Gemeinhin wird Gemeindezucht als etwas unangenehmes und problematisches aufgefasst: Jemanden aufgrund von Vergehen aus der Gemeinde auszuschließen oder ihm die Teilnahme am Abendmahl oder anderen Dinge zu untersagen, das fühlt sich falsch an. Kirche ist für alle da! Gott hat alle lieb! Ist das nicht nur tyrannisches Machtgehabe aus vergangenen Jahrhunderten? Nun, zumindest ist Kirchenzucht nach Auffassung der Apologie der CA eines von zwei Kennzeichen bzw. Aufgabengebieten des geistlichen Amtes:
Wir reden aber von rechten, christlichen Bischöfen, und es gefällt mir die alte Division oder Teilung nicht übel, da sie gesagt haben, bischöfliche Gewalt stehe in diesen zweien, potestate ordinis und potestate iurisdictionis, das ist, in Reichung der Sakramente und geistlichem Gerichtszwang. So hat ein jeder christlicher Bischof potestatem ordinis. das ist, das Evangelium zu predigen, Sakramente zu reichen; auch hat er Gewalt eines geistlichen Gerichtszwangs in der Kirche, das ist, Macht und Gewalt, aus der christlichen Gemeinde zu schließen diejenigen, so in öffentlichen Lastern gefunden werden, und dieselben, wenn sie sich bekehren, wieder anzunehmen und ihnen die Absolution mitzuteilen.
Klar, Sakramente reichen und predigen, das ist die Aufgabe der Ordinierten in der Kirche, das kennen wir doch aus der CA, Artikel 5: „Solchen Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, Evangelium und Sakramente gegeben, dadurch er, als durch Mittel, den Heiligen Geist gibt, welcher den Glauben, wo und wann er will, in denen, so das Evangelium hören, wirkt, welches da lehret, daß wir durch Christus’ Verdienst, nicht durch unser Verdienst, einen gnädigen Gott haben, so wir solches glauben“. Das ist ja auch einer der wenigen Sätze, die fast alle Theologen zitieren können, wenns um die CA geht. Das will was heißen. Aber das mit der Kirchenzucht, das steht ja erst später, weiter unten, darum ist es nicht so bekannt. Aber – wer lutherische Kirche sein will, für den gilt das eben auch, dass es ein geistliches Amt mit Kirchenzuchtkompetenzen gibt. Aber wie weit gehen die? Ist damit nicht der Willkür Tor und Tür geöffnet, dass einfach unbeliebte Menschen ausgeschlossen werden? Naja, was die Apologie sagt:
Sie haben aber nicht eine tyrannische Gewalt, das ist, ohne gewisses Gesetz zu urteilen. So haben sie auch keine königliche Gewalt, das ist, über die gegebenen [hinaus] Gesetze zu schaffen, sondern haben ein gewisses Gottesgebot und gemessenen Befehl, unter welchem sie sind, nach welchem sie ihre geistliche Gewalt und Gerichtszwang brauchen sollen.
Also: Nicht jeder wie er will und nach persönlichem Geschmack. Kirchenzucht kennt enge biblische Grenzen, oder sie ist es nicht. Der zentrale Satz dazu kommt noch im selben Abschnitt:
Ob sie schon solche Jurisdiktion über der öffentliche Laster haben, so folgt doch nicht, daß sie darum Macht haben, neue Gottesdienste anzurichten. Denn iurisdictio und neue Gottesdienste machen, sind weit voneinander. Item, es streckt sich auch die iurisdictio nicht auf Sünden wider ihre neuen Gesetze, sondern allein auf solche Sünden, die wider Gottes Gebot sind. Denn das Evangelium richtet ihnen nicht ein Regiment an außerhalb des Evangeliums, das ist ja klar und gewiss.
„Das Evangelium richtet ihnen nicht ein Regiment an außerhalb des Evangeliums„. Die Bibel kann nicht zur Begründung von Dingen herangezogen werden, die außerhalb des christlichen Glaubens liegen. Wer sein Amt nutzt, um Eigeninteressen zu verfolgen, missbraucht es. Ordnungen, die für die Organisation des Kirchlichen notwendig sind, haben deshalb nur einen begrenzten Geltungsanspruch:
Wiewohl wir nun in der Confessio Augustana dazugesetzt haben, inwiefern die Bischöfe mögen Satzungen machen, nämlich dass sie die nicht als nötige Gottesdienste aufrichten und lehren, sondern dass [es] still und ordentlich in der Kirche zugehe. Aber damit sollen die Gewissen nicht gefangen sein, als seien’s nötige Gottesdienste. Denn Paulus sagt zu den Galatern im 5. Kapitel: “So stehet nun in der Freiheit, wie euch Christus hat freigemacht, und lasst euch nicht wieder unter das Joch der Knechtschaft bringen!” So muss man nun freilassen, solche äußerliche Satzungen zu brauchen oder nicht zu brauchen, dass sie nicht für solche Gottesdienste geachtet oder gehalten werden, welche nötig sollten sein zur Seligkeit. Doch ist man schuldig, Ärgernis zu meiden. Also haben die Apostel viele Dinge um guter Zucht willen in der Kirche geordnet, die mit der Zeit geändert worden, und haben nicht Satzungen also gemacht, dass sie sollten nötig sein oder ewig bleiben. Denn sie haben wider ihre eigene Schrift und Lehre nicht, gehandelt, darin sie das gar heftig [verfechten], dass man die Kirche nicht solle mit Satzungen also beschweren oder verpflichten, als wären sie nötig zur Seligkeit.
Fazit: Die Apologie legt ganz schön was fest. Gemeindezucht soll sein, aber nicht jeder wie er will, sondern ganz klar geregelt. Das ist ja ganz schön engstirnig von dieser Bekenntnisschrift, oder? Amtsvetreter sollen dies, sie sollen das. Diese Tyrannei der Apologie! Aber halt: Tyrannei wäre es, wenn jeder machen könnte, wie er wollte: Der eine keine Kirchenzucht, der andere übermäßig viel. Der eine diese verbindliche Kirchenordnung, der andere jene. Stattdessen gibt es eine klare Regelung, die es dennoc zulässt, dass auf die jeweiligen Bedingungen und Herausforderungen direkt vor Ort reagiert werden kann. Ganz schön modern, diese Apologie.
alle Zitate (in Reihenfolge) aus: Apologie der CA, Artikel 28, Abschnitte 13-16