Vor einer Weile sah ich Teile einer Aufzeichnung eines Interviews mit einem der britischen Vorzeigeatheisten: Stephen Fry. Brillianter Theaterschriftsteller, brillianter Comedian Sidekick zu Atkinsons „Black Adder“, brillianter eigener Comedian, nicht nur in „A bit of Fry and Laurie“, genialer Leser der Harry-Potter-Serie und seit einiger Zeit auch offensichtlich hochbegabter (IQ) und genialer Verteidiger der englischen Sprache. Diese Liste könnte noch um Einiges erweitert werden und man sieht: ich bin diesem Manne zugetan.
Nun geht es uns aber um das besagte Interview und auch in ihm tritt er, wie in eigentlich allen seinen Rollen, wenn man so darüber nachdenkt, slightly larger than life auf. Vom Verteraneninterviewer Gary Bryne wird er gefragt, was er zu Gott sagen würde, wenn er ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen könnte. Fry zögert kurz, und je öfter ich das Viedo sehe, desto sympatischer wird er mir auch hier wieder. Denn er hält sich hier nicht mit netten Fragen über den Sinn des Lebens auf, sondern geht gleich in den direkten Angriff über, obwohl er zeigt, dass er sich nicht nur oberflächlich mit dem Thema beschäftigt hat:
„Grundsätzlich das, was man unter Theodizee versteht. Ich würde sagen: Knochenkrebs bei Kindern, was soll das sein? Wie kannst Du es wagen?! Wie kannst Du es wagen, eine Welt zu erschaffen, in der es so viel Leid gibt, das nicht unsere eigene Schuld ist? Das ist nicht richtig, das ist gänzlich und zutiefst böse. Warum sollte ich einem unberechenbaren, sadistischen, klein-karierten und minderbemittelten Gott Respekt zollen, der eine Welt schafft (sic) die so voll von Unrecht und Leiden ist. Das würde ich sagen.“
Darauf, mit leicht säuerlicher Miene, Bryne: „Und sie denken sie würden damit hineinkommen?“ (Durch die Perlentore des Paradieses)
Fry dezidiert: „Nein, nein und ich würde es auch nicht wollen.“
So weit, so gut. Dies ist natürlich eine eher ausgekaute Position der „Neuen Atheisten“ und die etwas säuerliche Reaktion von Bryne zeigt, dass er sich dieses Segment sicher anders vorgestellt hatte. Interessant jedoch ist, dass es sich eben gerade nicht um eine Position handelt, die dem Christentum fremd wäre, auch wenn dies allem Anschein nach bei Herrn Bryne der Fall war. Denn es ist eine Spielart des deus absconditus, des verborgenen Gottes, wie Luther es in der Heidelberger Disputation z.B. ausdrückt.
In dieser erkenntniskritischen Disputation kritisiert Luther die Theologia Gloriae, die sich am deus gloriosus aufstellt – an der in seinen Werken offenbarwerdenden Herrlichkeit Gottes. Und dies zurecht. Man kann leicht von den Wunderwerken Gottes berichten, und dieses Unterfangen ist rundum positiv. Jedoch sollte man nicht meinen, hier den epistemologischen Kern getroffen zu haben. Denn all diese Werke erweisen nicht nur einen liebenden herrlichen Gott, sondern, mit einer existenziell vordringlicheren Wirkung, auch ein Deus Horribilis. Eben wegen der offensichtlichen Leidenspunkte: „Knochenkrebs bei Kindern“ und wie die Argumente noch lauten mögen: Krieg, Leid, Schmerz,. Seuche, Ungewitter.
Luther bespricht dies in De Servo Arbitrio (Vom unfreien Willen) folgendermaßen:
„Die Diatribe [eine Streitschrift des Erasmus]} macht sich aber selbst zum Gespötte durch ihre Unwissenheit, indem sie keinen Unterschied macht zwischen dem gepredigten und dem verborgenen Gotte, das heißt, zwischen dem Worte Gottes und Gott selbst. Gott thut vieles, was er uns in seinem Worte nicht anzeigt, er will auch vieles, wovon er uns in seinem Worte nicht anzeigt, daß er es wolle. In solcher Weise will er nicht den Tod des Sünders, nämlich nach seinem Worte; er will ihn aber nach jenem unerforschlichen Willen. Nun aber müssen wir auf das Wort sehen und jenen unerforschlichen Willen anstehen lassen; denn wir müssen uns durch das Wort leiten lassen, nicht durch jenen unerforschlichen Willen.“
Der verborgene Gott ist eben nicht nur derjenige, der uns Leib und Leben gibt, sondern der sie auch wieder nimmt, und das auf zum Teil schreckliche Weise. Doch er ist ja nicht nur eindeutig böse, vielmehr merkt man, dass es sich bei der Offenbarung durch die Schöpfung und das Leben eben gar nicht wirklich um eine Offenbarung handelt (nämlich etwas, das dem Wissen suchenden Subjekt eindeutig äußerlich gegenüber steht). Man kann es ja so oder so sehen, Glas halb voll, oder halbvoll mit Gift. Der Schöpfergott könnte ein gütiges Wesen sein, das uns die Schwierigkeiten und Leiden nur zu unserem Besten auferlegt und sich am klarsten im Schönheitsgefühl bei einem Sonnenaufgang offenbart. Er könnte aber auch ein Sadist sein, der die Schönheitsgefühle nur gibt, um sie wieder zu entreißen. Alles Schöne macht nur verwundbar und jeder Schutzversuch vor Verwundbarkeit macht einsam und bitter.
Historisch gesehen tendiert die menschliche Erkenntnis ohne den Deus praedicatus bzw. revelatus zum letzteren, sei es in der klassischen Philosophie der Stoiker – die das Leid ertragen – oder der Epikuräer – die das Leid vermeiden und die Lust suchen, sei es im Buddhismus, der die Allgültigkeit des Leidens zur Grundmaxime seiner Philosophie macht, sei es in Schopenhauers ‚Muscheln haben es am besten, Menschen sind am Schlimmsten dran‘. Und somit befindet sich Steven Fry in einem breiten Strom mit seiner Annahme. Lediglich die Idee, dass man den Schöpfer kritisieren kann und sollte, mutet mir doch judeo-christlich an (oder was meinen Sie, Herr Hiob?).
Doch diese Tendenz kann ja keiner eindeutigen Aussage gleichgestellt werden – ohne die übernatürliche Selbstoffenbarung Gottes haben wir keine Klarheit, sind unsere Überzeugungen und Meinungen eben nur das – subjektive Meinungen und Überzeugungen. Herr Fry stellt also berechtigte Anfragen, denn er erkennt die Selbstoffenbarung Gottes als gut, die wir in der Aufzeichnung der Schrift haben und die in Christus ihren gleißenden Fokalpunkt hat. „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ (Joh. 3,16). Diese Stelle ist – in diesem Zusammenhang – nicht so zu lesen, dass der Liebe Gott noch netter ist als wir schon dachten. Sie ist radikaler Wendepunkt, und hier bleiben wir verankert in der Weihnachtszeit: Nur in Christus wissen wir, dass Gott es gut mit uns meint. Hier ist der deus revelatus, der sich selbst in Niedrigkeit verhüllt und damit seine unendliche Liebe aufdeckt. Hier ist der Retter, der in seiner Beschneidung freiwillig das Gesetz an zieht und die ersten Tropfen seines Blutes vergießt – auch hier um unseretwillen. Der Gott, der die Deutungshoheit hat, weil er es selbst sagt. Wir dürfen uns an diese Offenbarung klammern und sie bekennen, denn wir ziehen sie nicht nur aus indirekten Erfahrungen und Scholastik: er hat es selbst gesagt: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh. 8,12)