Heiligung aus lutherischer Sicht

„Nach der Errettung allein aus Gnade kommt bei euch nichts mehr. Dabei geht es doch darum, nachdem man Kind Gottes geworden ist, immer mehr so zu werden, wie Gott das will. Wer das nicht tut, der lebt sein Christsein nicht.“ So ungefähr könnte man einen Vorwurf an die Lutheraner ausdrücken: Nur Gnade – das ist billige Gnade, falsche Gnade. Was es braucht ist Heiligung: Gott immer ähnlicher werden. Immer mehr sein wie er, immer mehr. Immer öfter „Was würde Jesus tun?“ fragen. Wer hier nicht mittut, der verwirft seinen Glauben, also los, streng dich an! Aber da mahnt uns ein Lied, nochmal genauer hinzuschauen. In „Geh aus mein Herz“ heißt es:

Mach in mir deinem Geiste Raum /

Daß ich dir werd‘ ein guter Baum /

Und laß mich wol bekleiben:

Verleihe / daß zu deinem Ruhm

Ich deines Gartens schöne Blum Und Pflanze möge bleiben.

Heiligung, so sagt Paul Gerhardt, ist etwas, was Gott tut, was an uns getan wird, etwas, was wir passiv empfangen, etwas, um das wir bitten. Gerhardt bittet um Heiligung. Was ist also die christliche Auffassung von Heiligung? In der Konkordienformel finden wir folgende Definition über Heiligung:

Im Artikel von der Heiligung bezeugt die Schrift, dass Gott den Menschen von der Sünde abwasche, reinige, heilige, und dass Christus sein Volk von ihren Sünden selig mache.

FC SD, Von der Erbsünde

Drei Dinge werden klargestellt:

(1) Heiligung ist etwas biblisches und gehört zum Christsein dazu.

(2) Heiligung bedeutet, seiner Sünden loszuwerden – also tatsächlich, mehr wie Gott zu sein.

(3) Heiligung wird von Gott ausgeführt.

Diesen letzten Punkt unterstreichen die Bekenntnisschriften deutlich:

Im Großen Katechismo D. Luthers steht also geschrieben (über den 3. Artikel des christlichen Glaubens): „Derselben christlichen Kirche bin ich auch ein Stück und Glied, aller Güter, so sie hat, teilhaftig und Mitgenoß, durch den Heiligen Geist dahin gebracht und eingeleibt dadurch, daß ich Gottes Wort gehört habe und noch höre, welches ist der Anfang hineinzukommen. Denn vorhin, ehe wir dazu“, zur christlichen Kirche, „gekommen, sind wir gar des Teufels gewesen, als die von Gott und Christo nichts gewußt haben. So bleibt der Heilige Geist bei der heiligen Gemeinde der Christenheit bis auf den Jüngsten Tag, dadurch er uns holt, und braucht sie dazu das Wort zu führen und treiben, dadurch er die Heiligung macht und mehrt, daß wir täglich zunehmen und stark werden im Glauben und seinen Früchten, so er schaffet“ usw. In diesen Worten gedenkt der Katechismus unseres freien Willens oder Zutuns mit keinem Wort, sondern gibt’s alles dem Heiligen Geist, daß er durchs Predigtamt uns in die Christenheit bringe, darinnen heilige und verschaffe, da wir täglich zunehmen im Glauben und guten Werken.

FC SD, Von der Gerechtigkeit des Glaubens vor Gott

Heiligung ist nichts, was unser Wille tut. Der Heilige Geist, durch die Predigt, das sind die beiden Stichworte der Heiligung. Und das, obwohl hier das Prozesshafte erwähnt wird, was man so unter Heiligung versteht („Gott immer ähnlicher werden“) – täglich zunehmen in Glauben und Werken. Das Tägliche wird keineswegs missachtet. Der Aspekt, dass es um ein regelmäßiges Einüben geht, um Wachstum, um Zunahme, er isdt biblisch und lutherisch, er wird nicht unterschlagen. Aber tägliche Buße (95 Thesen) bedeutet eben nicht, täglich neue geistliche Heldentaten zu vollbringen, sondern sich täglich in Gottes Hand zu begeben, sich täglich zu ergeben.

Wenn wir aber lehren, daß durch die Wirkung des Heiligen Geistes wir neugeboren und gerecht werden, bedeutet das nicht, dass den Gerechtfertigten und Wiedergebornen keine Ungerechtigkeit nach der Wiedergeburt im Wesen und Leben mehr sollte anhangen, sondern dass Christus mit seinem vollkommenen Gehorsam alle ihre Sünden zudeckt, die doch in der Natur in diesem Leben noch stecken. Aber solches unangesehen, werden sie durch den Glauben und um solches Gehorsams Christi willen, den Christus dem Vater von seiner Geburt an bis in den allerschmählichsten Tod des Kreuzes für uns geleistet hat, für fromm und gerecht gesprochen und gehalten, ob sie gleich ihrer verderbten Natur halben noch Sünder sind und bleiben bis ins Grab. Wie es auch nicht bedeutet, dass wir wir ohne Buße, Bekehrung und Besserung den Sünden folgen, darin bleiben und fortfahren dürften oder sollten.

Heiligung bedeutet nicht, hier auf Erden sündenlos zu werden. Gerecht gesprochen werden wir nur aufgrund der Taten Christus, niemals aber, weil wir irgendwann (und sei es auch nach viel Hilfe durch Gott selbst) einen für Gott irgendwie akzeptablen Zustand erreicht hätten.

Gleichfalls auch, wiewohl die Erneurung und Heiligung auch eine Wohltat des Mittlers Christi und ein Werk des Heiligen Geistes ist, gehört sie doch nicht in den Artikel oder in den Handel der Rechtfertigung vor Gott, sondern folgt derselben, weil sie von wegen unsers verderbten Fleisches in diesem Leben nicht ganz rein und vollkommen ist; wie D. Luther hiervon trefflich schreibt in seiner schönen und langen Auslegung der Epistel an die Galater, da er also sagt: „Wir geben’s wohl zu, das man von der Liebe und guten Werken auch lehren solle, doch also, das es geschehe, wann und wo es vonnöten ist, als nämlich, wenn man außerhalb dieser Sache von der Rechtfertigung von Werken sonst zu tun hat. Hier aber ist dieses die Hauptsache, damit man zu tun hat, daß man frage, nicht, ob man auch gute Werke tun und lieben solle, sondern wodurch man doch gerecht vor Gott und selig werden möge. Und da antworten wir mit St. Paulo also, das wir allein durch den Glauben an Christum gerecht werden und nicht durch des Gesetzes Werke oder durch die Liebe; nicht also, das wir hiermit die Werke und Liebe gar verwerfen, sondern auf daß wir uns allein von der Hauptsache, damit man hier zu tun hast, nicht auf einen andern, fremden Handel, der in diese Sache gar nichts gehört, abführen lassen, wie es der Satan gerne haben wollte. Derhalben, alldieweil und solange wir in diesem Artikel von der Rechtfertigung zu tun haben, verwerfen und verdammen wir die Werke.“

Bei alledem bleibt es aber bei der Einheit von Rechtfertigung und Heiligung, wie ihn auch die Schrift benennt.

Welches nicht also verstanden werden soll, als ob die Rechtfertigung und Erneurung voneinander geschieden wären dermaßen, daß ein wahrhaftiger Glaube unterweilen eine Zeitlang neben einem bösen Vorsatz sein und bestehen könnte, sondern es wird hiermit allein die Ordnung angezeigt, wie eines dem andern vorgehe oder nachfolge. Denn es bleibt doch wahr, das D. Luther recht gesagt hat: „Es reimen und schicken sich fein zusammen der Glaube und die guten Werke; aber der Glaube ist es allein, der den Segen ergreift, ohne die Werke, doch nimmer und zu keiner Zeit allein ist“; wie denn oben erklärt worden.

„Nimmermehr und zu keiner Zeit allein“, wer den Glauben ergreift, der tut auch die Werke. Wem der Glaube geschenkt wird, der wird auch geheiligt. Freilich, eine besonders gute Glaubenspädagogik lässt sich daraus nicht ableiten. Man kann Heiligung in der Gemeinde nicht operationalisieren, Nachfolge lässt sich nicht messbar machen. Das Unkraut wächst mitten unter dem Weizen, beide sitzen in der Kirchenbank, und nach außen hin scheint das Unkraut viel besser zu wachsen, immer höher wird es, immer mehr streckt es sich nach Gott aus. Hier erfolgreiche Heiligung identifizieren zu wollen, also in der geistlichen Leistung, die ich bringe, das wäre der falsche Weg. Genauso falsch wäre es aber, nicht darum zu bitten, geheiligt zu werden. Wie es Gerhardt schon gesagt hat, können wir täglich singen:

Mach in mir deinem Geiste Raum /

Daß ich dir werd‘ ein guter Baum /

Und laß mich wol bekleiben:

Verleihe / daß zu deinem Ruhm

Ich deines Gartens schöne Blum Und Pflanze möge bleiben.

 

 

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