersten Spannung verschärfen und das Leiden im Kampfe mit dem Verführer sich aufs höchste steigern und der Sieg in vollendete Ueberwindung für immer enden wird. Auch übrigens ist diese Urverheißung darauf angelegt, sich mit der Erfüllung zu decken; denn Christus der Sohn Marias ist Weibessame in wunderbar einziger Weise (Gal 4,4). Auch die neue Menschheit, die an ihm ihr Haupt hat und durch ihn in Kindschaftsverhältnis zu Gott steht, ist zwar eine vom Weibe geborene, aber inwiefern sie den Satan überwindet, keine vom Manne gezeugte; diese Obmacht ist kein Werk der Natur, sondern eine geistliche Gabe (Joh. 1,12f.). Die ganze Heilsgeschichte und Heilsordnung liegt in diesem Protevangelium eingewickelt. Wie eine Sphinx lagert es am Eingange der heiligen Geschichte. Erst spät beginnt in der israelitischen Prophetie und Chokma die Lösung des Rätsels dieser Sphinx anzudämmern. Gelöst hat es erst der, durch den und an dem sich das, worauf es zielt, erfüllt hat.