Wohl kaum ein Begriff führt bei frommen Christen zu so viel Verwirrung wie „der Glaube“. Wie oft kann man hören, hätte Luther heute gelebt, würde er nicht „allein der Glaube“ gefordert haben, sondern entsprechend Jak 1,22 und 2,24, die Werke nicht zu vergessen. Aber stimmt das überhaupt, dass die Forderung der Reformation ‚Hauptsache Glauben!‘, also ein „Glaube ohne Konsequenzen“ war? Zum Glück gibt es in den lutherischen Bekenntnisschriften dazu einen Absatz, der überschrieben ist mit den Worten „Was der Glaube sei, der vor Gott fromm und gerecht macht„. Da lohnt es sich doch, noch einmal nachzulesen:
„Die Widersacher [Römisch-Katholischen] wollen wähnen, der Glaube sei dieses, dass ich wisse oder gehört habe die Historie von Christo; darum lehren sie, ich könne wohl glauben, ob ich gleich in Todsünden sei. Darum, von dem rechten christlichen Glauben, davon Paulus an allen Orten so oft redet, dass wir durch den Glauben vor Gott fromm werden, da wissen oder reden sie gar nichts von. Denn welche vor Gott heilig und gerecht geachtet werden, die sind je nicht in Todsünden. Darum, der Glaube, welcher vor Gott fromm und gerecht macht, ist nicht allein dieses, dass ich die Historie, wie Christus geboren, gelitten habe usw. weiß (das wissen die Teufel auch). Vielmehr ist es die Gewissheit oder das gewisse, starke Vertrauen im Herzen, da ich mit ganzem Herzen die Zusage Gottes für gewiss und wahr halte, durch welche mir angeboten wird ohne mein Verdienst Vergebung der Sünden, Gnade und alles Heil durch den Mittler Christus. Und damit niemand wähne, es sei allein ein blosses Wissen der Historie, so setze ich das dazu: Der Glaube ist, dass sich mein ganzen Herz desselben Schatzes annimmt, und ist nicht mein Tun, nicht mein Schenken noch Geben, nicht mein Werk oder Bereiten; sondern dass ein Herz sich des tröstet und ganz darauf verlässt, dass Gott uns schenkt, uns gibt, und wir ihm nicht, dass er uns mit allem Schatz der Gnade in Christus überschüttet.
Aus diesem ist leicht zu bemerken der Unterschied zwischen dem Glauben und der Frömmigkeit, die durchs Gesetz kommt. Denn der Glaube ist ein solcher Gottesdienst, da ich mir schenken und geben lasse. Die Gerechtigkeit aber des Gesetzes ist ein solcher Gottesdienst, der da Gott anbietet unserer Werke. So will Gott nun durch den Glauben so geehrt sein, dass wir von ihm empfangen, was er verheißt und anbietet.
Dass aber der Glaube nicht allein meint, die Historie zu wissen, sondern die göttlichen Verheissungen festhält, zeigt Paulus genugsam an. Er sagt dazu: “Derhalben muss die Gerechtigkeit durch den Glauben kommen, auf dass die Verheissung fest bleibe.”(Röm 4,16) Da heftet und verbindet Paulus die zwei also zusammen, dass, wo Verheißung ist, da muss auch Glaube sein usw.; und wiederum, wo Verheißung ist, da fordert Gott auch Glauben. Wiewohl noch klarer und schlechter zu zeigen ist, was der Glaube, der da gerecht macht, sei, wenn wir unser eigen Credo und Glaubensbekenntnis ansehen. Denn im Symbolo steht ja dieser Artikel: Vergebung der Sünden. Darum ist’s nicht genug, dass ich wisse oder glaube, dss Christus geboren ist, gelitten hat, auferstanden ist, wenn wir nicht auch diesen Artikel, darum das alles endlich geschehen, glauben, nämlich: Ich glaube, dass mir die Sünden vergeben seien. Auf den Artikel muss das andere alles gezogen werden, nämlich, dass um Christus’ willen, nicht um meines Verdienstes willen, uns die Sünden vergeben werden. Denn was wäre not, dass Gott Christus für unsere Sünden gäbe, wenn unser Verdienst für unsere Sünden könnte genugtun?
Deshalb, so oft wir reden von dem Glauben, der gerecht macht, so sind allezeit diese drei Stücke beieinander: erstlich, die göttliche Verheißung, zum andern, dass dieselbe umsonst, ohne Verdienst Gnade anbietet, für das dritte, dass Christi Blut und Verdienst der Schatz ist, durch welchen die Sünde bezahlt ist. Die Verheissung wird durch den Glauben empfangen; dass sie aber ohne Verdienst Gnade anbietet, da geht alle unsere Würdigkeit und Verdienst unter und zu Boden, wird gepriesen die Gnade und große Barmherzigkeit. Das Verdienst Christi aber ist der Schatz; denn es muss ja ein Schatz und edles Pfand sein, dadurch die Sünden aller Welt bezahlt sind. Die ganze Schrift, Alten und Neuen Teftaments, wenn sie von Gott und Glauben redet, braucht viel dieses Wortes: Güte, Barmherzigkeit, misericordia. Und die heiligen Väter in allen ihren Büchern sagen alle, dass wir durch Gnade, durch Güte, durch Vergebung selig werden. Sooft wir nun das Wort Barmherzigkeit in der Schrift oder in den Vätern finden, sollen wir wissen, dass da vom Glauben gelehrt wird, der die Verheißung solcher Barmherzigkeit fasst. Wiederum, sooft die Schrift vom Glaube redet, meint sie den Glauben, der auf lauter Gnade baut; denn der Glaube macht nicht darum vor Gott fromm und gerecht, dass er an ihm selbst unser Werk und unser ist, sondern allein darum, dass er die verheißene, angebotenen Gnade ohne Verdienst aus reichem Schatz geschenkt nimmt.
Und solcher Glaube und Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit wird als der größte, heiligste Gottesdienst gepriesen, sonderlich in den Propheten und Psalmen. Denn wiewohl das Gesetz nicht vornehmlich predigt Gnade und Vergebung der Sünden wie das Evangelium, so sind doch die Verheißungen von dem künftigen Christus von einem Patriarchen auf den andern geerbt, und sie haben gewusst, auch geglaubt, dass Gott durch den gebenedeiten Samen, durch Christus, wollte Segen, Gnade, Heil und Trost geben. Darum, so sie verstanden, dass Christus sollte der Schatz sein, dadurch unsere Sünden bezahlt werden, haben sie gewusst, dass unsere Werke eine solche große Schuld nicht bezahlen könnten. Darum haben sie Vergebung der Sünden, Gnade und Heil ohne alles Verdienst empfangen und sind durch den Glauben an die göttliche Verheißung, an das Evangelium von Christus, selig geworden als wohl als wir oder die Heiligen im Neuen Testament. Daher kommt’s, daß diese Worte: Barmherzigkeit, Güte, Glaube, so oft in Psalmen und Propheten wiederholt werden. “So du willst, Herr, achthaben auf Missetat, Herr, wer wird bestehen?”(Ps 130) Da bekennt David seine Sünde, rühmt nicht viel Verdienst, sagt auch weiter: “Denn bei dir ist Vergebung, dass man sich fürchte.” Da fühlt er wieder Trost und verläßt sich auf Gnade und Barmherzigkeit, verläßt sich auf die göttliche Zusage und spricht: “Meine Seele harret des Herrn und ich warte auf sein Wort.” Und abermals: “Meine Seele wartet doch auf den Herrn.” Das ist, dieweil du verheißen hast Vergebung der Sünden, so halte ich mich an die Zusage, so verlasse und wage ich nicht auf die gnädige Verheißung. Darum werden die heiligen Patriarchen vor Gott fromm und heilig auch nicht durchs Gesetz, sondern durch Gottes Zusage und den Glauben. Und sollte wahrlich jedermann sich hoch verwundern, warum die Widersacher [die Römisch-Katholischen] doch so wenig oder gar nichts vom Glauben lehren, so sie doch sehen gar nahe in allen Syllaben der Bibel, dass der Glaube für den allerhöchsten, edelsten, heiligsten, größten, angenehmsten, besten Gottesdienst gelobt und gepriesen wird, Also sagt er in 50. Psalm: “Rufe mich an in der Zeit der Not, und ich will dich erretten.” Auf diese Weise will Gott uns bekannt werden. So will er geehrt sein, daß wir von ihm Gnade, Heil, alles Gute nehmen und empfangen sollen, und nämlich aus Gnaden, nicht um unsers Verdienstes willen. Diese Erkenntnis ist gar eine edle Erkenntnis und ein großmächtiger Trost in allen Anfechtungen, leiblichen und geistlichen, es komme zu sterben oder zu leben, wie fromme Herzen wissen; und denselben edeln, teuren, gewissen Trost rauben und nehmen die Widersacher den armen Gewissen, wenn sie vom Glauben so kalt, so verächtlich reden und lehren und dagegen mit Gott, der hohen Majestät, durch unser elend, bettelisch Werk und Verdienst handeln.“
aus: Apologie der CA, IV.
Die Apologie ordnet damit die Dinge: Der Glaube ist Gewissheit, ist Vertrauen, ist, „dass sich mein ganzen Herz desselben Schatzes annimmt“. Eine solche Annahme ist tatsächlich lebensverändernd. Sie erfordert Konsequenzen. Aber diese Konsequenzen erfolgen nicht, weil ich sie leisten muss aus Angst, sonst nicht zu genügen oder leisten will, um zu zeigen, wie viel ich kann und vermag. Sondern wir nehmen von Gott “ Gnade, Heil [und] alles Gute“ und öffnen unser Herz dafür. Wir machen uns ganz von Gott abhängig. Dieser Glaube ist tatsächlich konsequent, weil er eben nicht mehr aus Angst oder Hochmut entsteht, sondern Gottes Wirken nachvollzieht, es glaubt und ganz darauf baut.