Wenn jemand davon erzählt, dass Gott an ihm gehandelt habe, dass er Gottes Wirken gespürt habe, dann ist damit oft ein unmittelbares Wirken gemeint: Gott hat ein Wunder getan! Gott hat ‚übernatürlich‘ gehandelt. Und so wird es dann auch erwartet: Gott soll doch bitte eingreifen, so, dass ich davon ein Gefühl bekomme, das ich nicht rational erklären kann. Das ist Offenbarung Gottes, wenn etwas außergewöhnliches geschieht. Da kann ich dann auch an Gott glauben. Und wenn ich das nicht erlebe, dass Gott mir – etwa im Sprachengebet oder im Lobpreis – nahekommt, wenn ich ihn nicht spüre, dann ist etwas falsch, dann habe ich ein Defizit.
Aber wie ist das mit dem Glauben? In der Confessio Augustana heißt es:
[Den] Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, Evangelium und Sakramente gegeben, dadurch er, als durch Mittel, den Heiligen Geist gibt, welcher den Glauben, wo und wann er will, in denen, so das Evangelium hören, wirkt, welches da lehret, daß wir durch Christus’ Verdienst, nicht durch unser Verdienst, einen gnädigen Gott haben, so wir solches glauben.
Gut, das steht da jetzt so da, aber zeig mir doch, dass das biblisch ist! Na gut. Eine schöne Auflistung bietet der Zweite Artikel der Konkordienformel:
1 Kor. 1: “Dieweil die Welt durch ihre Weisheit Gott [in seiner Weisheit] nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch törichte Predigt selig zu machen die, so daran glauben.” Apg 10: “Petrus wird dir das Wort sagen, dadurch du und dein ganzes Haus selig wirst.” Röm. 10: “Der Glaube kommt aus der Predigt, das predigen aber durch Gottes Wort.” Joh 17: “Heilige sie, Vater, in deiner Wahrheit. Dein Wort ist die Wahrheit. Ich bitte aber für alle, die durch ihr Wort an mich glauben werden.” Weshalb der ewige Vater vom Himmel herab von seinem lieben Sohn und allen, so in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden predigen, ruft: “Den sollt ihr hören”, (Mt 17)
Oder, zu den Sakramenten: „Der Kelch des Segens, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?“ (1. Kor 10). Und: „Gott macht uns selig durch das Bad der Wiedergeburt“ (Tit 3).
Für das Allerwichtigste des christlichen Lebens also, nämlich den Glauben – ohne den kein Christsein möglich ist – verwendet Gott Mittel. Werkzeuge. Und zwar recht profane: Das Reden, das Essen und Trinken und das Waschen. Beziehungsweise Wasser & Brot & Wein & Worte. Nicht gerade so exquisite Dinge wie etwa in Anleitungen von magischen Zaubersprüchen, wo es immer die am ersten Vollmond des Monats unter den und den bestimmten Umständen geerntete Pflanze sein muss. Nein, Dinge, die im Alltag zur Verfügung stehen, die man aus ganz normalen Zusammenhängen kennt. In denen zeigt sich Gott.
Aber ist das denn so wichtig, Hauptsache, Gott redet irgendwie mit mir, offenbart sich mir, ist doch egal ob in Träumen, im Lobpreis oder in einer Predigt, oder?
Dass aber gesagt wird, “niemand komme zu Christo, der Vater ziehe ihn denn” (Joh 6), ist recht und wahr. Aber der Vater will das nicht tun ohne Mittel, sondern hat dazu sein Wort und Sakramente als ordentliche Mittel und Werkzeuge verordnet; und [es] ist weder des Vaters noch des Sohnes Wille, dass ein Mensch die Predigt seines Wortes nicht hören oder verachten und auf das Ziehen des Vaters ohne Wort und Sakramente warten solle. Denn der Vater zieht wohl mit der Kraft seines Heiligen Geistes, jedoch, seiner allgemeinen Ordnung nach, durch das Gehör seines heiligen göttlichen Wortes als mit einem Netze, dadurch die Auserwählten aus dem Rachen des Teufels gerissen werden, dazu sich ein jeder armer Sünder verfügen, dasselbe mit Fleiß hören und an dem Ziehen des Vaters nicht zweifeln soll; denn der Heilige Geist will mit seiner Kraft bei dem Wort sein und dadurch wirken; und das ist das Ziehen des Vaters. (FC 11)
Auf diese Weise also offenbart sich Gott, haben wir Gemeinschaft mit Gott, können Gott spüren, handelt Gott an uns. Das heißt nicht, dass Gott auch unmittelbar reden kann. Wenn er will, tut er das. Aber: Die Möglichkeit darauf entbindet nicht von der Notwendigkeit, die von Gott eingesetzten Wege zu gehen. Von diesen hat er nämlich erklärt, dass er über diese wirken will. Da ist kein Vielleicht. Da ist keine Möglichkeit, dass ich mich vielleicht mit meinem Gefühl getäuscht habe. Dass die Wärme, die ich in mir spürte, irgendeine andere Ursache hatte. Da hat mich nicht die Musik, die Stimmung, das Licht manipuliert. Sondern da ist Gott.
Gott liebt es ganz offensichtlich, sich Werkzeugen zu bedienen, die wir Menschen kennen, die uns vertraut sind, die uns nicht überfordern, wie es die Wunder tun (Lk 24,37). Er benutzt alltägliche Dinge, um unser Leben zu ermöglichen: Er sorgt nach lutherischer Überzeugung dadurch, dass es Staaten und Regierungen gibt dafür, dass es ein geordnetes Leben gibt, in dem nicht Mord & Totschlag herrschen, in dem Christen also leben und ihren Glauben bekennen können. Er sorgt aber auch dafür, dass es Saat & Ernte gibt, sodass sie Essen haben. Er sorgt dafür, dass es Medizin gibt, sodass ihnen in Krankheiten geholfen werden kann. All das könnte Gott auch durch übernatürlichen Eingreifen regeln – siehe das biblische Manna. Aber das ist nicht der Normalfall. Im Normalfall hat Abraham eine Schafherde und schlachtet ein Schaf, wenn er Hunger hat. Wie profan! Aber eben Gottes Weise, mit uns umzugehen.
Aber das ist ja gar nicht so beeindruckend! Gar kein Bumm, Krach und Huiuiui! Ja, das stimmt, Gottes Wirken ist ein stilles, sanftes Säuseln, beziehungsweise eben eine Handvoll Wasser über dem Kopf. Und unspektakuläres Beten & Lesen:
Und nachdem Gott den Anfang durch seinen Heiligen Geist in der Taufe, rechte Erkenntnis Gottes und Glauben, angezündet und gewirkt hat, sollen wir ihn ohne Unterlass bitten, dass er durch denselben Geist und seine Gnade, vermittelst täglicher Übung Gottes Wort zu lesen und zu üben, in uns den Glauben und seine himmlischen Gaben bewahren, von Tag zu Tag stärken und bis an das Ende erhalten wolle. Denn wo Gott nicht selber Schulmeister ist, so kann man nichts, das ihm angenehm und uns und andern heilsam ist, studieren und lernen. (FC 2)
Zur Vertiefung empfehlen wir, Harleß zu lesen.