Viele werden ein modernes Lobpreislied kennen, welches folgenden Refrain hat: „Ich kehr zurück zu dem Herz der Anbetung – es geht nur um dich, nur um dich, Jesus.“ (I’m coming back to the heart of worship and it’s all about you, it’s all about you, Jesus.)
Wer sich nun den Text genauer durchliest, wird u.a. eines feststellen: Es geht in diesem Lied eben nicht „nur um dich“, sondern es geht in diesem Lied nur um mich. Was ich getan und gelassen habe, wie es mir geht, und welches Gefühl in mir hochsteigt. Damit entspricht dieses Lied dem neuzeitlichen individualisierten Egozentrismus und es ist verständlich, warum es so populär ist.
Gerne wird ein solches Lied in einem bestimmten Rahmen gesungen: Perfekt inszeniert von einer stets jubelnd-lächelnden Band vorgetragen, Licht, Musik, Bild, alles ist aufeinander abgestimmt. Die Botschaft: Ich gebe mich hin, ich stehe auf für Jesus, ich bete an. Anders gesagt: Wenn du nur willst, dann kannst du auch Gottes Nähe fühlen, zu einem großartigen Mitarbeiter im Reich Gottes werden, du kannst und du musst. Bezeichnend ist daran der stete Blick auf mich selbst: wenn von Gottes Größe gesungen wird, ist entscheidend, dass die Singenden diese Größe bestätigen; wenn von Gottes Allmacht gesungen wird, sind wir es, die diese Allmacht anerkennen.
Natürlich gibt es auch Anbetungslieder mit anderem Fokus und natürlich haben die modernen Lobpreislieder auch ihre Stärken – zu denen gehört zunächst und vor allem die moderne Sprache und das Aufgreifen moderner Geschmacksempfindungen. All dieses bietet beispielsweise Luthers „Ein feste Burg ist unser Gott“ sicher nicht. Aber dieses alte Lied Luthers illustriert die Grenzen der „nur um mich“-Lieder, und es kann uns etwas deutlich machen:
Das Lied überzeugt nicht durch die Emotionen, die Licht und Sound der Band hervorrufen. Es bringt nicht in eine feel-good-Stimmung, dazu zu klatschen wäre wohl grausam. Aber es weist es den Blick von mir weg hin auf ihn:
Ein feste Burg ist unser Gott,
ein gute Wehr und Waffen.
Er hilft uns frei aus aller Not,
die uns jetzt hat betroffen.
Der vertrauende Glaube äußert sich in diesem Lied, insofern eben alle Sicherheiten nicht zählen vor der Sicherheit, die der Glaube an Gott hervorruft. Er ist die feste Burg, nicht die Mauern Wittenbergs (welches damals zur starken Festung ausgebaut wurde und z.B. im Schmalkaldischen Krieg 1547 nicht erobert werden konnte). Denn anders als menschliche Sicherungen hilft Gott aus aller Not. Dabei wird allerdings nichts beschönigt. Diese vertrauenden Worte werden mitten in der Gefahr geschrieben, die täglich umgibt und die schlimmer ist, als jeder Krieg, jede Bedrohung, jeder andere Gegner:
Der alt böse Feind
mit Ernst er’s jetzt meint,
groß Macht und viel List
sein grausam Rüstung ist,
auf Erd ist nicht seinsgleichen.
All unser Tun kann nicht helfen. Es wird nichts ändern:
Mit unsrer Macht ist nichts getan,
wir sind gar bald verloren;
Wir brauchen jemand, der anstelle unser selbst für uns eintritt. Wir brauchen einen Felsen, hinter dem wir uns verbergen können. Wir brauchen jemand, der den Platz mit uns tauscht (2. Kor 5, 21; 8, 9):
es streit’ für uns der rechte Mann,
den Gott hat selbst erkoren.
Fragst du, wer der ist?
Er heißt Jesus Christ,
der Herr Zebaoth,
und ist kein andrer Gott,
das Feld muss er behalten.
Wenn wir diesen Positionswechsel vollziehen, und Christus an unsere Stelle tritt, dann sind wir gerettet. Dieses eine Wort, Christus, ist eben der Fels, der vor dem Meer schützt, welches uns verschlingen will.
Und wenn die Welt voll Teufel wär
und wollt uns gar verschlingen,
so fürchten wir uns nicht so sehr,
es soll uns doch gelingen.
Der Fürst dieser Welt,
wie sau’r er sich stellt,
tut er uns doch nicht;
das macht, er ist gericht’:
ein Wörtlein kann ihn fällen.
Nur die Gemeinschaft mit Christus, wie sie uns in der Predigt verkündet werden und wie wir sie bei der Taufe und beim Abendmahl vollziehen, ist das entscheidente. Nicht unser sitzen, knien oder stehen. Sondern, dass wir all unser Vertrauen auf ihn ausrichten, und uns von nichts davon abhalten oder abbringen lassen. Wenn wir das Wort ich mit dem Wort du vertauschen:
Das Wort sie sollen lassen stahn
und kein’ Dank dazu haben;
er ist bei uns wohl auf dem Plan
mit seinem Geist und Gaben.
Nehmen sie den Leib,
Gut, Ehr, Kind und Weib:
lass fahren dahin,
sie haben’s kein’ Gewinn,
das Reich muss uns doch bleiben.
So ändert Luthers Lied unser Denken, Trachten und Sinnen ganz ohne Beleuchting, Stimmung und Instrumente. Aber was wir durch dieses Lied aufnehmen, bleibt ins uns, und wir können es in Gedanken nachsummen, wenn die klapprige Orgel oder der fade Gemeindegesang längst verklungen sind. Das Liedbeispiel zeigt damit etwas ganz entscheidendes für die Frage danach, was ein gutes christliches Lied ist: Führt es mich von mir weg zu Jesus hin, zu dem, was Jesus für mich getan hat, oder führt es mich ins Zentrum meiner Emotionen? Das heißt nicht, dass ein solches Lied nicht (meine) Emotionen aufgreifen darf: Auch Luther redet zum Beispiel von der ‚Not, die uns betroffen‘ hat, lässt also den Blick auf die eigene Lage zu. Die eigene Situation fällt nicht unter den Tisch, allein: Sie entscheidet eben nicht, wie Gott zu uns steht. Das verdeutlichen die Psalmen besonders gut. Ein kurzer Blick auf Ps 34, den Psalm für den kommenden 1. Sonntag nach Trinitatis, zeigt das: Der Psalm setzt ein mit der Perspektive des Beters, der erklärt, wie er die Dinge wahrnimmt:
2Ich will den Herrn loben allezeit;
sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein.
3Meine Seele soll sich rühmen des Herrn,
dass es die Elenden hören und sich freuen.
4Preiset mit mir den Herrn
und lasst uns miteinander seinen Namen erhöhen!
5Da ich den Herrn suchte, antwortete er mir
und errettete mich aus aller meiner Furcht.
Auch hier heißt es „ich ich ich“. Und es ist auch keiner dieser berührenden Klagepsalmen, wo das Ich sein Leid klagt. Es ist ganz positiv, Lobreisliedartig. Aber der Psalm endet nicht mit „ich“. Er wendet auch hier die Perspektive, denn er endet mit Blick darauf, was der Herr tut. Denn dass ich anbete, das ist ja nicht verboten oder falsch. Natürlich soll ich Gott anbeten. Aber das ist eben nicht das, was mein Leben ändert. Entscheidend ist, was Gott tut, das hat Bedeutung für mich:
19Der Herr ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind,
und hilft denen, die ein zerschlagenes Gemüt haben.
20Der Gerechte muss viel leiden,
aber aus alledem hilft ihm der Herr.
21Er bewahrt ihm alle seine Gebeine,
dass nicht eines von ihnen zerbrochen wird.
22Den Frevler wird das Unglück töten,
und die den Gerechten hassen, fallen in Schuld.
23Der Herr erlöst das Leben seiner Knechte,
und alle, die auf ihn trauen, werden frei von Schuld.
Wenn wir in diese Richtung schauen, Gottes Handeln in den Blick nehmen, dann ändert sich, wie wir die Dinge beurteilen. Und dann können wir Gott wahrhaft anbeten.
Gut geschrieben. In Ergänzung noch die Blickrichtigung der Lobpreisband, wenn sie zu den Gottesdienstteilnehmern performt und damit auf einer Bühne steht.
Vielen Dank für diese gute Ergänzung!