In seiner ersten apologetischen Vortragsreihe „Über die Grundwahrheiten des Christenthums“, 1864, Leipzig, beschäftigt sich Prof. Luthardt in seinem 3. Vortrag mit dem persönlichen Gott, dessen Bekenntnis er als dezidiert christliches herausarbeitet und dem, zu seiner Zeit und zu unseren Zeiten, weit verbreiteten westlichen Pantheismus entgegenstellt. Diesen könnte man für uns folgendermaßen übersetzen: Goethe und Schiller z.B. bereicherten das Christentum nicht mit neuen und interessanten Ideen über Gott, sondern diese Ansichten waren per definition eben gerade nicht christlich. Auch sehr weit gefasste Gottesbegriffe, wie „das Gute“, „Hoffnung“, „die Menschlichkeit“, wenn sie als Hoffnungsgrund und irgendwie verbindende und zum Guten wirkende Macht postuliert werden, können dem Pantheismus zugerechnet werden. Wie Luthardt am Ende des Zitats zeigt, endet er nämlich genau da, wo wir schon sind: bei der Vergöttlichung des Menschen, sei es des Individuums oder der Gemeinschaft. Letzteres wird im Film „Avatar“ wirklich beispielhaft dargestellt, liegt aber auch den klassischen totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts zugrunde. Aber auch seine Definition des christlichen Gottes sollte tief betrachtet werden. Nun aber Prof. Luthardt:
Gott ist die Macht alles Seins, denn er ist das ewige Leben das den Grund und das Ziel seiner selbst in sich hat; er ist eine eigene ewige That, darum auch der Grund und das Ziel alles Geschaffenen und der Herr der Welt, der in Allem und über Allem waltet. Gott ist der Heilige, der keinen Widerspruch in sich trägt; er ist ein Licht ohne Trübung und der vollkommen Gute, darum auch der Grund aller sittlichen Ordnung, der Schöpfer unseres eignen sittlichen Bewußtseins und allein das Gut, das unser sittliches Wesen befriedigt. Gott ist endlich die Liebe die uns ewig gewollt hat, daß wir sein eigen sein sollen und in ihm Friede haben für unsere Seelen. Die Schöpfung lehrt uns Gottes Macht, unser Gewissen bezeugt uns eine Heiligkeit, aber die Liebe ist wahrhaft erst in Jesu Christo offenbar geworden. Die Heidenwelt [der Antike] hat eine ahnende Erkenntniß von der Macht Gottes, kaum eine Ahnung von der Heiligkeit Gottes, aber keine Ahnung von der Liebe Gottes. Diese Erkenntniß verdanken wir erst dem Christenthum. Und doch ist das die Erkenntniß, die wir vor Allem brauchen. Denn so lange wir Gott bloß als die Macht und als die Heiligkeit kennen, bleibt die Kluft zwischen uns und ihm unausgefüllt. Seine Macht zeigt uns nur unsere Ohnmacht, seine Heiligkeit unsere Sünde. Diese Erkenntniß unserer selbst hält uns ferne von Gott, die demüthigt uns vor ihm, aber sie läßt uns ihm nicht nahen. „In Christo haben wir einen Gott dem wir uns nahen ohne Stolz, und unter den wir uns demüthigen ohne Verzweiflung“, sagt Pascal. Und ein anderes Mal: „Die Erkenntniß Gottes ohne die unseres Elends macht hochmüthig; die Erkenntniß unsres Elends ohne die Erkenntniß Gottes führt zur Verzweiflung; die Erkenntniß Christi ist das Ver mittelnde: denn in ihm finden wir Gott und unser Elend“?“, weil die Liebe die uns mit Gott wieder vereinigt hat. Das ist die Erkenntniß wie sie die Offenbarung uns lehrt. Und unser Herz und Gewiffen sagt Ja und Amen dazu.
Aber der Pantheismus sagt Nein. Der Pantheismus leugnet den Gott des Christenthums und setzt etwas Anderes an seine Stelle. Die Frage des Pantheismus ist zwar eine philosophische Frage, und meine Aufgabe ist nicht in diesen Vorträgen Philosophie zu treiben. Aber es ist eine Frage von höchster praktischer Bedeutung, und wir können nicht an ihr vorübergehen. Ich werde sie so einfach und so kurz als möglich besprechen.
Der Pantheismus hat verschiedene Formen, aber einen gemeinsamen Grundgedanken; und dieser Grundgedanke von dem er ausgeht ist der: der Mannigfaltigkeit dieser Welt und ihren einzelnen Erscheinungen liegt etwas Allgemeines zu Grunde, welches die Einheit dieser Welt bildet; und dieses Allgemeine ist Gott. Das ist kein bewußter persönlicher Gott, es ist nur das allgemeine Leben das in Allem lebt, das allgemeine Sein das in Allem ist, oder die Vernunft in allen Dingen. Wir nennen es nur Gott. Dieser Gott existiert nicht selbständig für sich, er ist nur in der Welt, die Welt ist seine Wirklichkeit und er nur ihre Wahrheit. Dieser Pantheismus ist schon in der vorchristlichen Zeit vorhanden gewesen. Er liegt den heidnischen Religionen zu Grunde, diesen Religionen eines trunkenen Naturgefühls; er hat die philosophische Weltanschauung Indiens erzeugt, diese Weltanschauung der träumenden Phantasie; er hat auch in Griechenland eine philosophische Schule gegründet– die der Eleaten –, aber die großen Philosophen Plato und Aristoteles lehrten den persönlichen Gott. Für die christliche Welt wurde Spinoza ein einflußreichster Vertreter. Und nachdem er längst begraben schien, hat Lessing wieder auf ihn aufmerksam gemacht in einem berühmt gewordenen Gespräch mit Jacobi“; und vor Allem hat ihn dann Schelling erneuert und Hegel weitergeführt, und von da aus ist er vielfach in die allgemeine Denkweise übergegangen, oft mehr als man selber weiß und glaubt.
- Allem was ist– so lehrt Spinoza–liegt zu Grunde die eine, ewige Substanz, welche in der doppelten Welt des Gedankens und des raumerfüllenden Stoffes zur wirklichen Erscheinung kommt.Aus dem Mutterschoße der Substanz, als der ewig gebärenden Natur, tauchen die einzelnen Gebilde auf, um von dem Strome des Lebens immer wieder verschlungen zu werden. Wie die Wellen des Meeres sich erheben und senken, so erhebt sich das Einzelleben um zurückzufinken in jenes allgemeine Leben, das der Tod aller einzelnen Existenz ist.
- Das ewige absolute Sein – lehrt Schelling in seiner früheren Zeit –, geht stets auseinander in die Doppelwelt des Geistes und der Natur. Es ist Ein Leben das durch die ganze Natur hindurch geht und im Menschen mündet. Es ist dasselbe Leben das in Baum und Wald, im Meer und im Felsgestein webt, das in den gewaltigen Kräften und Mächten des Naturlebens arbeitet und schafft, und das, im Menschenleib eingeschlossen, hier die Gedanken desGeistes erzeugt.
- Das Absolute, lehrt Hegel, ist die allgemeine Vernunft, welche zuerst in die Natur versenkt, hier gleichsam sich selber abhanden gekommen, dann im Menschen sich findet als selbstbewußter Geist, in welchem das Absolute, am Schluffe eines großen Prozesses, wieder zu sich selbst kommt und sich in der Einheit mit sich selbst erfaßt. Dieser Prozeß des Geistes, das ist Gott; der Gedanke des Menschen von Gott ist das Dasein Gottes. Gott hat kein Sein und kein Dasein für sich; er ist nur in uns. Gott weiß nicht von sich; nur wir wissen von ihm. Indem der Mensch Gott denkt und weiß, denkt und weiß Gott sich selbst und ist er. Gott ist die Wahrheitdes Menschen, und der Mensch ist die Wirklichkeit Gottes.
So ist schließlich der Mensch zu Gott gemacht.