Im Übrigen bin ich der Meinung, dass man auch als konfessioneller Lutheraner für Klimaschutz sein kann

Jahreswechsel sind eine gute Gelegenheit, zurückzuschauen, zu bilanzieren, und nach vorn zu schauen, gute Vorsätze zu fassen. Aber welche guten Vorsätze soll ich fassen? Wo soll ich mich in der Gesellschaft einbringen? Die Lutherische Haltung in der Gesellschaft – darüber hatten wir bereits einmal vorsichtige Überlegungen geäußert, die nicht allen Lesern gefielen. Heute wollen wir nachsetzen. Aber keine Angst, die Themen des ersten Beitrags werden hier keine Rolle spielen, waren sie doch sowieso nur Illustrationen der einen These: Für Lutheraner gibt es keine angestammte politische Haltung, Partei, Gesellschaftsform, die von vornherein und immer die richtige wäre. Ein Lutheraner ist weder Monarchist noch Demokrat, weder obrigkeitshörig noch revolutionär. Zumindest hat die jeweilige Entscheidung zunächst wenig damit zu tun, dass er Lutheraner ist, sie ist lediglich eine Folge davon. Denn wie wir uns Menschen gegenüber verhalten, wie wir also Nächstenliebende sind, das ist immer Folge, nicht Ursache des Glaubens, Folge, nicht Ursache der Gnade, mit der uns Gott angenommen hat, als wir noch Sünder waren. Und diese Nächstenliebe als Folge ist niemals rein. Wir können nicht schuld-, sünd- und fehlerlos durch diese Welt laufen, denn wir sind ja nicht Christus, wir brauchen Christus. Deshalb sind auch unsere politisch-gesellschaftlichen Positionen immer solche, die Fehler aufweisen. Weil wir etwas Wichtiges übersehen, oder weil sich doch ein egoistisches Motiv durchsetzt. Dennoch bleibt es unser Auftrag, dass wir auch als solche, die Christus vom Gesetz befreit hat, das Gesetz trotzdem erfüllen sollen, weil wir uns auch als Rechtgläubige Tag und Nacht im Gesetz üben sollen (Konkordienformel, Vom dritten Gebrauch des Gesetzes). Die Verpflichtung zur Nächstenliebe gilt also (im Wissen, dass wir sie nur unzulänglich erfüllen werden). Unser Verhalten gegenüber anderen soll sich also durch unseren Glauben bestimmen lassen, auch wenn wir weder durch dieses Verhalten näher zu Gott kommen können, noch unser Verhalten jemals völlig dem entsprechen wird, wie es das Ideal vorgibt. Also: Obwohl wir uns genauso Verhalten wie der Schalksknecht in Mt 18, 21-35, sollen wir uns doch gerade darum bemühen, uns nicht so zu verhalten. Das ist das Ideal, an dem wir orientiert bleiben sollen. Die Gnade Gottes lässt uns gnädig sein.

Und da kann man sich ja ganz enfach selbst üerlegen, ob Manchesterkapitalismus oder soziale Marktwirtschaft dieser Gnadenentsprechung besser entsprechen (auch wenn beide das Ideal nie erreichen werden). Ob es diesem Ideal entspricht, mit den Ressourcen der Erde möglichst schonend umzugehen, oder ob das irrelevant ist. Der Vorteil daran, dass all diese Fragen weit komplizierter sind, als die paar Sätze es ausdrücken können, ist: da gibt es gar kein einfaches richtig und falsch. Man muss von Fall zu Fall überlegen. Und hier kommt wieder einer der großen Vorteile des Lutheranersseins ins Spiel: Dass der Lutheraner Lutheraner, dass die Lutheranerin Lutheranerin ist. Denn: Wer weiß, dass er als sündiger Mensch, der zugleich von Gott gerechtfertigt ist, niemals ein völlig gerechter Mensch wird sein können, der weiß auch, dass all sein Tun in diesem Leben immer ein fehlerhaftes Tun bleibt. Lutheraner geben sich also nicht der Illusion hin, sie könnten die Welt retten, und gleichzeitig ist es dennoch ihr Auftrag, Gutes zu tun. Apropos Weltrettung, da kommt gleich ein zweiter Vorteil der Lutheraner hinzu: Lutheraner wissen, diese Welt besteht, solange Gott das möchte, Menschen werden daran nichts ändern können. Wenn also der vor einiger Zeit demonstrierenden Jugend ein Apokalypsewahn, eine Lust am Untergang vorgeworfen wurde, und manche Äußerungen einzelner Demonstranten solches auch nicht als weithergeholten Vorwurf erscheinen ließ(wofür dieselben natürlich Gründe haben – Aufmerksamkeitsökonomie der Medien etc), dann konnten die Lutheraner unter ihnen sich entspannt zurücklehnen – die Welt besteht und vergeht, wie der Herr das will. Und wüssten wir, dass Morgen die Welt unterginge, dann würden wir vor allem anderen aufgerufen sein, auch heute noch einmal das Evangelium von Jesus Christus zu predigen. Wenn es sein muss, sogar mit einem Apfelbaum. Insofern stimmt natürlich auch der Satz, der ebenjenen Klimaapokalyptikern von christlichen Gegnern an den Kopf geschmissen wurde: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ (Allerdings, das sei an dieser Stelle gesagt: Da steht nicht, wo Saat und Ernte sein werden, und ob es Saat und Ernte für alle Menschen geben wird – das „Argument“ ist also auch aus christlicher Sicht kein solides, sondern lediglich schlechter Populismus.) Die Erde wird nicht untergehen. Und doch: So, wie wir uns eben auch darum kümmern, dass es Saat und Ernte gibt, obwohl wir beides nicht in der Hand haben, so kümmern wir uns ja um alles, was unser Leben und Überleben betrifft. Oder essen diese Gläubigen nicht Brot, trinken sie nicht Wasser, decken sie sich nicht zu, wenn ihnen kalt ist? Warum also auch nicht daran beteiligen, dass es ein möglichst Gutes Leben sowohl für die geben kann, die in 50 oder 100 Jahren noch leben werden, bzw. für die, die eben nicht in reichen Industrienationen leben, sondern in den Ländern, die durch dieselben ausgebeutet werden? Natürlich unter dem Gebet, dass der Herr wiederkommt und wir nicht länger warten müssen, klar. Und natürlich auch in dem Wissen, dass Christen verfolgt werden, dass es immer Menschen geben wird, die leiden, klar. Die Beteiligung an Klimademonstrationen ebenso wie an allen anderen Wegen, sinnvolle Lösungen für das Leid von Menschen zu finden, kann also ein ganz natürliches Betätigungsfeld eines Lutheraners sein. Nicht aus Angst, sondern aus Liebe zum Nächsten. „Suchet der Stadt Bestes“ gilt auch hier. Denn es ist nicht unchristlich, wenn Menschen bemerken, dass es Christen aufgrund ihres Glaubens nicht um sich, sondern um der Menschen Wohl geht.

Ebenso ist es aber auch mit allen anderen politischen Handlungsfeldern: Sollte ein Christ sich eher für den Schutz ungeborenen Lebens oder lieber für einen flächendeckenden Mindestlohn einsetzen? Die Frage ist falsch, weil beides wichtig ist. Oder ganz aktuell: Soll ein Christ sich impfen lassen oder gegen Coronamaßnahmen protestieren? – Nun, das kommt drauf an. Er kann sich auf jeden Fall insofern entspannen, dass keine böse Weltregierung auch nur eine Handbreit wirkliche Kontrolle über ihn haben kann – nehmen sie den Leib, lass fahren dahin. Selbst wenn also die schlimmsten Verschwörungstheorien zuträfen, könnte er sich einfach hinsetzen, beten, Gutes tun, fertig. Keine Macht der Welt kann den Christen in seinem Glauben gefangennehmen. Also gilt auch hier, sich weltlich verünftig zu verhalten – so, wie auch sonst die meisten Lutheraner in Deutschland trotz Glauben an das ewige Leben krankenversichert sind, zur Zahnvorsorge gehen und von Kind auf gegen verschiedene Krankheiten geimpft werden. Übrigens haben schon die Lutheraner vor vier- oder fünfhundert Jahren sich bei Epidemien wie Pest und anderen an Quarantänemaßnahmen und ähnlichem beteiligt. Denn es ging ihnen um den Schutz ihres Nächsten, der nicht erkranken sollte. Klar, es kann ein Lutheraner zu dem Schluss kommen, dass Corona eine einzige Lüge sei – das ist, wie gesagt, keine Entscheidung, die aufgrund seines Glaubens geschehen kann. Man wird aus den Bekenntnisschriften und der Bibel keine Lösung ableiten können, welche Seite recht hat. Dazu muss man nachdenken, und sich – wie immer im Leben – auf entsprechende Experten verlassen. Auch die Wahl der Experten kann man nicht vom Glauben ableiten. Aber was aus dem Glauben abzuleiten ist, ist das Ziel des eigenen Verhaltens: Es kann nicht darum gehen, aus Angst, Wut, Protest oder ähnlicher  Überzeugungen zu reagieren. Stattdessen gilt wieder einmal: Nicht aus Angst, sondern aus Liebe zum Nächsten. „Suchet der Stadt Bestes“ gilt auch hier. Denn es ist nicht unchristlich, wenn Menschen bemerken, dass es Christen aufgrund ihres Glaubens nicht um sich, sondern um der Menschen Wohl geht.

Gibt es also gar keine inhaltlichen Vorgaben, an denen ein Christ in den gesellschaftlichen Debatten orientiert bleiben muss? Ist alles ganz egal? – Nun, Nächstenliebe bedeutet schon Klarheit. Es gibt Dinge, die sind nicht verhandelbar. Es gibt Dinge, da ist es völlig richtig, ja, unumgänglich, dass die Kirche sich eindeutig positioniert. Die Bibel kennt das Gebot der Nächstenliebe und etwa die 10 Gebote. Beides kann sehr konkret werden. Bestimmte politische Ansätze, die etwa nur auf das Recht des Stärkeren abheben, sind dem Christen unmöglich. Die rote Linie wird sicherlich immer mal wieder zu verhandeln sein, und sie geht mit Sicherheit quer durch die Linie, die etwa politische Parteien vertreten, hindurch. Aber es gibt Dinge, die sind völlig falsch. Insofern sind Kirchen nicht unbedingt für ihre gesellschaftspolitischen Veröffentlichungen zu kritisieren – sondern nur dafür, wenn in diesen Veröffentlichungen die geäußerte Position nicht aus biblischen und bekenntnisschriftgemäßen Grundlagen abgeleitet wird. Insofern dürfen Kirchenvetreter auf jeden Fall und unbedingt bei „Fridays for Future“ mitlaufen – wenn ihre Begründung mehr ist als nur ein „Teilhaben an gesellschaftlichen Diskussionen“. Denn natürlich können „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ kirchliche Themen sein, auch über das Verständnis von Frieden mit Gott und Gottes Gerechtigkeit hinaus. Oder hast du noch nie Amos gelesen, Liane? Es darf sich eben nicht darin erschöpfen, sondern muss, wie wir das schon öfter dargelegt haben, eine Folge des Glaubens, nicht eine Bedingung sein.

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